Der mehr als viertägige Ausstand der Lokführer bei der Deutschen Bahn hat begonnen. Der Güterverkehr steht still, und Millionen Reisende müssen sich auf massive Beeinträchtigungen einstellen – ausgerechnet zum 25. Jahrestag des Mauerfalls.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Ein Bahnstreik muss gar nicht so schlimm sein. Jedenfalls nicht für Anna. Die Münchnerin will das Wochenende bei ihrer Freundin in Hamburg verbringen. Doch jetzt kommt der Arbeitskampf der Lokführer dazwischen. Aber kein Problem: ein paar Klicks, und schon findet sie auf den Auskunftsseiten der Deutschen Bahn (www.bahn.de/liveauskunft) den Ersatzfahrplan mit den Zügen, die trotz Streiks noch fahren.

 

Das Mädchen Anna ist eine erfundene Figur in einem Trickfilm, mit dem die Deutsche Bahn auf dem Videoportal Youtube erklärt, wie man zumindest ein Drittel des Zugverkehrs trotz des Arbeitskampfes der Gewerkschaft der Deutsche Lokführer (GDL) noch aufrecht erhalten will. Bei den letzten Streiks sei das bereits gelungen, betont der Konzern. Die Botschaft an die Bahnkunden unter den meist jugendlichen Youtube-Nutzern: Keine Panik, es bricht nicht alles zusammen.

Es ist der längste Streik in der Geschichte der Bahn

In offiziellen Presseerklärungen zeichnet der Konzern allerdings ein ganz anders Bild. „Reine Schikane“ sei der Streikaufruf, schimpft da der Personalvorstand Ulrich Weber. Die GDL wolle mit dem längsten Streik in der Geschichte der DB „das öffentliche Leben in unserem Land lahmlegen“. Millionen Reisende müssten sich auf massive Beeinträchtigungen einstellen. Und das ausgerechnet zum 25. Jahrestag des Mauerfalls, auf den sich die Menschen in Deutschland freuen.

In der Aufregung um den Streik wird zurzeit vieles dramatisiert und überzeichnet. Tatsache ist: Deutschland ist im internationalen Vergleich ein Land, in dem sehr wenig gestreikt wird. 2013 hat sich die Zahl der Streiktage sogar um ein Fünftel verringert. Zwar gibt es arbeitskampferprobte Spartengewerkschaften wie die GDL. Dennoch fielen zwischen 2005 und 2012 im Jahresdurchschnitt wegen Streiks nur 16 Arbeitstage pro tausend Beschäftigten aus. Zum Vergleich: In Frankreich war es das Zehnfache.

Bis zur Bahnreform waren die Lokführer Beamte

Die Zahl der Bahnstreiks in Deutschland ist bisher ebenfalls sehr überschaubar. Bis Anfang der 90er Jahre durften die Lokführer überhaupt nicht streiken, denn der Bahnsektor wurde vom Staat als Bereich der Daseinsvorsorge für seine Bürger und die Wirtschaft betrachtet. Die westdeutschen Lokführer waren deshalb noch Ende der Achtzigerjahre alle verbeamtet, Streik damit untersagt.

Erst die Bahnreform mit der Umwandlung der Bahn in eine private Aktiengesellschaft hat das 1994 geändert, beschlossen von der damaligen Regierung Kohl mit breiter Unterstützung der SPD. Seither sind Lokführer ganz normale Beschäftigte und ihre Arbeitgeber Unternehmen, die in hartem Wettbewerb auf den liberalisierten Verkehrsmärkten stehen und die Konkurrenz nicht zuletzt über Personalkosten und Arbeitszeiten austragen. Auch bei der DB: Deren Lokführer schieben laut GDL seit Jahren drei Millionen Überstunden vor sich her und verdienen nach 20 Berufsjahren im Schnitt pro Monat 1750 Euro netto.

Die Privatisierungspolitik ist mitverantwortlich

Die Bahn- und Privatisierungspolitik der letzten Jahrzehnte ist für die Streiks durchaus mitverantwortlich. Und damit auch für die Folgeschäden, die entstehen: bereits seit Mittwochnachmittag im Güterverkehr bewegt sich auf der Schiene kaum noch etwas. Das trifft besonders die Auto-, Chemie- und Rohstoffbranche und Unternehmen, die aus Kostengründen knappe Lagerhaltung bevorzugen. Meist reichen die Vorräte an Bauteilen und Rohwaren nur wenige Tage, dann könnte die Produktion stillstehen.

Allerdings sollen die Streiks nur zwei Arbeitstage betreffen, am Montag sollen die Züge wieder fahren. Die Börse reagierte, anders als mancher Wirtschaftsverband, recht gelassen. Trotzdem verursacht jeder Streik im sensiblen Verkehrssektor jede Menge auch persönlichen Ärger. Viele Reisende suchen sich Alternativen zu Schiene. Zum Beispiel die Fernbusse, deren Anbieter von gewaltiger Nachfrage berichten. 250 Buslinien gibt es, die mehr als 400 Städte anfahren und der Bahn mit Tiefpreisen ohnehin viele Kunden abjagen. Seit die Bundesregierung die billige Konkurrenz auf der Straße zugelassen hat, fährt der ICE- und IC-Fernverkehr der Bahn wegen des Preisdrucks und wachsender Auslastungsproblemen zunehmend in die Krise. Die Streiks werden diese Entwicklung noch verschärfen.

Die privaten und kommunalen Busse fahren regulär

Der Berufsverkehr in den Städten wird in den nächsten Tagen jedenfalls zunehmen. Mit langen Staus auf den Straßen ist zu rechnen. Es lohnt sich, Alternativen zu prüfen. So werden die privaten und kommunalen Bahnen, die nicht zum DB-Konzern gehören, nicht bestreikt und fahren nach Plan. Ebenso die Busse. In Berlin etwa steht mit den U-Bahnen und Bussen der stadteigenen BVG eine leistungsfähige Alternative zum S-Bahn-Verkehr der Deutschen Bahn bereit. Zum Jahrestag des Mauerfalls wird deshalb in der Hauptstadt nicht gleich alles zusammenbrechen, nur weil die GDL streikt.