Max Bächer, in Stuttgart geboren, hat gebaut, in Darmstadt als Professor gelehrt, und vor allem hat er geschrieben und sich in die Architekturdebatte eingemischt.

Stuttgart - Eine ganze Architektengeneration ist dabei, sich zu verabschieden. Einer nach dem anderen von ihnen geht.“ Das schrieb vor zwei Jahren in der Stuttgarter Zeitung der Architekt Max Bächer zum Tod seines Stuttgarter Kollegen und Weggefährten Walter Belz. Und nun gilt es, von ihm selbst, von Max Bächer, Abschied zu nehmen. Am 11. Dezember ist er 86-jährig in Darmstadt, seinem langjährigen Wohn- und Arbeitsort, gestorben.

 

Man könnte fortfahren mit Bächers eigenen Worten: „Den Krieg hatten sie (die Architekten dieser Jahrgänge) als junge Leute, teilweise noch nicht einmal Abiturienten, leidlich überstanden, waren aus Lazaretten, aus Gefangenschaft und Internierungslagern in eine ungewisse Zukunft zurückgekehrt.“ So kam auch Max Bächer in das Ruinenfeld seiner Heimatstadt Stuttgart zurück, mit einer Kriegsverletzung am linken Arm, die ihm eine bleibende Behinderung eintrug, desillusioniert, entschlossen, den totalitären Bombast der Speers und Troosts hinter sich zu lassen, den Neuanfang zu wagen und sich frischen Wind um die Nase wehen zu lassen, der damals, 1946, als Bächer sein Architekturstudium an der Stuttgarter TH aufnahm, vor allem aus Amerika herüberwehte.

Es war daher nur folgerichtig, dass es ihn über den großen Teich zog, an das Georgia Institute of Technology in Atlanta, wo I. M. Pei seine Entwürfe korrigierte, wo er sich von Louis Kahns Kubismus und Richard Neutras Eleganz und Leichtigkeit beeindrucken ließ, Ludwig Mies van der Rohe kennenlernte und dem Ehepaar Eames beim Einzug im kalifornischen Santa Monica half. Welche Spuren das bei ihm hinterlassen hat, kann man am besten am Haus Windstoßer sehen, das Bächer Ende der fünfziger Jahre für den Fotografen Ludwig Windstoßer baute: eine Stuttgarter Ikone der Fünfziger, die ganz und gar unschwäbisch mit großen Glasscheiben und einem weit auskragenden Dach über der Neuen Weinsteige schwebt – und das zum Glück bis heute, weil es dem Nachbesitzer gelungen ist, die denkmalgeschützte Villa nach langem Leerstand vor dem Verfall zu retten.

„Gut, dass wir uns nicht durchgesetzt haben“

Doch hat auch Max Bächer sein Bausündenregister. In den Aufbaujahren machte er sich für den Abriss des kriegsbeschädigten Neuen Schlosses stark – „wie gut, dass wir uns nicht durchgesetzt haben“, bekannte er später –, und er plante zusammen mit Kammerer und Belz den Kleinen Schlossplatz. Dieser, seit der Entstehung des Kunstmuseums schon halb in Vergessenheit geraten, war nicht in erster Linie Insignie der Stadt der Zukunft, als das er anfangs gefeiert wurde, sondern hauptsächlich Deckel auf einem gigantischen Verkehrsbauwerk, das dem Klassizismus der benachbarten historischen Bauten roh zu Leibe rückte und mit mehreren Tunnelöffnungen auf die Königstraße mündete. Für Fußgänger, so dachte sich eine vom Auto besoffene Zeit, könnte die Stadt ebenso gut auch in der ersten Etage weitergehen. Funktioniert hat das nie, und auch das hat Bächer später freimütig zugegeben.

