Heuschnupfen wird häufig nicht ernst genug genommen. Dabei kann dieses Leiden zu allergischem Asthma führen – eine Erkrankung, welche die Lunge sowie langfristig auch andere Organe schädigt und die man nicht unterschätzen darf.

Stuttgart - Den Allergie-Experten Carsten Schmidt-Weber bringt die Meinung „ist ja nur ein bisschen Allergie“ auf die Palme: „Es rollt nämlich eine regelrechte Allergiewelle auf uns zu“, sagt der Direktor des Allergieinstitutes am Zentrum für Allergie und Umwelt der Technischen Universität und Helmholtz-Zentrum München. Bereits heute haben mehr als 20 Prozent der Kinder und rund 30 Prozent der Erwachsenen eine Allergie – Nahrungsmittelallergien eingeschlossen. Bis in 25 Jahren wird schätzungsweise jeder Zweite mit Allergien zu kämpfen haben, und zwar vom frühen Kindesalter bis hin ins hohe Alter.

 

Angesichts der großen Zahl Betroffener ist es für den Münchner Biochemiker und Immunologen völlig unverständlich, dass es in Deutschland noch keinen Facharzt für Allergologie gibt. Aktuell existiert dieser Facharzt in zwölf europäischen Ländern, in vier Ländern wird die Allergologie dagegen behandelt wie in Deutschland – als sogenannte Sub Specialty, das heißt als Zusatzqualifikation. Die Union of European Medical Specialists (UEMS) befürwortet die europaweite Einführung eines Facharztes für Allergologie .

Heuschnupfen: Gefahr von allergischem Asthma wächst

Insbesondere bei Heuschnupfen denken viele Leute, dass Niesen und juckende Augen nicht besonders schlimm sind. Dabei rauben sie viel Lebensqualität und schränken die schulische und berufliche Leistungsfähigkeit ein. Vor allem aber ist stets auch ein sogenannter Etagenwechsel hin zum allergischem Asthma zu befürchten. „Mitunter entwickelt sich aus dem Heuschnupfen der oberen Atemwege ein allergisches Asthma der unteren Atemwege, das heißt der Lunge“, warnt der Allergologe Ulf Darsow, Leitender Oberarzt der Allergologie und Dermatologie am Klinikum rechts der Isar. „Allergisches Asthma ist eine chronische Erkrankung, bei der sich die Atemwege entzünden und lebensbedrohlich verengen. Diese Erkrankung sollte man nicht unterschätzen.“ Aber obgleich diese Allergien weit verbreitet sind, ist bisher noch nicht bekannt, wie sie eigentlich entstehen. „Wir brauchen unbedingt noch viel mehr Forschung zu dieser und anderen Fragestellungen zur Allergie“, fordert Carsten Schmidt-Weber.

Was ebenfalls kaum erforscht wurde, ist die Frage, wie die bei allergischem Asthma auftretenden Entzündungsstoffe auf den restlichen Organismus wirken. Ist es nur ein Geschehen in der Lunge, oder wirkt es sich systemisch, also auch auf andere Körperbereiche aus? Es gibt neuerdings Hinweise auf Letzteres – bisher aber nur bei gentechnisch veränderten Mäusen, die an menschlichem Asthma leiden. Der Genetikexperte Robert Schiestl, Professor für Pathologie, Umweltmedizin und Strahlungsonkologie an der University of California, hat seine Ergebnisse hierzu im Fachblatt „Mutation Research/Fundamental and Molecular Mechanisms of Mutagenesis“ veröffentlicht. „Unsere Ergebnisse sind sehr wichtig, weil sie zeigen, dass Asthma nicht nur die Lunge schädigt, sondern sich auf den ganzen Körper auswirkt“, so Schiestl. Zumindest gilt das für die Mäuse.

Asthma-Mäuse produzieren Botenstoff

Der Forscher richtete sein Augenmerk auf ein bestimmtes Protein, das Interleukin 13 (IL-13). Es gehört zu den sogenannten Zytokinen, die das Wachstum von Zellen regulieren. Das von Schiestl untersuchte Interleukin wird von Menschen, die an allergischem Asthma erkrankt sind, dann gebildet, wenn ein Allergen auftritt. Die Asthma-Mäuse produzieren genetisch bedingt große Mengen IL-13 permanent und nicht als Reaktion auf saisonal auftretende Allergene. Das IL-13 befindet sich dann in der Blutbahn und verstärkt wichtige Elemente des entzündlichen Geschehens. Es erhöht beispielsweise den durch freie aggressive Radikale verursachten oxidativen Stress in den Blutkörperchen.

