Die Schrift gleiche einer Bombe in einem Gebetbuch, meinte ein Historiker einmal. Stimmt. Formal wirkt „Der Fürst“ nämlich wie ein Text, der sich in die Tradition der damals gängigen Herrscher-Beratungsliteratur einfügt, etwa wenn Machiavelli erörtert, ob es für den Regierenden besser sei, seinen Untertanen gegenüber Milde oder Grausamkeit walten zu lassen. Doch nie geht es ihm darum, den Fürsten zu einem ethisch vollkommenen Regenten zu erziehen. Im Gegenteil: Normen, die das Handeln des Politikers einschränken, existieren für ihn nicht. Der Fürst kenne keinen Richter, der über ihm thront, keinen Gott, kein ewig gültiges Wertereich, keine Vernunftgebote.

 

Für Philosophen und Theologen, die sich just um solche Normsysteme mühten, hatte Machiavelli deshalb nur Spott übrig. Viel zu viele betrachteten die Welt nicht so, wie sie ist, sondern so, wie sie ihrer Meinung nach sein sollte: „Da ich aber etwas Nützliches für die Unterrichteten schreiben will, so dürfte es, nach meinem Dafürhalten, besser sein, wenn ich dem wirklichen Wesen der Sache nachgehe als einem Fantasiebild von ihr.“ Wer sich durchsetzen wolle, dürfe sich über die Natur des Menschen keine Illusionen machen; denn es sei unvermeidlich, „dass ein Mann, der überall rein moralisch handeln will, unter so vielen anderen, die nicht so handeln, früher oder später zugrunde gehen muss“.

Was wie ein Leitfaden zur skrupellosen Realpolitik klingt, war freilich schon immer mehr: ein Manifest, verfasst in der Hoffnung, dass um 1500 die Zeit reif sei für einen Politiker, der es versteht, das in Fürstentümer zersplitterte Italien zur Einheit zu führen. Nicht Allgemeinplätze, die sich beliebig in andere Zusammenhänge übertragen lassen, interessierten Machiavelli also, sondern die konkreten Aufgaben, die seine Gegenwart stellte.

Der Denker selbst war auf einen Erlöser fixiert

Er kümmert sich daher um die Frage, wie die Möglichkeiten, die jede einzelne historische Konstellation birgt, genutzt werden können. Und genau dies macht ihn zu einem politischen Denker par excellence – und zu einem Feind aller deterministischen Geschichtsmetaphysik, auch aller zukünftigen, ob es sich nun um marxistische Vorstellungen vom „historisch notwendigen“ Sieg des Kommunismus handelt oder um liberale Vorstellungen vom „Ende der Geschichte“, verkündet nach dem Fall des Ostblocks.

Ganz anders dagegen Machiavelli. Schon mehr als zwei Jahrhunderte zuvor ätzte er gegen den Glauben an die Allmacht des Denkens. „Alle bewaffneten Propheten sind siegreich gewesen, die unbewaffneten aber erlagen“, schrieb er und formulierte damit eine radikale Kritik der Aufklärung in einer Zeit, in der noch keiner das Wort „Aufklärung“ überhaupt kannte.

Niemals, so kann man die These des Florentiners zuspitzen, hat sich eine Gesellschaft auf rationale Einsicht oder einen ursprünglichen Vertrag gegründet, sondern stets auf nichts anderes als nackter Gewalt. Zu finden ist diese ungeheuer ketzerische Lehre in seinem Werk „Il Principe – Der Fürst“, das Machiavelli 1513, vor genau fünfhundert Jahren, verfasst hat.

