Mayotte ist das 101. Departement von Frankreich, wenngleich gut 8000 Kilometer von Paris entfernt. Zu Besuch in einem Stück Europa vor der ostafrikanischen Küste.

Drei Männer blicken stoisch nach vorn, ihre Gesichter sind bewegungslos. Alle drei haben eine Zigarette im Mund, die nicht brennt. Sie werden beschirmt von hinter ihnen gehenden Frauen und umtanzt. Eine Musikgruppe trommelt afrikanische Rhythmen. Die Stimmung ist heiter, ausgelassen. Nur die drei Männer verziehen keine Miene. Sie gehen ohne Regung ihren Weg. Eine Hochzeitszeremonie in Frankreich, 8043 Kilometer südöstlich von Paris, auf Mayotte im Indischen Ozean, wo die Polizisten, die Flics, kurze Hosen tragen, das Baguette so gut schmeckt wie im Quartier Latin, wo französisch gesprochen und mit dem Euro bezahlt wird. Im 101. Departement Frankreichs ist so manches wie auf dem Festland. Doch so manches auch anders - ganz anders. Der Bräutigam in der Mitte, umrahmt von Vater und künftigem Schwiegervater, wird seine dritte Frau ehelichen. Zusätzlich zu seinen beiden ersten Frauen. Polygamie ist in Mayotte weit verbreitet, auch wenn sie durch das geltende französische und europäische Gesetz eigentlich verboten ist.

 

Trotz Polygamie hat jede Ehefrau die gleichen Rechte

„Ein Mann hat es bei uns gar nicht so einfach“, erklärt einer aus der Hochzeitsgesellschaft. „Die Zigaretten im Mund symbolisieren, dass der Bräutigam reich ist, und auch der Brautschmuck, den eines der Mädchen für alle zur Schau trägt, war nicht billig, aber er wird seiner neuen Frau auch ein Auto kaufen müssen!“ Die imaginären Fragezeichen im Gesicht des weißen Besuchers lassen den Mann fortfahren: „Jede Ehefrau hat die gleichen Rechte. Hat eine von ihrem Mann einen Goldring geschenkt bekommen, muss er allen einen Goldring geben. Und haben die beiden ersten Frauen ein Auto erhalten, hat auch die dritte das Recht auf ein Auto.“

Mayotte ist eine muslimische Insel. 98 Prozent der Bevölkerung sind sunnitische Muslime. Die Frauen sind nicht verschleiert. Ihre farbenfrohen Kopftücher und Umhänge strahlen afrikanisch-lebensfroh. Und gefragt nach der beigebraunen Sandelholzcreme, die viele über Wangen und Stirn streichen, sagt eine Dame kokett: „Das Sandelholz schützt uns vor der Sonne und macht die Haut samtweich.“ Mit einem Schmunzeln fügt sie hinzu: „Mein Mann mag es sehr, wenn ich es auch nachts auflege. Denn es riecht so gut.“ Rund 95 Prozent der Einwohner Mayottes wählten 2009 bei einer Volksabstimmung den Verbleib bei der Kolonialmacht. Eine rein wirtschaftliche Entscheidung, aber „95 Prozent sind auch irgendwie stolz, Franzosen zu sein und diesen weinroten EU-Reisepass zu haben“, sagt Lokalpolitiker Bacar Mohamed. „Schließlich geht’s uns ja auch zehnmal besser als den Komoren.“ Der Nachbarinselstaat hat historische Ansprüche auf Mayotte, macht sich aber wegen Frankreichs Willen, das Eiland aus geostrategischen Gründen zu halten, keine Hoffnung auf eine Angliederung. Mayotte liegt zwischen den Komoren und Madagaskar und ist in Europa so gut wie unbekannt.

