Tarifpoker in den Verlagshäusern: Die Redakteursgehälter sollen aufgrund der schwierigen Lage gekürzt werden. Dagegen wehren sich die Gewerkschaften.  

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - In nackten Zahlen gemessen, verliert das in Tageszeitungen gedruckte Wort beharrlich an Wert. Durchschnittlich wurden im ersten Quartal pro Erscheinungstag 22,1 Millionen Zeitungsexemplare verkauft, Sonntagsblätter inklusive. Vor zehn Jahren waren es noch sechs Millionen Exemplare mehr, wie die Informationsgemeinschaft IVW ermittelt hat.

 

Zwar lesen sieben von zehn Deutschen über 14 Jahren regelmäßig eine gedruckte Tageszeitung. Durchschnittlich 37 Minuten wenden sie täglich für ihre Lektüre auf; die älteren Leser nehmen sich etwas mehr, die jüngeren weniger Zeit. Und noch ist die Auswahl riesig: Täglich erscheinen auf dem größten Zeitungsmarkt Westeuropas etwa 350 Tageszeitungen mit gut 1500 lokalen Ausgaben. Doch die Presselandschaft wird bedroht durch die digitale Revolution. Das Internet gräbt den Druckerzeugnissen sukzessive das Wasser ab. Neue Plattformen haben die Leser auf andere Wege der Informationsbeschaffung gelockt.

Noch sind die Tageszeitungen der größte Werbeträger im Land. Doch haben die Verlagshäuser seit 2001 im Schnitt 40 Prozent des Anzeigenvolumens verloren. Im Vorjahr gingen die Nettowerbeeinnahmen der Zeitungen auf 3,64 Milliarden Euro zurück - das ist ein Minus von 1,5 Prozent gegenüber 2009, das wegen der Krise schon ein Minus von 15,5 Prozent beschert hatte. Zum Vergleich: Im Spitzenjahr 2000 betrug der Erlös aus dem Werbegeschäft 6,56 Milliarden Euro. Ein Werbeumsatzplus von 4,6 Prozent auf 217,8 Millionen Euro konnten 2010 allenfalls die Wochen- und Sonntagszeitungen gegenüber 2009 verbuchen.

Es ist also kein konjunkturelles, sondern ein strukturelles Problem, wenn die Einnahmequellen immer schwächer sprudeln. Die Verlage reagieren mit verstärkten Aktivitäten im Internet. Mehr als 650 Zeitungen haben neben der gedruckten Ausgabe mittlerweile ein Onlineangebot. Doch können die im Netz erzielten Werbeerlöse die Einbußen im gedruckten Bereich nicht annähernd auffangen. Das führt zur Umkehrung der alten Faustregel, wonach zwei Drittel der Umsätze aus der Werbung und ein Drittel aus dem Verkauf der Tagespresse stammen. Seit 2009 sind die Erlöse aus dem Zeitungsvertrieb höher als die Einnahmen aus Anzeigen und Werbung. Das bedeutet nicht, dass die Verlage kein Geld mehr verdienen. Ihre Rendite erzielen sie jedoch insbesondere über höhere Vertriebspreise, über Personalabbau sowie Ausgliederungen vor allem in Verwaltung und Technik.

Ein Tarifstreit ist entbreannt

Vor diesem Hintergrund ist in der Tageszeitungsbranche ein Tarifstreit entbrannt, der im Jahr des Wirtschaftsbooms seinesgleichen sucht. Hier wird nicht - wie andernorts - um ein paar Zehntelprozentpunkte mehr oder weniger auf die Gehälter gerungen. Diesmal pocht der Bundesverband deutscher Zeitungsverleger (BDZV) auf neue Tarifvertragsstrukturen, um die Personalkosten weiter deutlich zu reduzieren. Den Gehaltstarif und die Altersversorgung der 14.000 festangestellten Redakteure wollen sie nicht anrühren. Doch sollen Urlaubs- und Weihnachtsgeld gekürzt und zu einem 13. Monatsentgelt kombiniert werden, was mehr als fünf Prozent weniger bedeutet. Bisher bekommen Redakteure 13,75 Monatsgehälter. Als Ausgleich bieten die Verleger bei einer dreijährigen Laufzeit je eine "maßvolle Einmalzahlung" in den ersten beiden Jahren und eine geringe prozentuale Erhöhung der Tarifgehälter im dritten Jahr. Unterm Strich bleibt ein dickes Minus - erst recht mit Blick auf die Preissteigerungsrate von derzeit 2,3 Prozent.

Noch härter träfe es Berufseinsteiger (und möglicherweise Jobwechsler), die nach den Arbeitgeberplänen in einem Tarifwerk II eingestuft werden sollen. Dort würde das Gehalt um 7,5 Prozent abgesenkt. Weitere 7,5 Prozent sollen im Mantel- und Altersversorgungstarifvertrag eingespart werden. Dies hätte längere Arbeitszeiten und weniger Urlaubstage zur Folge. Während die Verleger von 15-prozentigen Abstrichen für Neueinsteiger reden, rechnen die Gewerkschaften mit Einbußen von 25 Prozent gegenüber dem jetzigen Tarifniveau. Nebeneffekt der Absenkungen wäre ein verschärftes Einkommensgefälle zwischen Jung und Alt in den Redaktionen.

Forderungen nach höheren Einkommen spielen keine Rolle

Verdi und der Journalistenverband (DJV) wollen jedoch keinen Tarifvertrag unterschreiben, der Verschlechterungen für die Redakteure beinhaltet. Ihre im Vergleich mit den großen Branchen ohnehin geringe Forderung nach vier Prozent höheren Einkommen spielt am Verhandlungstisch bisher keine Rolle. Die Gewerkschaften versuchen, flächendeckenden Widerstand der Arbeitnehmer zu organisieren, um die Einschnitte abzuwehren.

Dies gestaltet sich angesichts der zerfledderten Tariflandschaft als Problem. Einerseits haben schon viele Zeitungen den Flächentarifvertrag verlassen, um als OT-Mitglied (ohne Tarifbindung) des Verbandes die Arbeitsbedingungen selbst auszuhandeln. Andererseits zeigen die Redakteure überall dort wenig Streikbereitschaft, wo Zeitungen wirtschaftlich kaum Luft zum Atmen haben, wo Teile der Redaktionen ausgelagert werden oder wo Fusionsprozesse mit teils massivem Stellenabbau in Gang gesetzt worden sind. Selbst verlagseigene Leiharbeitsunternehmen sind kein Tabu mehr in der Branche. Dies alles verunsichert die Redakteure und lässt sie um den eigenen Arbeitsplatz fürchten. In Ostdeutschland etwa stoßen Verdi und der DJV auf nahezu null Resonanz.

Der BDZV will die Verbandsflucht der Mitglieder aufhalten. Sein Rezept ist die Kürzung der Gehälter sowohl der Redakteure als auch des Druckpersonals, wo ein weiterer Tarifkonflikt in vollem Gange ist. Die Gewerkschaften versuchen, beide Auseinandersetzungen zu bündeln und versprechen sich davon mehr Durchschlagskraft in ihrem Abwehrkampf. Somit dürfte sich diese sehr grundsätzliche Konfrontation noch einige Zeit hinziehen.