Machiavelli geht es nicht um Normen, sondern um Macht

Die Schrift gleiche einer Bombe in einem Gebetbuch, meinte ein Historiker einmal. Stimmt. Formal wirkt „Der Fürst“ nämlich wie ein Text, der sich in die Tradition der damals gängigen Herrscher-Beratungsliteratur einfügt, etwa wenn Machiavelli erörtert, ob es für den Regierenden besser sei, seinen Untertanen gegenüber Milde oder Grausamkeit walten zu lassen. Doch nie geht es ihm darum, den Fürsten zu einem ethisch vollkommenen Regenten zu erziehen. Im Gegenteil: Normen, die das Handeln des Politikers einschränken, existieren für ihn nicht. Der Fürst kenne keinen Richter, der über ihm thront, keinen Gott, kein ewig gültiges Wertereich, keine Vernunftgebote.

Für Philosophen und Theologen, die sich just um solche Normsysteme mühten, hatte Machiavelli deshalb nur Spott übrig. Viel zu viele betrachteten die Welt nicht so, wie sie ist, sondern so, wie sie ihrer Meinung nach sein sollte: „Da ich aber etwas Nützliches für die Unterrichteten schreiben will, so dürfte es, nach meinem Dafürhalten, besser sein, wenn ich dem wirklichen Wesen der Sache nachgehe als einem Fantasiebild von ihr.“ Wer sich durchsetzen wolle, dürfe sich über die Natur des Menschen keine Illusionen machen; denn es sei unvermeidlich, „dass ein Mann, der überall rein moralisch handeln will, unter so vielen anderen, die nicht so handeln, früher oder später zugrunde gehen muss“.

Was wie ein Leitfaden zur skrupellosen Realpolitik klingt, war freilich schon immer mehr: ein Manifest, verfasst in der Hoffnung, dass um 1500 die Zeit reif sei für einen Politiker, der es versteht, das in Fürstentümer zersplitterte Italien zur Einheit zu führen. Nicht Allgemeinplätze, die sich beliebig in andere Zusammenhänge übertragen lassen, interessierten Machiavelli also, sondern die konkreten Aufgaben, die seine Gegenwart stellte.

Der Denker selbst war auf einen Erlöser fixiert

Er kümmert sich daher um die Frage, wie die Möglichkeiten, die jede einzelne historische Konstellation birgt, genutzt werden können. Und genau dies macht ihn zu einem politischen Denker par excellence – und zu einem Feind aller deterministischen Geschichtsmetaphysik, auch aller zukünftigen, ob es sich nun um marxistische Vorstellungen vom „historisch notwendigen“ Sieg des Kommunismus handelt oder um liberale Vorstellungen vom „Ende der Geschichte“, verkündet nach dem Fall des Ostblocks.

Für die Grundlegung seiner eigenen „Geschichtswissenschaft“ benötigte Machiavelli indes nur wenige Kategorien: Das Schicksal, Fortuna, gleiche einer Frau, die man an den Haaren packen und sich untertan machen müsse. Wer das vermag und auf die sich ständig ändernden Umstände richtig reagiere, beweise Virtù, also Tüchtigkeit. Inspiriert wurde er dabei von Cesare Borgia, dem Papstsohn, der sich aus dem Nichts ein Reich schuf, dann aber schwer erkrankte. Das Schicksal sei unberechenbar, folgerte Machiavelli daraus, doch den virtuosen Politiker zeichne aus, dass er die Wechselfälle des Schicksals für sich zu nutzen mag, so lang und gut es eben geht. Im Idealfall gleicht er also, modern gesprochen, einem Surfer, der auf jeder Welle zu reiten versteht, ohne je von einer unerwarteten Woge übermannt zu werden. Und ist die Zeit reif und taucht ein solch virtuoser surfender Machtmensch auf, dann scheint alles möglich zu sein. Und dann könnten sich auch jene historischen Momente einstellen, in denen der Weltlauf radikal verändert werden kann.

Man sieht: Niccolò Machiavelli bleibt in seinem Geschichtsbild auf eine singuläre Erlösergestalt fixiert. Das ist vormodern. Seine Lehre strahlt aber trotzdem bis auf den heutigen Tage eine große Faszinationskraft aus. Die Geschichte betrachtet er als radikal offen. Und wann sollte sie offener sein als in Zeiten der Krise?