Ein ungewöhnlicher Trend durchzieht gerade weltweit den Buchhandel: Malbücher für Erwachsene. Das Ausmalen von Tier- oder Pflanzenmotiven oder Mandalas soll entspannen und die Kreativität fördern.

Stuttgart - Wer dieser Tage durch eine Buchhandlung läuft, kommt nicht an ihnen vorbei: den „Malbüchern für Erwachsene“. Das klingt jetzt nach albernen Scherz-Geburtstagsgeschenken, ist aber nicht so gemeint. Vielmehr geht es um schwarz-weiß vorgezeichnete Bilder, mal sind es Tiere oder Blumen, mal geometrische Formen oder indische Mandalas, die dann vom Käufer nach Belieben bunt ausgemalt werden können. Es gibt aber auch „Star Wars“- oder „Game of Thrones“- Malbücher oder -Broschüren, bei denen Fans beispielsweise den Schauspieler Ryan Gosling ausmalen können. Der Effekt soll in allen Fällen der selbe sein: man entspannt sich und die eigene Kreativität wird angeregt – so wird zumindest für diese Taschenbücher geworben.

 

Seit knapp einem Jahr ist in Deutschland das Malfieber ausgebrochen. Der Trend kommt aus Amerika und Großbritannien, wo Erwachsene schon länger Mandalaformen oder Zauberwälder ausmalen und das farbenfrohe Ergebnis ihres neuen Hobbys auf Facebook teilen.

Auch die großen Verlage wollen mitmachen

Für den britischen Standortbuchhandel beispielsweise hat Nielsen BookScan im vergangenen Jahr einen Umsatz von etwa 35 Millionen Pfund (44,87 Millionen Euro) mit Ausmalbüchern errechnet. In Deutschland landeten im vergangenen Jahr gleich mehrere Ausmalbücher auf der vom Branchendienst Buchreport erhobenen Themenbestsellerliste „Malen und Zeichnen“. So rühmt sich der auf kreatives Gestalten und Malen spezialisierte Verlag Edition Michael Fischer (EMF) in München, dass er von der Reihe „Farbe rein, Stress raus“ im vergangenen Jahr 270 000 Bücher verkauft hat.

Während zu Beginn nur die Kreativ-Verlage wie EMF, Frech oder Moses auf der Malbuch-Erfolgswelle ritten, wollen nun auch breiter aufgestellte Verlage ein Stück vom Kuchen haben. Der Fischer-Verlag beispielsweise verlegt in Deutschland die Bücher von Johanna Basford, der Vorreiterin der Buntstift-Bewegung. Die beiden ersten Werke der schottischen Textildesignerin, „Secret Garden“ und „Enchanted Forest“, wurden weltweit über zehn Millionen Mal verkauft, allein drei Millionen Exemplare davon in China – innerhalb von drei Monaten.

Weil der dortige Verlag nicht schnell genug nachliefern konnte, kam es zu wütenden Protesten von Kunden im Netz. Auch Basford erklärt den Erfolg ihrer Malbücher mit dem Marketing-Zweiklang Entspannung und Kreativität, fügt aber noch den Nostalgie-Aspekt hinzu: „Viele Menschen sagten mir, dass sie als Kind heimlich Dinge ausgemalt haben, als sie im Bett lagen. Jetzt ist das sozial akzeptiert.“

Die Buntstifthersteller verdienen mit am Trend

Der Trend der Ausmalbücher wird auch in diesem Jahr weitergehen. Was auch daran liegt, dass diese Bücher echte Konsumgüter sind: Einmal vollgemalt, muss man sich ein neues kaufen. Allein bis zum Mai sollen in Deutschland mehr als 30 neue Titel erscheinen, in einer Preisspanne zwischen sechs und 17 Euro. Die Stifte-Hersteller freuen sich mit: Faber-Castell vermeldet weltweit ein zweistelliges Umsatzwachstum bei Mal- und Zeichenutensilien.

Der Münchner Knaur-Verlag will in diesem Jahr zehn weitere Ausmalbuchtitel veröffentlichen. Die bisher erhältlichen „Achtsamkeitsmalbücher“ haben sich nach Angaben einer Verlagssprecherin bisher 70 000 mal verkauft.

Carlo Günther, Leiter der Sparte „Bewusst leben“ bei der Verlagsgruppe Droemer Knaur, erklärt den Trend so: „Malbücher sind ein Ausgleich zu den hohen geistigen Anforderungen im Informationszeitalter – sozusagen eine kleine Flucht vor der digitalen Welt in eine analoge, kreative Oase.“

Kreative Ausbildung

Dass das Ausmalen von Formen die Kreativität anregen soll, hält Joachim Funke, Professor für Psychologie an der Universität Heidelberg und spezialisiert auf Kreativitätsforschung, für „faule Versprechungen“. So einfach sei Kreativität nicht. Die kreative Anregung sei beim Ausmalen minimal, wenn sie sich nur auf die Farbwahl beschränke, sagt Funke. Dass es eine entspannende Wirkung haben kann, bestätigt der Forscher, „aber das ginge auch mit anderen Dingen, die einen vom Alltag ablenken“. Wirklich kreativ wäre es, selbst eigene Formen und Bilder zu malen: „Wenn die Ausmalbücher also eine Anregung sind, die Scheu vor dem Selber- Malen zu überwinden, würde ich sie nicht so kulturpessimistisch betrachten, wie das oft getan wird.“

Ausmalbücher in der Welt

USA:
Die US-Buchbranche geht davon aus, dass die Ausmalbücher in den USA ein Absatzplus von fünf Prozent bei Taschenbüchern im vergangenen Jahr bewirkten. Barnes & Noble veranstaltete einen landesweiten Aktionstag: 647 Filialen luden am 14. November zum Ausmalen.

Brasilien:
Auch das südamerikanische Schwellenland ist im Ausmalfieber. Mehr als die Hälfte der zehn meistverkauften Bücher dort waren 2015 Ausmalbücher. Der Boom begann im April, als Basfords Bücher auf den Markt kamen. Der Stiftehersteller Faber-Castell meldete, dass der Stifteverkauf in diesem Monat fünfmal höher war als im April 2014.