Die „Brigitte“, Deutschlands ältestes Frauenmagazin, gibt es jetzt auch in einer speziellen Ausgabe für Über-Sechzig-Jährige. In der „Brigitte – Wir“ darf die Zielgruppe lesen, dass sie zur „Generation Glückskind“ gehört.

Stuttgart - Liebe Leserinnen ab 60, ich darf Sie doch so nennen, oder? Ehrlich gesagt, muss ich es sogar, denn in dieser Geschichte geht es um Rosenwurz. Der Rosenwurz, das ist ein Dickblattgewächs, das ideal gegen Stress, Erschöpfung und Vergesslichkeit wirkt. Müdigkeit und Reizbarkeit verschwinden, und über längere Zeit konsumiert, lindert dieser Rosenwurz auch depressive Verstimmungen und Wechseljahresbeschwerden.

 

Und wenn Sie, liebe Leserinnen ab 60, sich jetzt fragen, schön, aber was hat das mit mir zu tun, und wie kommt jemand auf die völlig absurde Idee, dass man sich automatisch für Rosenwurz interessieren muss, wenn man über sechzig ist – . . . dann, ja, dann liebe Leserinnen ab 60, fragen Sie doch mal die „Brigitte“.

Zwischen Klimakterium und Knieprothese

Deutschlands ältestes Frauenzeitschrift aus dem Hause Gruner & Jahr hat nämlich jetzt einen weiteren Ableger hervorgebracht. Nach „Brigitte Young Miss“, „Brigitte MOM“ und „Brigitte Woman“ (für die strick-affine Frau ab 40) erscheint ab jetzt die Extra-Ausgabe für Frauen ab 60. Als Magazin für die Dritte Lebenshälfte, so verkauft der Verlag das Produkt.

Es kam, wie es kommen musste. Die Gesellschaft wird immer älter, und mit ihr auch die Leserinnen der „Brigitte“. Doch der Titel des neuen Blattes klingt schon ein bisschen bedrohlich. Die dritte Lebenshälfte, das ist ja die Phase zwischen Klimakterium und Knieprothese. Eine Zeit also, in der sich die Akzente unmerklich verschieben, weg von den drei Ks - Kinder, Karriere, Karottenhose – hin zur Lektüre von Kalenderweisheiten und Kaffeekränzchen im betreuten Wohnen. Man denkt an einfühlsam gestrickte Reportagen über Rollatoren, Runzeln und Rosenwurz.

Und dann schlappt man zum Kiosk seines Vertrauens und pflückt sich die neue Oma der „Brigitte“-Familie aus dem Regal. Das Cover zeigt ein jung gebliebenes Golden Girl mit schockgefrorenem Verteidigungsministerinnenlächeln, das von einem warmen Signal-Rot umrahmt wird und den schönen Satz sagt: „Früher dachten wir, nur alte Menschen werden älter“.

Das Alter riecht nach 4711

Man kämpft sich durch 146 Seiten, vorbei an einem schon leicht vergilbtem Interview mit der Folk-Legende Joni „We shall overcome“ Mitchell, von 2014, an Fotos von schon leichenblassen, aber bizarr geschminkten Greisinnen, einem Dossier mit Kräutern gegen das Vergessen oder einem Nachruf auf die vor sechs Jahren verstorbene Primaballerina Pina Bausch. Und was erfährt man? Genau in diesem Spannungsfeld zwischen Kukident und Klinik bewegt sich „Brigitte – Wir“ tatsächlich.

Das Alter, lernt man, riecht nach 4711, es trägt stoßdämpfende Gesundheitsschuhe, bereitet sich langsam auf den Umzug ins Pflegeheim vor und erträgt diesen ganzen Jammer überhaupt nur, indem es sich mit Mother‘s Little Helpers zudröhnt. Es ist eine Volkskrankheit, vergleichbar mit Keuchhusten. Ihr Schrecken wird nur dadurch abgemildert, dass sie irgendwann jeden ereilen wird – Sie, Sie – und Sie. Ja, sogar Sie, liebe Leserin der „Brigitte MOM“, die Sie jetzt noch überlegen, wo Sie verdammt nochmal die Plazenta von ihrer jüngsten Geburt vergraben habt: Unter der Pizza Diavolo in der Gefriertruhe oder unter der Magnolie im Vorgarten?

