Mit seinen größten Hits – und davon hat Lionel Richie so einige – begeistert der Sänger am Mittwochabend sein Publikum in der Stuttgarter Schleyerhalle.

Stuttgart - Ach, er ist ja immer noch der große Charmeur und Entertainer der alten Schule, der sein Publikum mit einem einzigen entwaffnenden Lächeln umgarnen kann. Der seinen häufigen und langen Reden Pointen und Höhepunkte gibt, klar umrissene rhetorische Ziele und eindeutige Gesten. Aber auch scheinbar aus dem Augenblick heraus kommende Einfälle unterschiedlicher Art.

 

Das Wort "Stuttgart“ etwa lässt er gleich dreimal hintereinander auf der Zunge zergehen, als wolle er sich einen Scherz daraus machen. Doch der Mann erklärt's: Sie seien aus dem warmen und unter blauen Himmeln liegenden Kalifornien gekommen, im Überschwang des Wohlgefühls. Und nun dies. Schon hat er wieder dieses gewinnende Lächeln im Gesicht, das die beiden Großbildschirme in der Schleyerhalle natürlich dem Publikum besonders detailliert schenken.

Es sind 6000 Besucher gekommen und es ist bestuhlt, als ginge es um eine Seniorengeburtstagsfeier. Lionel Richie ist ja inzwischen 65 Jahre alt, was ihm natürlich niemand ansieht. Zumindest nicht negativ. Gekleidet ist er mit einem seltsamen Jackett, das einem Piratenaufzug gleicht und gut in die Karnevalssaison passt. Nun ja, aber gleich hat er wieder einen Spruch parat: "Als ihr jung wart, war ich auch jung. Und so, wie ihr alt geworden seid, bin ich jung geblieben“. Solche fast etwas selbstgefälligen Einlassungen kann dem schlanken und ranken Grinsemann natürlich niemand übel nehmen, denn es sind ja auch die koketten Einleitungen zu seinen Darbietungen auf der Bühne.

"All the Hits all Night long"

Der Mann aus den USA ist Popsänger. Er hat einst auch als Sänger und Keyboarder seiner Band "The Commodores" große Erfolge gefeiert. Das war in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Funk oder Soul nannte man diese Musik damals und "The Commodores" waren über die ganze Dekade hin gesehen so etwas wie das beste Pferd im Stall der legendären Plattenfirma Motown. Seine aktuelle Tournee nennt Richie nun "All the Hits all Night long“.

Natürlich hat er einen ganzen Block von Songs aus dieser Zeit vorbereitet. Der prominenteste mag vielleicht "Brick House“ sein, ein trockener und ungestüm stampfender Tempotitel, den die Band an diesem Abend aber nicht so überzeugend interpretiert wie bei früheren Auftritten schon gehört. Ob der Mann am Mischpult nicht seinen besten Tag hat? Auch scheinen ein paar Musiker seiner fünfköpfigen Begleitband ein bisschen selbstverliebt in sich hinein zu daddeln. Der Frontmann Richie hingegen ist topfit und versucht mit großen Körpereinsatz dem Ganzen eine klare Richtung zu geben. Und er hat natürlich auch Schnulzen, - im Schönsprech "Balladen“ genannt, - parat. "Three times a Lady“ war ein riesiger weltweiter Schmusehit und ist, wie er in einer wieder mal langen Rede erklärt, seinen Eltern gewidmet. Dass sein Vater ihm gesagt hat "Junge, wo ist mein Geld?“, mag da eine typisch amerikanisch gefärbte Pointe sein. Dass der Popstar aber brav seine Eltern ehrt, ist aller Ehren wert. Er hat sehr einschmeichelnde Melodien und Schnulzen, die in augenrollendem Schmelz geradezu in Schmalz baden. "Easy“ ist auch so ein Heuler, den er zu Beginn seines Auftritts verbrät. Wieder fällt auf, dass das rein musikalisch etwas zu zerfahren wirkt.

Den Titel "Hello" kennt jeder

Da gehen auch solche mehr seichte als leichte Schleicher wie "Ballerina Girl“ durch. Aber er entschädigt mit fetten Discorennern wie etwa "Running with the Night“, das viel offensive Energie und Bewegung in den Saal pumpt. Richie gibt sich hierbei als ewigjunger Stenz, der auch auf der Tanzfläche eine gute Figur machen kann.

Der Titel "Dancing on the ceiling“ setzt da gegen Ende der Show noch eins drauf und kommt zudem in einem deutlich besser ausgesteuerten Soundgewand daher. Als Bremser hat er kurz davor im mittleren Tempo "Say me say you“ eingebaut, das mit seiner abwärtstrebenden Harmonielinie genau wie etwa der Kracher "Destiny“ typisch daherkommt und eben diese unwiderstehliche Popqualität hat, die sich einprägt. Solche Titel mögen seine Stärke sein. Ohrwürmer, die sich zeitgemäß arrangiert und vermeintlich zeitlos interpretiert in die Gehörgänge schleichen und bohren. Natürlich hat er noch zwei Titel auf Lager, die da ganz besonders typisch für ihn sind und die er ans Ende der regulären Show setzt.

Den Titel "Hello“ kennt jeder. Richie betont, dass das Publikum immer zu diesem Schmachtfetzen besonders beifallsstark sein Gefallen zeige, egal wessen Weltanschauung oder Religion es sei. Ach. Rührend, solch ein Markenzeichen. Der Flügel rollt herein und Richie wischt sich den Schweiß ab. Nun kann er kommen, der weltvereinende Heuler. Er vibriert und tremoliert herzerweichend, er lächelt, er gibt sich wehmütig und kokettiert mit dem Effekt, den so etwas hat. Jaja, die Nachmittagssendung auf der Radiowelle für die gesetzten Jahrgänge könnte so etwas einleiten.

Es ist zum Heulen und zum Lächeln. Ach ja, und dann kommt zum Abschluss auch noch „All night long“. Klar geht das ins Bein und ist gleichzeitig wohltemperiert. Der Protagonist scheint es, - wen wundert's? - als eine Art Routine zu absolvieren, ehe er nach einer kleinen Pause mit "We are the World“ als schmalzige Zugabe noch so ein bekanntes Teil hinzusetzt.

30 Jahre sei es nun her, sagt er – nun in einem seltsamen weißen Sakko gekleidet, - und im Bühnenhintergrund ziehen dazu Aufnahmen von den Aufnahmen vorüber. All diese Wohltäterinnen und Wohltäter. Charity. Tränen der Rührung. Ach ja, früher war alles besser. Aber das Heute ist auch nicht nur schlecht.