Das Landgericht Heilbronn hat elf Spätaussiedler wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Sie sollen mit ihrer Gruppe einen schwunghaften Drogenhandel hinter Gittern betrieben haben.

Heilbronn - Die 3. Strafkammer des Heilbronner Landgerichts hat am Montag ihren über zwei Jahre währenden Mammutprozess gegen elf Männer aus den früheren Sowjetrepubliken mit Schuldsprüchen zu Ende gebracht. Die Kammer unter Vorsitz von Richter Norbert Winkelmann hat die Angeklagten wegen Drogenhandels in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Heilbronn und wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu Gefängnisstrafen von dreieinhalb Jahren bis zu neun Jahren verurteilt.

 

„Das war nicht nur eine soziale Zweckgemeinschaft, sondern eben eine kriminelle Vereinigung“, so Richter Winkelmann über die Gruppierung, die sich selbst Bruderschaft nennt und die sich auf breite Unterstützung außerhalb der Heilbronner Gefängnismauern verlassen kann. „Dabei schreckte die Bruderschaft nicht davor zurück, in Freiheit befindliche Personen durch Drohungen unter Druck zu setzen“, sagt Staatsanwältin Katrin Fischer.

Der Boss der Bruderschaft heißt „der Sehende“

Die Männer im Alter zwischen 29 und 48 Jahren sollen Teil einer straff organisierten und streng hierarchisch aufgebauten Gruppe sein, die in der JVA Heilbronn einen schwunghaften Drogenhandel mit Heroingemisch, Marihuana, Haschisch und dem Drogenersatzstoff Subutex in Tablettenform aufgezogen haben soll. Der jeweilige Kopf der Gruppe wird der Sehende genannt. Unter ihm organisieren die Stockwerksbosse den Handel. Die sogenannten Arbeiter sorgen auf der unteren Ebene schließlich dafür, die Drogen zu transportieren und an andere Häftlinge zu verkaufen. Die Bruderschaft nutzt ein verschlüsseltes Vokabular, eine Art Geheimsprache. Die Erlöse des Handels wandern in die Gemeinschaftskasse. Und bei der Bruderschaft gilt ein eisernes Gesetz: keine Zusammenarbeit mit Behörden, sonst drohen drakonische Strafen.

Die Drogen kommen teils auf abenteuerliche Weise ins Gefängnis. Da ist von präparierten Schuhen die Rede, von Körperschmuggel und vom sogenannten Mauerwurf, bei dem Drogenpäckchen mit einer Schleuder über die Gefängnismauern befördert werden. Ein Häftling, der regelmäßig außerhalb des Gefängnisses zur Blutwäsche musste, soll Drogen im Darm geschmuggelt haben.

Das Geschäft scheint sich zu lohnen, vor allem beim Handel mit Subutex. Die Tabletten sollen im Siebenerpack für etwa 50 Euro beschafft und so zerkleinert worden sein, dass für eine Pille 190 Euro verlangt werden konnten.

Ein Angeklagter ist ein verurteilter Mörder

Vorsitzender Richter Winkelmann sagt zwar, man habe bei der Urteilsfindung berücksichtigt, dass einige der Angeklagten selbst drogensüchtig seien. Trotzdem halten die Verteidiger die Strafen für zu hoch. Haupthandelsware sei Subutex gewesen, so Verteidiger Axel Sauer – vornehmlich für den Eigengebrauch. „Und Subutex bekommt man in Frankreich ganz einfach auf Rezept“, so Sauer. Die Staatsanwältin hatte für die Hauptangeklagten bis zu elf Jahre und sechs Monate beantragt.

Auf der Anklagebank im Mehrzweckgebäude des Oberlandesgerichts Stuttgart neben dem Stammheimer Gefängnis, wo der Prozess aus Sicherheitsgründen stattgefunden hat, tummelte sich eine illustre Gruppe, darunter ein Pianist, ein ehemaliger Boxmeister und ein verurteilter Mörder. Der deutschkasachische Sportler, inzwischen 32 Jahre alt, war einst süddeutscher Meister im Weltergewicht und galt als große Boxhoffnung, ehe er wegen seiner Drogensucht abrutschte. Ein 30-jähriger Angeklagter sitzt wegen Mordes eine lebenslange Freiheitsstrafe ab. Er hatte im Dezember 2006 eine 81 Jahre alte Frau in ihrer Wohnung in Bad Rappenau wegen 1900 Euro Beute mit einem Schraubendreher ermordet.

Gegen einige der jetzt Verurteilten laufen bereits weitere Ermittlungen wegen neuer Drogendelikte hinter Gittern.

Schmuggel in Haftanstalten kaum zu kontrollieren

Der Drogenhandel in Gefängnissen lässt sich nach Ansicht des Justizministeriums nicht völlig unterbinden. Meist gelangten die Drogen über Besucher in die Strafanstalten. Oft würden sie in Körperöffnungen versteckt, bisweilen würden die Drogen sogar über die Gefängnismauern geworfen.

Die Außenbereiche würden daher gezielt abgesucht, Besucherräume streng kontrolliert, und Toilettengänge seien während der Besuche untersagt. Doch eine anlasslose Kontrolle der Besucher sei in einem Rechtsstaat nicht ohne weiteres möglich. „Auch im Strafvollzug gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“, sagt ein Sprecher. Im Jahr 2015 wurden in den 17 Haftanstalten Baden-Württembergs 280 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz registriert, die höchste Zahl seit zehn Jahren. Für das Ministerium ist sie allenfalls ein Indiz für die tatsächliche Dimension des Problems. Die Medizinischen Dienste im Land schätzen, dass rund 21 Prozent der Gefangenen bereits vor der Haft Kontakt mit Drogen hatten. Konsumiert und gehandelt wird in den Gefängnissen vor allem mit Haschisch und Marihuana. Immer häufiger werden auch sogenannte „Legal Highs“ gefunden.

Im Kampf gegen die Drogendealer setzt das Land verstärkt auf sogenannte Strukturbeobachter. In jeder Justizvollzugsanstalt ist ein Beamter freigestellt, um Informationen über kriminelle Strukturen zu sammeln. Die Trennung verdächtiger Gefangenengruppen hat sich dabei als sinnvolle Maßnahme erwiesen. „Das hat eine deeskalierende Wirkung“, sagt Alexander Schmid, Vorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten im Südwesten. Der BSDB fordert mehr Personal in den Gefängnissen; 200 Strafvollzugsbedienstete fehlten, sagt Schmid. Im Moment plant das Justizministerium keine zusätzlichen Stellen. Minister Guido Wolf (CDU) prüft den verstärkten Einsatz von Drogenspürhunden. Im Gespräch sind auch bauliche Nachrüstungen: mehr Kameras im Besucherbereich und spezielle Gittervorrichtungen gegen Mauerwürfe.