Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)
Eltern sind offenbar eine lebenslange Rückfallposition . . .
Besser könnte man es nicht ausdrücken. Genauso ist es. Wenn eine junge Frau sagt, ,Am Wochenenden fahre ich nach Hause‘, dann spricht sie meist nicht von ihrer eigenen Wohnung. Sie meint, dass sie zu ihren Eltern fährt. Das Gefühl der Geborgenheit bleibt häufig sehr lange an die Eltern gebunden.
Es gibt aber auch desaströse Eltern-Kind-Beziehungen. Sind die genauso beständig?
Die Gemeinheit ist: gerade Eltern, die für ihre Kinder keine guten Eltern sein konnten, binden ihre Kinder oft besonders stark. Wenn wichtige Wünsche offen geblieben sind, ist es nämlich besonders schwer, die Hoffnung aufzugeben, die Mutter werde doch noch mal verständnisvoller, der Vater könne doch noch mal ein bisschen offener werden.
Ist es ein zusätzlicher Schmerz, wenn diese Hoffnung mit dem Tod der Eltern endgültig unerfüllt bleibt?
Ja. Ihr Tod ist oft ein tiefer Einschnitt im Leben, aus dem aber durchaus sehr positive Entwicklungen erwachsen können, weil man innerlich endlich freier und unabhängiger wird.
Was ist anders, wenn Vater und Mutter tot sind?
Viele Söhne und Töchter fühlen sich trotz ihres fortgeschrittenen Alters dann zunächst absolut schutzlos. Das ist ein Indiz dafür, wie haltbar die frühen Gefühle sind. Kleine Kinder sind ja auf Schutz, Versorgung und Liebe existenziell angewiesen. Wenn wir älter werden, verinnerlichen wir die Sicherheit, die uns geboten wurde und können uns auch räumlich weiter von den Eltern entfernen. Aber wir haben das Gefühl oder die Hoffnung – denn manchmal ist es mit der Sicherheit nicht weit her gewesen –, dass wir zurückkehren können in die tatsächliche oder erhoffte Geborgenheit. Fehlt die elterliche Instanz nach dem Tod beider Eltern, fühlen sich Männer und Frauen zunächst oft mutterseelenallein. Ängste können entstehen. Darüber zu reden ist aber schwer, weil man glaubt, es ginge nur einem selbst so und sich schämt.