Vielleicht war es gerade die Erfahrung der eigenen Irrtümer und gesellschaftlicher Holzwege, die ihn allmählich mit Skepsis gegen Fortschrittsideologie und Glücksverheißungen der Moderne impfte. Einer seiner Lebensläufe – sein Freund und Kollege Hans Kammerer attestierte ihm „gleich mehrere“ – galt darum dem Nachdenken und Schreiben über Architektur. Und das, so kann man wohl nicht erst rückblickend sagen, war Max Bächers größte Begabung.

Kein praktizierender Architekt hierzulande konnte so geschliffen, so anspielungsreich, so ironisch und temperamentvoll über Entwicklungen und Fehlentwicklungen im Bauen schreiben und streiten wie er. Theoretischen Fragen galt sein Interesse dabei selten, gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen immer. Auch bestanden Architektur und Städtebau für ihn nicht allein aus Ideen, Stahl, Beton und Glas. Sein Zugang war ein ausgesprochen sinnlicher, wie jeder merken konnte, der je seinen Erinnerungen an die Gerüche und Geräusche, Lüfte und Farben des Stuttgarts seiner Kindheit lauschte.

Lustvoll hat er sich in die Debatte um Stuttgart 21 geworfen

„Max Bächer machte Architektur mit Worten“, nennt der Stuttgarter Architekt Arno Lederer dieses schriftstellerische Ingenium des Freundes. Als „Guru“ und „bunte Eminenz“, die rhetorisch die Fäden zog, hat ihn die FAZ einmal beschrieben. In der Tat. Das gebaute Werk bleibt überschaubar, seine Aufsätze, Essays und Vorträge dagegen füllen Regale. Vieles davon dürfte posthum erscheinen, denn erst im hohen Alter hat Max Bächer begonnen, seine Texte zu ordnen und zu publizieren, darunter in dem 2008 erschienenen Sammelband „Mehr als umbaute Luft“ (Hohenheim Verlag).

Die vielen Lebensläufe des Max Bächer

Die Väter der Bundesstiftung Baukultur etwa bekamen seinen Spott ebenso zu spüren wie die Kollegen „Künstlerarchitekten“, die sich schon, „weil es rein regnet“, für bedeutend hielten. In einem Vortrag über Stuttgart witzelte er: „’Wir brauchen eine neue Identität’, forderte kürzlich ein Stadtrat. Da mag er wohl recht haben, wenn’s so weitergeht. Um die alte Identität zu zerstören, hat man auch genug Geld aufgewendet. Nun soll eine neue her. Geheimagenten bekommen gelegentlich eine neue Identität, damit sie keiner wiedererkennt.“ Überhaupt Stuttgart. Lustvoll hat Bächer sich in die Debatte um Stuttgart 21 geworfen, mit Vehemenz schon 1996 in der StZ gegen die geplante Zerstörung von Stadt und Schlossgarten angeschrieben, den undurchsichtigen Planungsverlauf und die mangelnde Beteiligung der Bürger verurteilt. Noch zuletzt im Krankenhaus, berichtet Arno Lederer, habe er, Volksabstimmung hin oder her, an einer Streitschrift gegen das Projekt gebastelt.

Zu Max Bächers anderen Lebensläufen gehörten der als Juryvorsitzender in nahezu sämtlichen wichtigen Wettbewerben der Republik, vom Ulmer Stadthaus bis zu den Berliner Regierungsneubauten, und als Gestaltungsbeirat in Städten wie Salzburg und Pfullingen. Ein weiterer wichtiger Lebenslauf war der als Professor in Darmstadt, wo er neben den Stuttgartern Günter Behnisch und Walter Belz zu den drei großen „B“ der Hochschule zählte.

Nicht zu vergessen den Menschen Max Bächer: seine hagere Gestalt mit dem gehäkelten Käppi auf dem kahlen Schädel, das ihm im Alter eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Pianisten Friedrich Gulda verlieh, sein Charme, sein Humor, seine Bildung, Sarkasmus. Seine Stimme wird fehlen – nicht nur in der Architekturdebatte.