Und man ertappt sich bei dem Wunsch, auf der Stelle eine Rosenwurz-Kapsel aus der Apotheke einzuwerfen, in der Hoffnung, dass die dann auch gegen eine spontan aufgetretene depressive Verstimmung infolge der Lektüre von „Brigitte – Wir“ hilft.

Zielgruppen zu segmentieren liegt im Trend

Überhaupt: Dieses „Wir“. Wen meint die Redaktion mit diesem künstlich aufgesetzten Pluralis Majestatis? Sind wir plötzlich alle ein bisschen Rosenwurz? Man muss nicht in der Altersklasse Ü 60 spielen, um sich darüber zu ärgern, dass Deutschlands älteste Frauenzeitschrift ihre ältesten Leserinnen jetzt mir nichts, Dir nichts eine Station weiter schiebt, in die Geriatrie, und diesen Verstoß gegen das Antidiskriminierungsversetz auch noch als Sechser im Lotto zu verkaufen versucht.

Kostprobe gefällig? „Wir Frauen über 55 fühlen uns jünger, und wir sind gesünder, fitter und unternehmungslustiger als jede Generation vor uns. Wir sind eine ,Generation Glückskind‘ mit fast anachronistisch anmutender Vergangenheit: Kindheit ohne Termine und TV, Jugend mit toller Rockmusik und ohne Handy-Kontrolle stalkender Mütter, Erwachsenwerden mit Pille und ohne den HIV-Virus. Ein sorgenfreier Start in den Beruf, denn es gab sie überall, die guten Arbeitsplätze.“

Mehr Tschakka, Tschakka geht nicht. Und man fragt sich schon besorgt: Haben sich die Verfasserinnen bei der Dosierung ihres Stimmungsaufhellers vertan? Nein, jetzt mal im Ernst. Zielgruppen zu segmentieren, liegt im Trend. Eine Fünfzigjährige hat nun mal einen anderen Erfahrungshorizont als eine Dreißigjährige. Und was liegt da näher, als beide Zielgruppen mit eigenen Blättern zu bedienen?

Alter als Chance, nicht als Krankheit

Wie gut das funktionieren kann, hat der Burda-Verlag gezeigt. „Donna“ heißt das reifere Pendant zur Freundin, seit 2010 holt die größere Schwester die über 45-jährigen Leserinnen dort ab, wo die stehen, nämlich mit beiden Beinen im Leben – und nicht mit einem schon in der DRK-Begegnungsstätte „Herbstfreuden“.

„Donnas“ Leserinnen sind also etwas jünger als die Zielgruppe von „Brigitte – „Wir“, der Ansatz ist aber ein anderer: Das Alter wird hier als Chance gesehen, nicht als Krankheit. Es kommt nicht so verkniffen und freudlos daher wie die neue, alte Tante Brigitte. Power-Frauen wie Ina Müller oder Erika Berger dürfen von ihren Zipperlein erzählen und gegen Miesepeter mobil machen. Im aktuellen Heft gibt es auch Verhütungstipps.

134 000 Exemplare verkauft Burda von „Donna“, die Auflage ist zwar nicht mal halb so groß wie die der „Freundin“, doch die Zahl zeigt: Der Markt für ein reiferes Frauen-Magazin ist also da. Wer ihn bedienen will, sollte seine Vorbilder aber lieber im Hier und Heute suchen und nicht in der Gruft. In „Brigitte – Wir“ hingegen wird auf einem Bild der Modestrecke eine Beerdigung besucht. Aber so viel schwarzer Humor darf, nein, muss sein.