Rund 80 Flüchtlinge, die im Kreis Ludwigsburg untergekommen sind, lernen derzeit in fünf Vorbereitungsklassen an Ludwigsburger Berufsschulen Deutsch. Im Februar sollen zwei weitere Klassen hinzukommen. Die Schulen stellt das jedoch vor Herausforderungen.

Ludwigsburg - Deutsch zu lernen ist für Sleman G. wie der Beginn eines neuen Lebens. „Ein neues Buch aufmachen“, sagt der 20-jährige Iraker. Er ist mit anderen Jugendlichen aus Flüchtlingsfamilien in der Vorbereitungsklasse der Ludwigsburger Oscar-Walcker-Schule und unterstreicht seine Worte, indem er mit den Händen durch imaginäre Seiten blättert. Sleman G. und seine Familie sind Jesiden. Die religiöse Minderheit wird von der Terrormiliz Islamischer Staat verfolgt. Der Vater durfte nicht mehr als Polizist arbeiten, für die Söhne gab es keine Perspektive.

 

Seit wenigen Monaten lebt die Familie in einer Asylantenunterkunft in Ludwigsburg. Am meisten schätzt der 20-Jährige an seiner neuen Heimat das Gefühl der Sicherheit. „Im Irak hat man immer Angst“, sagt er. Gewalt beschreibt er als etwas Allgegenwärtiges. „Wir wollen ein normales Leben ohne Probleme.“ Deshalb gibt es für den jungen Mann nur ein Ziel: Er will schnell Deutsch lernen. Danach könnte er eine reguläre Schule besuchen und später als Automechaniker oder Polizist arbeiten. Einige seiner Klassenkameraden haben in der Heimat ein Gymnasium besucht und würden in Deutschland gerne studieren. „Jura oder Psychologie“, sagt ein junger Syrer, der schon auffallend fließend Deutsch spricht, über seine Studienwünsche. „Ich möchte Informatikerin werden“, sagt eine junge Kubanerin.

Die meisten haben einen Schulabschluss

„Die meisten Schüler dieser Klasse haben einen Schulabschluss im Heimatland gemacht“, sagt die Klassenlehrerin Natalie Binaku. Die Abschlüsse aus der Heimat können sich manche hier anerkennen lassen. Die anderen sind in der Regel geflohen, bevor die Schlussprüfungen anstanden.

In der Klasse sitzt die Serbin friedlich neben der Kroatin, der junge Iraker neben vier Syrern. Was die jungen Leute unterschiedlicher Nationen eint, ist der unbedingte Wille, schnell Deutsch zu lernen, um in der neuen Heimat arbeiten zu können. „Ich bin seit September in Sachsenheim“, sagt der 16-jährige Antoan Penev aus Bulgarien. „Am Anfang habe ich nichts verstanden, jetzt geht es.“

Für ein Schuljahr besuchen die Jugendlichen in der Regel die Vorbereitungsklassen. Dann können sie auf eine reguläre Schule gehen. 30 Stunden pro Woche lernen die Jugendlichen in der Vorbereitungsklasse Deutsch, aber auch ganz praktische Dinge. Im Fach „Lebensweltbezogene Kompetenz“ geht es etwa um Kontoauszüge oder darum, wie man eine Überweisung tätigt. Werkstätten und Projekte runden den Unterricht ab. Dabei werden Maultaschen gefertig, Wanduhren aus Holz hergestellt oder Ausflüge nach Stuttgart gemacht – mit anschließenden Kurzreferaten.

Herausforderung und Bereicherung für die Lehrer

„Die Arbeit hier ist sehr bereichernd“, sagt auch die Deutschlehrerin Jana Ruof. „Viele kamen ohne Deutschkenntnisse in diese Klasse. Es ist toll, die Fortschritte zu sehen.“ Die 28-Jährige ist eigentlich Grundschullehrerin und wurde für ein Jahr an die Berufsschule abgeordnet. „Ich würde gerne länger bleiben“, sagt Ruof.

Andreas Moser, der Leiter der Oscar-Walcker-Schule und geschäftsführender Leiter der vom Kreis Ludwigsburg getragenen Berufsschulen, erhofft sich bald ein deutliches Signal, wie es mit den Vorbereitungsklassen weitergehen soll. „Auch die Lehrer, deren Verträge befristet sind, müssen das wissen.“ Das gelte umso mehr, als im Februar wahrscheinlich zwei neue Vorbereitungsklassen an der Oscar-Walcker-Schule an den Start gehen.

Flüchtlinge als potentielle Fachkräfte

Der Unterricht mit Flüchtlingen stelle die Lehrer vor pädagogische Herausforderungen, berichtet Moser. Vom Analphabeten bis zum Gymnasiasten sei ein enormes Spektrum abzudecken. Unterschiedliche Nationalitäten und Traumata machten die Arbeit nicht einfacher. „Da ist nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen.“ Dennoch ist Moser davon überzeugt, dass die Flüchtlinge ihre Träume, etwa vom Medizinstudium, verwirklichen können. „Das kriegen die hin, aber nicht, wenn sie noch anderthalb Jahre auf der Straße rumhängen.“

Auch organisatorisch sind die Schulen gefordert. Wenn eine Familie, die kein Deutsch spricht, spontan im Rektorat stehe, bedeute das einen wesentlich höheren Aufwand als bei einer normalen Anmeldung, sagt der Schulleiter. „Anfang kommenden Jahres sollten sich deshalb alle Beteiligten zusammensetzen und die Erfahrungen bündeln“, sagt Moser. „Wir müssen die Lernphase jetzt abschließen.“

Im Zuge der Fachkräfteallianz im Kreis, die Ende November unterzeichnet wurde, sollen die jungen Flüchtlinge zudem leichter in Kontakt mit Firmen treten und Praktika absolvieren können.

Vorbereitung in der Schule

Qualifizierung –
Junge Flüchtlinge werden in den sogenannten Vabo-Klassen (Vorqualifizierung Arbeit und Beruf ohne Deutschkenntnisse) an Berufsschulen auf den Besuch einer regulären Schule oder auf eine Ausbildung vorbereitet. Fünf solcher Klassen gibt es für den Kreis, alle sind in Ludwigsburg: vier im Berufsschulzentrum auf dem Römerhügel, davon zwei an der Oscar-Walcker-Schule, eine an der Mathilde-Planck-Schule und eine an der Robert-Franck-Schule. Die fünfte Klasse ist an der Carl-Schäfer-Schule angesiedelt. Die erste Klasse an der Oscar-Walcker-Schule wurde im September des vergangenen Jahres eingerichtet.

Förderung
– Finanziert werden die Lehrerstellen vom Land, die Räume vom Kreis. Das Kultusministerium hat für das laufende Schuljahr 200 Deputate für die Vorbereitungsklassen aller Schularten bereitgestellt. Für die Förderung junger Flüchtlinge stellt Kultusminister Andreas Stoch im nächsten Jahr 11,7 Millionen Euro in Aussicht, für 2016 gar 13 Millionen Euro.