In der Union und der SPD wächst die Kritik an der Bundesregierung, die sich weigert, die Verfolgung der Armenier zu Beginn des vorigen Jahrhunderts als Völkermord zu bezeichnen.

Berlin - Deutschland tut sich von jeher schwer mit dem Gedenken an das Massaker an Armeniern, dessen Beginn sich am 24. April zum hundertsten Mal jährt. Bundesregierungen gleich welcher Couleur fürchten bis zum heutigen Tag diplomatische Verwicklungen mit der Türkei weit mehr als sprachliche Präzision. Aber in diesem Jahr könnte zumindest im Bundestag Bewegung in die zuletzt stets ebenso vorsichtige Haltung des Parlaments kommen. Abgeordnete von Union und SPD wollen es nicht mehr hinnehmen, nicht sagen zu dürfen, was aus ihrer Sicht offen ausgesprochen werden muss: dass das Osmanische Reich damals einen grausamen, systematischen Völkermord an dem christlichen Volk beging. Auf die Befindlichkeiten der Türkei, speziell die des Präsidenten Recep Erdogan, wollen sie keine Rücksicht nehmen.

 

Um das Gedenken an den Genozid im Bundestag am 24. April vorzubereiten, hatte eine Arbeitsgruppe mit Politikern aller vier dort vertretenen Parteien eigentlich einen gemeinsamen Beschluss erarbeiten wollen. Für die Oppositionsvertreter Cem Özdemir (Grüne) und Petra Pau (Linke) bestand kein Zweifel, dass der Völkermord auch als solcher benannt werden müsse. Aber auch die Gesandten der Koalition, Christoph Bergner (CDU) und Dietmar Nietan (SPD), wollten weitergehen als noch vor zehn Jahren, als die damalige rot-grüne Regierung durchsetzte, dass das Reizwort „Völkermord“ nur in der Begründung des Antrags auftauchte, nicht aber im Antragstext selbst. Diesmal sollte schon die Überschrift („Wir gedenken der Opfer des Völkermords an den Armeniern vor 100 Jahren“) Klarheit schaffen. Aus Respekt vor den Opfern, wie Nietan der StZ sagt. „Wer Opfer gedenkt, muss auch klar sagen, weshalb er ihnen diese Ehre erweist“, so der SPD-Mann.

Textkorrektur durch die Regierung

Dann aber geriet diese Vorlage auf die Schreibtische in Kanzleramt und Auswärtigem Amt. Und als die Überarbeitung zurück in die Fraktionen kam, fand sich das Wort „Völkermord“ darin nicht wieder. Der Nato-Bündnispartner Türkei gilt als wichtiger Partner im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat, als Brücke des Westens in die islamische Welt. Entsprechend zahm soll der Beschluss des Bundestags sein.

Die Fraktionsspitzen von Union und SPD sind nun gefordert, ihre Abgeordneten zu überzeugen. Das dürfte nicht leicht sein. Nietan jedenfalls hält nichts von zu großer  Rücksichtnahme, weil Erdogan dieses nicht mit Entgegenkommen entlohne. „Ich halte es für politisch falsch zu glauben, dass man mit dieser Haltung etwas erreicht“, so Nietan. Es sei auch kein gutes Signal an die Zivilgesellschaft in der Türkei, die sich in ihrem Bemühen um historische Redlichkeit im Stich gelassen fühle.

Es zeichnet sich deshalb eine merkwürdige Allianz ab. Bei der SPD sehnt sich der linke Flügel danach, in der Außenpolitik stärker werteorientiert und nicht nur pragmatisch zu handeln. Und in der Union könnten sich jene zum Widerstand ermuntert fühlen, die stets der Meinung waren, dass die Türkei mit Vorsicht zu betrachten sei, jedenfalls in der Europäischen Union nichts zu suchen habe. Zumal der Fraktionschef Volker Kauder sich stets vehement für die Belange verfolgter Christen weltweit einsetzt, weshalb also nicht auch des Schicksals des christlichen Volks der Armenier mit klarer Wortwahl gedenken?

Was wird der Bundespräsident sagen?

Am Freitag, dem 24. April, werden in der einstündigen Gedenkstunde dennoch zunächst wohl drei Anträge zur Abstimmung vorgelegt, zwei der Opposition und die abgeschwächte Fassung der Koalition. Aber SPD-Mann Nietan weist darauf hin, dass ja dann noch nicht abschließend abgestimmt werde, sondern die Anträge in die Ausschüsse verwiesen würden. Dort hofft Nietan dann auf Einsicht, so dass im abschließenden Beschlusstext des Bundestags endlich doch noch die aus seiner Sicht notwendige Klarheit geschaffen werden könne.

Den Kritikern in der Koalition könnte in die Hände spielen, dass die Bundesregierung mit ihrer Haltung zunehmend isoliert ist. So wird bei der zentralen Gedenkveranstaltung in Eriwan am 14. April unter anderen Frankreichs Staatspräsident François Hollande erwartet, Deutschland wählt dagegen mit Staatsminister Michael Roth (SPD) eine vergleichsweise unauffällige Besetzung. Die Franzosen haben ohnehin keine Scheu mehr, von Völkermord zu sprechen. Ebenso Papst Franziskus. Man wird außerdem sehen, welche Wirkung der gemeinsame Gedenkgottesdienst der christlichen Kirchen am Abend vor der Bundestagsabstimmung im Berliner Dom erzielt. Denn dort soll auch Bundespräsident Joachim Gauck sprechen, der nicht bekannt dafür ist, zwanghaft diplomatisch zu sein. Sollte Gauck sich ähnlich deutlich äußern wie der Papst, dürfte es den Abgeordneten der Koalition am Tag danach umso schwerer fallen, die Regierungslinie zu halten.