Robert Schiestl suchte nun nach bestimmten Markern für Schäden im Blut der Versuchsmäuse. Dabei stellte er fest, dass in den Blutzellen vermehrt Schäden am Erbgut auftreten, Einzel- und Doppelstränge der DNA brechen, Proteine geschädigt werden und sich Mikrokerne in den Zellen bilden. Das Auftreten von Mikrokernen kann als Hinweis auf Schäden im genetischen Apparat dienen. Schiestl spricht deshalb von Genotoxizität. Sollten die körpereigenen Reparatursysteme bei den Strangbrüchen überfordert sein, kann es zu bleibenden Genveränderungen oder zum Zelltod kommen. „Da wir aber genau solche Schäden entdeckt haben, ist es in der Tat so, dass die Reparatursysteme bei den Asthma-Mäusen überfordert sind. Und es ist nicht nur der Wert für einen Marker angestiegen, sondern die Werte für alle vier, was die Genotoxizität eindrucksvoll widerspiegelt“, erläutert Robert Schiestl.

Langfristig werden Organe geschädigt

Was sind nun die Folgen einer erhöhten Genotoxizität im Blut? „Langfristig kommt es zu Schädigungen in den Organen. Es liegt also eine Ganzkörperbelastung vor“, warnt Schiestl. Die Frage, wie sich eine wirksame Asthmatherapie auf die Blutzellen der Asthma-Mäuse auswirkt, soll eine weitere Studie klären. Da beim Menschen unterschiedliche Allergene zur Bildung diverser Zytokine führen, sieht es der US-Forscher mit österreichischen Wurzeln als schwierig an, die Zytokine mit Antikörpern zu neutralisieren. Ein Behandlungsansatz gegen die Schäden am genetischen Material könnten Medikamente sein, die DNA-Reparaturen induzieren. Ein von ihm gegründetes Start-up-Unternehmen hat derartige Mittel bereits entwickelt. Doch vor einer Therapie müsse man zunächst klären, ob sich die Erkenntnisse von der Maus auf den Menschen übertragen lassen, betonen Schmidt-Weber und Darsow.

Was können Betroffene aktuell tun? „An erster Stelle steht normalerweise die Vermeidung von Allergenen. Aber das lässt sich je nach Allergie besser oder schlechter realisieren. Wer ein Pollenproblem hat, tut sich sowohl in der Stadt als auch auf dem Land schwer“, sagt Darsow. Deshalb rät er einerseits dazu, akute Symptome mit Medikamenten zu behandeln, zusätzlich aber in der allergenfreien oder allergenarmen Zeit mit einer Hyposensibilisierung zu beginnen. Damit soll das Immunsystem gegenüber Allergenen toleranter gemacht werden. Dann sind auch die Symptome deutlich verringert. Gute Resultate liegen für Gräser, Birke, Hausstaubmilben, Insektengift und inzwischen auch für Katzenhaare vor. „Die Hyposensibilisierung ist umso erfolgreicher, je weniger verschiedene Allergene bei einem Menschen allergische Reaktionen hervorrufen“, sagt Darsow. Ein vorzeitiges Beenden der Immuntherapie sei unbedingt zu vermeiden, weil es ihre Wirksamkeit stark vermindere.

Warum Heuschnupfen immer häufiger wird

Klima
Aufgrund der Klimaerwärmung wird die Blütezeit immer länger. „Gräserpollen provozieren das Immunsystem deshalb heute länger als vor zehn Jahren, und in zehn Jahren wird es noch einmal schlimmer sein“, prophezeit der Allergieexperte Carsten Schmidt-Weber. Außerdem tauchen in unseren Breitengraden neue Pflanzen mit großem Allergiepotenzial wie beispielsweise Ambrosia auf.

Lebensstil
Auch der heutige Lebensstil scheint eine Rolle zu spielen. Unsere Essgewohnheiten haben sich geändert, wir halten uns vor allem in geschlossenen Räumen auf, bewegen uns relativ wenig und die Umweltverschmutzung nimmt immer mehr zu.

Erbe
Es gibt auch eine genetische Komponente. Wenn die Eltern Allergiker sind, hat das Kind ein hohes Allergierisiko.

Antibiotika
Experten spekulieren, ob Antibiotika im ersten Lebensjahr die Darmflora verändern und so allergiefördernd auf das Immunsystem wirken. Auch Antibiotika in der Schwangerschaft könnten eine Rolle spielen.

Stress
Vor allem in Industrieländern könnte ein erhöhter Stresspegel Allergien fördern – wegen negativer Folgen für das Immunsystem.