Noch heute sind gibt es mehrere Luftschutzstollen im südlichen Neckarufer. Ein 80-jähriger erinnert sich an die Zeit, als sie gebaut wurden.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Esslingen - Wenige wissen, dass noch heute im südlichen Neckarufer bei Brühl und Weil mehrere Luftschutzröhren vorhanden sind. In einem Teil der Röhren wollte die Daimler Benz AG die Untertürkheimer Produktion verlagern. Die Bauarbeiten erfolgten unter strenger Geheimhaltung. Niemand sollte davon erfahren, nur bei den Kindern aus der Brühler Siedlung nahm man es nicht so genau. Deswegen verdanken wir dem heute 80-jährige Wilhelm Lengerer einen authentischen Augenzeugenbericht der Arbeiten damals.

 

Denn für die Kinder von Brühl und Weil war der Zweite Weltkrieg ein Abenteuer. Immer dort, wo etwas gebaut wurde, wo Soldaten und Fahrzeuge waren, tauchten sie auf, und Willi Lengerer war immer ganz vorne dran. Die ersten Stollen wurden in den Jahren 1942 und 1943 gebaut, alles in Handarbeit. Diese Arbeit machten ältere Männer, die nicht mehr zur Wehrmacht eingezogen werden konnten und Zwangsarbeiter aus einem Lager in Weil.

Es konnten nicht mehr als drei bis vier Männer arbeiten, sie hatten nur einen Presslufthammer, das Erdreich und das Gestein verluden sie auf Schubkarren, die sie auf einer Wiese deponierten. Doch niemand, so erinnert sich Wilhelm Lengerer, habe jemals in diesem Stollen Schutz gesucht, weil er von den Brühler Wohnhäusern einen Kilometer weit weg war. Das war für die Schutzsuchenden ein viel zu langer Weg bei einem Fliegerangriff.

Ein Jahr darauf rückten wieder Arbeiter an, diesmal mit richtigen Maschinen. 1944 wurde das Waldheim im Brühler Wald demontiert und an dieser Stelle das Erdreich abgetragen. Damit die Kriegsproduktion weiterlaufen konnte, wollte Daimler die Motorenfertigung unter Tage verlagern. Zunächst wurde ein Damm aufgeschüttet für eine Eisenbahn, die den Aushub aus den Stollen abtransportierte. Wilhelm Lengerer ging mit seinen Klassenkameraden nach der Schule sofort zu der Baustelle. Sie machten sich einen Spaß daraus, auf den Zug aufzuspringen und ein Stück mitzufahren. „Wenn die Lokführer das merkten, haben sie den Zug angehalten. Aber wir sind abgesprungen und haben uns aus dem Staub gemacht“, berichtet er.

Im Frühjahr 1945 wurden die Arbeiten beendet, Lengerer vermutet, dass das nahe Kriegsende den Stollenbau unsinnig gemacht habe. Als die Alliierten einrückten, herrschte eine kurze Zeit Anarchie im Mittleren Neckartal, was die Kinder weidlich ausnutzten.

Weil die Strecke ein leichtes Gefälle hatte, zogen sie die Eisenbahnwagen hoch, sprangen hinein und fuhren mit ihnen nach unten, die Strecke war etwa 100 Meter lang. Weil das noch nicht genügte, sammelten sie die Gewehr-Munition auf, die von deutschen Soldaten zurückgelassen worden war, hämmerten das Pulver aus den Hülsen und ließen es hochgehen. „Es ist ein lautes Zischen und Heulen gewesen“, erinnert sich Lengerer, „das wir schreiend und staunend bewunderten.“ Später hatten die Amerikaner die Stollen als Müllkippe benutzt, und damit wurden sie für Kinder mehr als interessant. Sie klaubten im Müll Donuts und anderes Essbare auf und stillten damit ihren Hunger in den schweren Nachkriegsjahren. Außerdem sammelten sie die Zigarettenkippen, bröselten den ungerauchten Tabak heraus und verschoben ihn auf dem Schwarzmarkt. Eine der vielen Ironien der Geschichte: Die Stollen, die im Krieg nutzlos waren, halfen nach dem Krieg den Kindern, am Leben zu bleiben.