Mayotte will Urlauber locken

Jetzt hat man sich aber in der Hauptstadt Mamoudzou in den Kopf gesetzt, mehr als nur ein paar Franzosen als Urlauber anzulocken. Im Fokus stehen die Deutschen. Es gibt keine abschreckende Armut sowie einiges, das Individualisten anziehen könnte. Die Erfahrung hat gezeigt, dass auf Individualisten bald auch die ersten Einkäufer der Reiseveranstalter folgen. Doch bis dahin dürfte es ein weiter Weg sein. Fatimatie Bintie, die neue Präsidentin der Tourismusbehörde, sagt nur: „Wir haben EU-Gelder bekommen, also müssen wir etwas damit machen.“ Das Wort Masterplan scheint so unbekannt zu sein wie der Begriff Investor. „Beides haben wir nicht“, meint Madame Présidente. Das Drei-Sterne-Hotel Sakouli war 2004 der letzte Hotelneubau auf der Insel. Seitdem wurde nichts an dem eigentlich schön gelegenen Resort gemacht. Nicht einmal Accor, einer der größten Hotelkonzerne der Welt, traut sich ins Feriengeschäft der Insel. Wobei die französische Hotelkette üblicherweise überall vertreten ist, wo die Trikolore weht. Aber wen wundert das, Fatimatie Bintie kann nicht mal anführen, was ihre Insel denn attraktiv macht.

Das Liebesspiel von Walen wäre etwa eine Antwort gewesen. Nirgendwo sonst auf der Welt kommt man mit etwas Glück so nahe an die Riesensäuger heran. Sie reisen aus der Antarktis zur Paarung vor das die Insel fast völlig umgebende Riff, das inzwischen auch so manche Tauchpioniere entdeckt haben. Und die Riesen zeigen ihr ganzes Ritual: Klatschen ihre Schwanzflossen ins Meer, schlagen mit der Seitenflosse und das Männchen zeigt seine ganze Kraft, indem es sich fast komplett aus dem Wasser katapultiert und mit seinen 30 Tonnen Gewicht wieder in den Ozean fallen lässt. „Vor einer Paarung findet ein längeres Liebesspiel statt“, erzählt Jean-François, der Skipper. „Leider findet der geringste Teil nur unter Wasser statt. Weibchen und Männchen schwimmen Körper an Körper, berühren sich, knabbern am Maul und an den Brustflossen des anderen“, sagt der aus Nancy stammende Walbeobachter. Wer das Expeditionsschlauchboot mit einem piekfeinen Katamaran tauscht, der lernt auch menschenleere Buchten und die blitzsaubere Ilot de sable blanc kennen, eine von sieben Sandbänken in der größten geschlossenen Lagune der Welt, wo man für ein paar Stunden Robinson spielen und im türkisfarbenen Indischen Ozean baden und mit Schildkröten schnorcheln kann. Bei Ebbe ist die Sandbank fast verschwunden, bei Flut an die 100 Meter lang. Im Inselinneren stößt man beim Dschungeltrekking auf endemische Maki-Affen, die nicht nur markante, hervorstechende orange Augen haben, sondern auch Hände wie Menschen.

Müll ist ein großes Problem auf Mayotte

„Auf Mayotte gibt es mehr Makis als Menschen“, sagt Attoumani Harouna, Guide bei Baobab Tour. „Stirbt eines der Tiere, begraben die Herdenmitglieder den verendeten Maki, wie es die Menschen auch tun.“ Wander- und Naturguide Attoumani kennt jeden Baum und jeden Strauch, von Akazie bis Ylang-Ylang. Er kennt jedes Tier, ob den endemischen Drongo, der mit seinem Schwanz an unsere Schwalbe erinnert, oder die Flughunde, die man Tag und Nacht beobachten kann. An der Küste angelangt, erklärt er auch die moderne Funktion der Mangroven. „Sie halten den Plastikmüll fern von unserer schönen Lagune. Sie sind unser Müllschlucker.“ Attoumani hat die meisten Wege im Inneren der Insel für Wanderer gekennzeichnet, und wenn er wieder zurück in die Dörfer kommt, schießt ihm die Wut ins Gesicht ob des überall verstreuten Mülls. „Plastiktüten sind eben keine Bananenschalen“, sagt er. „Das Problem gibt es erst, seitdem wir Supermärkte haben und jede Ware in Plastiktüten eingepackt wird.“ Immerhin: Abhilfe ist in Sicht. Schulkinder machen Müllsammeltage und 2016 soll eine Müllabfuhr organisiert werden. Denn bis jetzt gibt es zwar Mülltonnen, die jedoch so gut wie nie geleert werden.

