Am mittwoch gehen in der Barockstadt die Schlossfestspiele zu Ende. Die Mitglieder des Festivalchors sind verärgert über die Auflösung des Ensembles und darüber, dass sie von der Entscheidung so spät erfahren haben.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Ludwigsburg - Sie sind vier von 25 oder 40 oder 70. So genau kann man das gar nicht sagen. Auf ein Gesangsquartett wollen die Vier aber auf keinen Fall schrumpfen. Peter Witte (Tenor), Birgitt Nachfolger (Sopran), Sebastian Bollacher (Bass) und Diana Krafft (Alt) sind mit Leib und Seele Chormusiker. Sie gehören zum Kern des Chors der Ludwigsburger Schlossfestspiele. In dessen Natur liegt es, dass er atmet. Braucht man für eine Produktion viele Sänger, ist er größer. Es gibt aber auch Projekte, die nur zwei Dutzend Sänger verlangen. Letzteres war in den vergangenen Jahren immer öfter der Fall. Nun soll aber auch damit Schluss sein. Der Chor ist eines der letzten Relikte der Ära Wolfgang Gönnenwein. Der damalige Festspielchef hatte ihn 1972 gegründet und ihn bei seinen großen Opernproduktionen eingesetzt.

 

Seit Mittwoch vergangener Woche wissen die Sänger, dass der Festspielintendant Thomas Wördehoff von der nächsten Saison an ohne den Chor arbeiten und stattdessen andere Vokalensembles zum Festival einladen will. Nur im Einzelfall soll geprüft werden, ob es das eine oder andere hauseigene Chorprojekt geben wird. Von dieser Entscheidung – die der Aufsichtsrat der Schlossfestspiele am 4. Juli einstimmig und dem Vernehmen nach ohne Diskussionen gebilligt hat und die eigentlich bis zum Abschlusskonzert in Wolfegg unter Verschluss bleiben sollte – haben die Sänger gleichzeitig durch einen Brief Wördehoffs und aus der Zeitung erfahren.

Wördehoff verweist auf verändertes Konzept

Die Mitglieder des Chors sind deshalb nicht nur traurig. Sie sind auch verärgert über diese Vorgehensweise und nicht gut auf den Festspielchef zu sprechen. Er habe ihnen vergangenes Jahr noch gesagt, so erinnert sich mancher, solange er Intendant sei, werde es den Festspielchor geben. Die Musiker hatten sich bei Wördehoff selbst erkundigen wollen, „weil die Abschaffung immer wieder in der Luft lag“, sagt Diana Krafft. Die 45-Jährige gehört seit 1994 zum Ensemble.

„Mein künstlerisches Konzept hat sich weiterentwickelt“, sagt Wördehoff. „Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass die Arbeit so nicht weitergeführt werden kann“, begründet er seine Entscheidung. „Dass die Musiker darüber nicht glücklich sind, kann ich verstehen.“ Er sei nicht zufrieden damit, wie der Beschluss verbreitet worden sei und könne verstehen, dass die Musiker traurig seien.

Der Chor ist für viele Sänger ein Stück ihrer Biografie

Für alle Sänger, die aus der Region kommen, ist die Mitgliedschaft mehr als nur eine Verpflichtung in ihrer musikalischen Patchworkexistenz. Alles dreht sich in ihren Leben um die Musik und den Gesang. Krafft spricht wohl stellvertretend für die übrigen Sänger, wenn sie sagt: „Es war für mich eine große Ehre, als ich das Vorsingen bestanden habe.“ So gehe es allen, für die der Chor ein Stück ihrer Biografie geworden sei. Umso wütender sind sie jetzt. Krafft selbst ist Musiklehrerin, nimmt aber seit dem Abitur Gesangsunterricht bei einer Hochschullehrerin. Die hat sie damals zum Vorsingen geschickt. Als Laienmusiker wollen sie sich alle nicht bezeichnen lassen, nur weil sie nicht ausschließlich von ihren Auftritten leben können. Die Konzerte bestehe nur, wer hochprofessionell arbeite und die Proben intensiv vorbereite, sagt die 49-jährige Birgitt Nachfolger.

Ein hohes Niveau attestiert auch der Chordirektor Jan Hoffmann seinen Sängern und verweist auf das Verdi-Requiem. Er sei traurig, dass die sehr schöne Arbeit in der Form nicht mehr stattfinden werde, hoffe aber auf weitere Chorprojekte im Rahmen der Schlossfestspiele. Dass er die Chorsänger dort einsetzen könne, habe ihm der Intendant zugesagt; Wördehoff bestätigt dies.

Das letzte Konzert in Wolfegg ist das Abschiedskonzert

„Ich hätte nie gedacht, dass man uns so vom Himmelreich in die Hölle schickt“, sagt enttäuscht Peter Witte, der als Kind im Dresdner Kreuzchor mit dem Singen begonnen und sein Leben um die Musik gebaut hat. Als der heute 41-Jährige nach Ludwigsburg zog, war für ihn klar: in diesem Chor musst du singen. „Der Chor hatte eine Strahlkraft bis nach Dresden“, sagt er. Diese Begeisterung empfindet auch das Ehepaar Birgitt Nachfolger und Sebastian Bollacher. Der 47-Jährige war schon in seiner Schulzeit als Platzanweiser im Ordenssaal des Schlosses dabei. „Da habe ich viele große Sänger gehört.“ Er und seine Frau haben ein Gesangsstudium absolviert, in Ludwigsburg vorgesungen und „sich immer mit dem Chor identifiziert“. Von Loriots „Freischütz“-Inszenierung, mit der 1988 das Forum eröffnet wurde, schwärmen beide noch immer. Es folgten Verpflichtungen als Solisten in Rostock und anderen Städten. Die Mitgliedschaft im Chor ruhte. Als das Ehepaar 2004 wieder nach Ludwigsburg kam, sang es erneut vor – und wurde erneut genommen. Birgitt Nachfolger ist Gesangslehrerin. Sebastian Bollacher ist Sänger im Staatsopernchor, mithin eigentlich gut ausgelastet. Es muss also noch irgendetwas geben, was die Sogkraft des Festivalchors für die Musiker ausmacht. Bollacher nennt es „Liebe zu den Festspielen“.

Entsprechend schwer wird den Sängern ihr letztes Konzert in Wolfegg fallen. In der Zugabe werden sie „Bleib bei uns, wenn es Abend werden will“ singen. Da könnte durchaus die eine oder andere Träne fließen. Um den Abschied von ihrem Ludwigsburger Publikum der Schlossfestspiele fühlen sie sich auf alle Fälle gebracht. Bei dem Konzert in der Schlosskirche des Residenzschlosses am 16. Juli war die Welt für die Musiker noch in Ordnung gewesen.