Das Sozialgericht Heilbronn hat entschieden, dass die Kosten für eine OP zur Hautstraffung übernommen werden müssen.

Ludwigsburg - Beate S. (Name geändert) ist 55 Jahre alt. Seit einer Magenverkleinerung vor zweieinhalb Jahren verlor die Ludwigsburgerin 50 Kilogramm Gewicht. Doch nun macht ihr die überschüssige Haut zu schaffen, die offenbar Schmerzen und Entzündungen verursacht. Deshalb beantragte Beate S. eine Operation zur Straffung der Haut bei ihrer Krankenkasse. Diese lehnte jedoch einen Großteil der geforderten Leistung ab. Allerdings zu spät: das Sozialgericht Heilbronn hat nun entschieden, dass die Kasse die gesamte OP zahlen muss, weil sie die gesetzliche Frist für die Entscheidung nicht eingehalten habe.

 

Beate S. hatte die Notwendigkeit einer umfassenden Operation damit begründet, dass sich wegen ihrer drastischen Gewichtsabnahme am ganzen Körper schmerzhafte Hautlappen gebildet hätten. Ihr Gesäß habe so viele Hautfalten, dass sie nicht mehr schmerzfrei sitzen könne und in vielen Falten seien Pilzinfektionen und Wunden entstanden. Wenn sie an den Hautlappen hängen bleibe, schmerze dies sehr, daher schlafe sie sehr unruhig. Aus Scham zeige sie sich der Öffentlichkeit nur mit vollständiger Körperbedeckung.

Kasse lehnt einen Großteil des Antrags ab

Es dauerte ein halbes Jahr, bis die Krankenkasse von Beate S., die Betriebskrankenkasse Bosch (BKK Bosch), auf den Antrag der 55-Jährigen reagierte: Sie lehnte eine Hautstraffung an den Oberarmen, dem Gesäß und den Oberschenkeln mit der Begründung ab, es lägen „keine organischen Beeinträchtigungen“ vor. Die Übernahme der Kosten für eine operative Hautstraffung an Bauch und Brüsten hingegen bewilligte sie. Beate S. klagte.

Ihr Antrag gelte als vollständig genehmigt, weil die Kasse die gesetzlichen Fristen nicht eingehalten habe, argumentierte sie. Letzteres räumte die Krankenkasse zwar ein, betonte aber, dass dies nicht relevant sei, weil keine Krankheit vorliege und eine OP nicht wirtschaftlich sei.

Doch das Sozialgericht Heilbronn gab nun der Klägerin recht. Dabei berief sie sich auf das sogenannte Patientenrechtegesetz. In diesem wird seit 2013 geregelt, dass die Krankenkassen Anträge auf eine Leistung zügig bearbeiten müssen – also innerhalb von drei Wochen nach Eingang des Antrags, beziehungsweise – wenn ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) notwendig ist, wie im vorliegenden Fall – innerhalb von fünf Wochen. Kann die Kasse nicht rechtzeitig entscheiden, so muss sie das dem Patienten innerhalb der Frist mitteilen. Versäumt sie dies, so gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt.

Neuland für das Sozialgericht

Mit diesem Urteil betrete das Sozialgericht Heilbronn Neuland: „Bei uns ist das der erste Fall dieser Art, der entschieden wurde“, sagt Joachim von Berg, Sprecher des Sozialgerichts. Auch bundesweit habe es bislang nur wenige vergleichbare Verfahren gegeben: „Eine höchstrichterliche Rechtsprechung gibt es noch gar nicht“, betont von Berg. Ob das Urteil richtungsweisend sei, vermöge er nicht zu beurteilen, „aber der Fall sticht auf jeden Fall aus der Masse heraus“, sagt er.

Der Rechtsanwalt Tim C. Werner, der Beate S. vor Gericht vertreten hat, ist weniger zurückhaltend. „Das Urteil ist auf jeden Fall richtungsweisend“, betont der Fachanwalt für Sozialrecht. Schließlich gehöre es zu den wenigen Entscheidungen, die es zum Patientenrechtegesetz gebe – bundesweit seien dies bislang nur etwa zehn bis 15. Seines Wissens nach seien diese allesamt zu Gunsten der Patienten ausgefallen: „Die Krankenkassen können gar nicht fassen, was da gerade passiert“, sagt Werner. Schließlich gehe es um richtig viel Geld, allein die Kosten für die OP von Beate S. schätzt er auf rund 30 000 Euro. Für die Patienten sei die neue Regelung „richtig toll“: Verfahren, die sich früher über Jahre hinweg gezogen hätten, seien derzeit innerhalb weniger Monate erledigt.

Bei der BKK Bosch will man sich nicht zu dem Verfahren äußern: Es werde noch geprüft, ob man in Berufung gehe, sagt die Sprecherin Sonja Feihle. Insgesamt sei die Patientenrechteverordnung aber schon ein großes Thema. Letztlich habe die BKK jedoch wenig Einfluss auf die Dauer eines Verfahrens, man sei immer abhängig davon, wie schnell der MDK arbeite, so Feihle.

Wenn es zur Fiktion einer Genehmigung kommt

Gesetz:
Das Patientenrechtegesetz ist im Februar 2013 in Kraft getreten. Kern der neuen Regelung ist eine Beschleunigung der Verfahren bei den Krankenkassen. So müssen diese nun innerhalb von drei Wochen über einen Antrag auf eine Leistung entscheiden – wenn der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) noch eingeschaltet werden muss, beträgt die Frist fünf Wochen.

Folgen
: Verstreicht diese Frist ohne eine Entscheidung der Krankenkasse und ohne einen Hinweis darauf, dass der Fall nicht innerhalb der Frist bearbeitet werden kann, so tritt eine sogenannte Genehmigungsfiktion ein: Der Antrag gilt als genehmigt, die Kasse muss die beantragte Leistung zahlen. Bis dato wurden nur wenige Fälle vor Gericht verhandelt. Beim GKV-Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen zeigt man sich entspannt: Es gebe bislang kaum Rückmeldungen der Kassen zu dem Thema.