Mayotte könnte ein kleines Paradies sein. Weit weg vom üblichen Tourismus. „Bei uns ist die Stille lauter als das Gezwitscher der Vögel“, sagt Nadine vom Gite Le Relais Forestier. Gites sind einfache Gasthäuser im Landesinneren, die Wanderern Essen und ein Dach über dem Kopf bieten. Im Falle von Le Relais Forestier bekommt der Besucher sogar eines der netten fünf Bungalows mitten im stillen Wald. Nadine, Yoga-Lehrerin aus Anger in Nordfrankreich, bietet auf der Terrasse Yoga-Stunden an, ihr Mann kümmert sich um Küche und Unterkünfte. Am Musicale Plage steht der älteste Baobab, ein 600 Jahre alter afrikanischer Affenbrotbaum. Aber es steht auch ein Schild an diesem Strand. Ein sehr irritierendes Schild. Es weist aus, dass dort kürzlich ein Picknick-Platz angelegt wurde: Zu sehen sind ein paar Bänke, zwei Hütten, Parkplätze und eine Zufahrtspiste zur Hauptstraße. Kosten: 645 000 Euro. Schon ein Zehntel käme einem für das Errichtete zu hoch vor. 55 Prozent übernahm das Department, also Frankreich, 45 Prozent die Europäische Union. Es ist Frankreich, aber halt ganz anders als in Frankreich.

Infos zu Mayotte

Mayotte

Anreise

Gesamtreisezeit fast 24 Stunden, immer über Paris und Réunion (mit Zwischenstoppmöglichkeit). Air Austral bietet ab Juni 2016 einen Direktflug von Paris nach Mayotte, was die Reisezeit um 6 Stunden verkürzt. Preis ab etwa 1500 Euro, www.air-austral.com oder www.corsair.fr.

Unterkünfte

Hotel Sakouli: Bungalows am Hang über einem schwarzen Sandstrand, drei Sterne, schon etwas abgewohnt, 200 Euro, http://hotelsakouli.com.
Jardin Maoré: Bungalows an einem hellen Sandstrand, gut ausgestattet, drei Sterne, teures Restaurant, 240 Euro, www.hotel-jardin-maore.com.
Le Relais Forestier: einfache Bungalows im Inselinneren, familienfreundlich, 110 Euro pro Bungalow inklusive Halbpension für zwei Personen, www.giteamayotte.com.

Pauschalangebote

Pauschal kostet eine Woche Flug, Hotel, Halbpension, Transfers ab rund 2300 Euro pro Person, etwa bei www.trauminselreisen.de oder www.afrika-travel.de.

Essen und Trinken

Restaurants nach europäischem Standard gibt es nur in Mamoudzou. Gerichte in sehr einfachen Lokalen auf dem Land, wie Reis und Fleisch- oder Fischspieße, kosten um 5 Euro.

Mietwagen

Ab 40 Euro pro Tag, etwa bei Europcar, www.europcar.com. Lokale Anbieter bieten Autos um die Hälfte, aber bei der Abgabe des Wagens gibt es endlose Diskussionen über scheinbar neue Kratzer und Beulen am Fahrzeug. In der Regel wird ein Teil der als Kaution hinterlegten 600 Euro einbehalten!

Sehenswertes und Ausflüge

Walbeobachtungen sind von Juli bis Oktober möglich, 4 Stunden kosten 45 Euro pro Person, www.mayottedecouverte.fr.
Katamarantour: 130 Euro pro Person am Tag, www.catamayotte.com.

Was Sie tun und lassen sollten

Auf jeden Fall etwas Französisch lernen. Ein paar Brocken und ein paar Komplimente helfen weiter. Auf keinen Fall mit der Tür ins Haus fallen und fragen, warum Mayotte zu Frankreich gehören will.

Allgemeine Informationen

Auf Mayotte wird Französisch gesprochen. Bezahlt wird mit dem Euro, Bankautomaten gibt es in jedem größeren Dorf. Es sind keine besondere Impfungen nötig. Krankenhäuser können mit der europäischen Krankenversicherungskarte genutzt werden.
Weitere Infos unter www.mayotte-tourisme.com (es gibt keine Vertretung in Deutschland).