Die Stadt sollte stolz auf ihren Anteil bei der Aufklärung von NS-Unrecht sein – und keine Nazis mit Straßennamen ehren. Das Sparargument zählt da nicht. Ein Meinungsbeitrag von Hilke Lorenz.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Ludwigsburg - Geschichte ist das, was man aus ihr macht – oder machen will. Manchmal ist das beschämend wenig. Das zeigt die Diskussion in Ludwigsburg. Am Mittwoch wollen die Räte nun endgültig darüber entscheiden, wie die Stadt mit Straßen umgehen soll, deren Namensgeber mit Diktatur, Menschenverachtung oder Rassismus in Verbindung stehen. Es ist ihnen zu wünschen, dass sie eine kluge Entscheidung treffen und auch über die Stadtgrenzen hinausschauen. Denn die vermeintlich kleine Frage ist die Frage nach der Selbstverortung in der Geschichte. Mit der Änderung von Straßenschildern, Briefköpfen und Ausweispapieren hat das alles nur am Rande zu tun. Ganz so pragmatisch lässt sich das Thema nicht angehen, wie der Blick in die erinnerungspolitische Landschaft zeigt.

 

Denn wir leben in aufregenden Zeiten. Dass ein deutsches Gericht noch einmal einen ehemaligen SS-Mann wegen Beihilfe zum Mord verurteilen würde, hätte bis vor kurzer Zeit niemand gedacht. Die Schwurgerichtskammer in Lüneburg hat es getan und Oskar Gröning schuldig gesprochen und zu vier Jahren Haft verurteilt. Für viele ist das ein Akt später Gerechtigkeit gegenüber den Opfern. Die Versäumnisse der Nachkriegsjustiz kann dieses Urteil zwar nicht ungeschehen machen, aber es ist ein deutliches Signal. Und es ist ein Zeichen, dass auch vermeintlich kleine Beiträge ihren Anteil am großen Unrecht hatten.

NS-Urteile wurden erst durch die Zentrale Stelle möglich

Dass es aber überhaupt so weit gekommen ist, hat viel mit Ludwigsburg zu tun. Genauer: mit der hier seit 1958 arbeitenden Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen – anfangs angefeindet von nicht wenigen Ludwigsburgern. Hätten in dem Gebäude an der Schorndorfer Straße die Ermittler nicht so hartnäckig und unbeirrt weiterrecherchiert, neu zugängliche Archive auf anderen Kontinenten durchforscht und Überlebende des NS-Staates als Zeugen befragt – das Urteil von Lüneburg hätte wohl nicht gesprochen werden können.

Solange eine Verurteilung möglich ist, wird ermittelt, lautet die Maxime der Ludwigsburger Nazijäger. Genauso lange stellen sie Anklageschriften zusammen und geben ihre Fälle an die zuständigen Staatsanwaltschaften in Deutschland weiter. Ob es zu einer Anklage kommt, entscheiden die Gerichte selbst. Ob die Angeklagten dann verhandlungsfähig sind, steht oft im Ermessen von Ärzten.