Gerd Antes kennt die Grenzen der Medizin und der Mathematik, die Grenzen des Berechenbaren. Dem Krebstod seiner Mutter, den er als 13-Jähriger erlebte, musste er gemeinsam mit seinen zwei Geschwistern machtlos zusehen, musste durchleiden, wie die heile Welt der Kinder zerbrach und die Familie in ihren Grundfesten erschüttert wurde. Aber das hat ihn nicht aus der Bahn geworfen, ihn nicht daran gehindert, seinen eigenen Weg durch die schulischen und universitären Institutionen zu gehen.

 

Er war einer der ersten Studenten an der damals noch als leicht rot geltenden Bremer Reformuniversität, der sich für die Fächerkombination Mathematik und Biologie entschied. Die gab es damals nirgendwo sonst. Dabei hatte Antes die Zulassung für ein Medizinstudium bereits in der Tasche, als er sich schließlich doch anders entschied. Das Fach behielt er aber immer im Blick. Seine Aufgabe mit dem Cochrane-Zentrum sieht er darin, im Medizinbetrieb für Klarheit zu sorgen, vor allem im Widerstreit der Interessen und Meinungen.

So hält er es auch in der Debatte über die aktuelle Ebola-Epidemie. Die Erfahrung eines Vielreisenden verbindet sich dabei mit Antes’ grundsätzlich skeptischer Haltung gegenüber dem Screening von Ein- und Ausreisenden im Zusammenhang mit dem Ebola-Virus. Kürzlich beobachtete er auf einer Reise zu einer Konferenz in der indischen Millionenstadt Hyderabad während des Fluges höchst oberflächliche Prozeduren, die darin bestanden, einen Meldebogen ausfüllen zu lassen, der dann später von wenig interessierten Grenzbeamten einkassiert wurde. Im Zweifelsfall, so hieß es, solle man sich an die Besatzung wenden. Diese aber sei, so Antes, dafür nicht ausgebildet und komplett auf sich allein gestellt.

Screening hält er bestenfalls für eine politische Geste

Dass man durch Screening an den großen Flughäfen das Ebola-Virus erwischen könne, hält er für eine Illusion; bestenfalls für eine politische Geste, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Sinnvoll seien die Kontrollen nur, um typische Symptome diagnostisch abzuklären, aber nicht, um das Virus an der Einreise zu hindern. Das heißt nach seinem Befund, dass die Maßnahmen am Flughafen allenfalls eine leichte Reduktion der „Einreisewahrscheinlichkeit“ bewirkten, die darauf beruhe, dass man mit Glück jemanden dort identifiziere, „der gerade die Symptome entwickelt“. Und das könne bis zu drei Wochen dauern.

Seine Handreichungen zu Ebola sind ein typisches Beispiel für die Art, wie er vorgeht: Fakten von Vermutungen sauber trennen, das Problem genau einkreisen, sich vor großen Gegnern nicht fürchten, wenn es der wissenschaftlichen Wahrheit dient. Aber selbstkritisch genug sein, um sich nicht zu verrennen. Manchmal gleicht er einem Jagdhund, der nicht aufgibt, wenn er erst einmal Witterung aufgenommen hat. Aber er lässt auch nach, wenn er auf der falschen Spur ist. Vor Fehlurteilen schützt ihn auch sein vielköpfiges Team am Zentrum in Freiburg mit engagierten Fachleuten, auf die er zu hören pflegt.

Allzu lange, das wirft Antes den Behörden vor, hätten sie das Problem Ebola kleingeredet und gehofft, es werde sich durch Nichthinsehen schon irgendwann in Luft auflösen. Dass in einer globalisierten Welt ein Flughafen sicherer sei als ein anderer, hält der Mathematiker für eine höchst gewagte Rechenspielerei. Er selbst geht stattdessen so vor, wie er das immer macht: Er sammelt Fakten, fragt Fachleute und klopft Systeme auf ihre Leistungsfähigkeit ab, um eine Strategie zu entwerfen, die sich an Realitäten orientiert.

Geradezu bitter kann Antes werden, wenn er zu bedenken gibt, wie viel Zeit seit dem Ausbruch der jüngsten Epidemie mit Nichtstun vergangen sei: Er spricht von ,,kollektiver öffentlicher Verantwortungslosigkeit“. Und setzt hinzu: ,,Monatelang Ärzte ohne Grenzen und Individualisten aus der universitären Szene mit dem Problem alleinzulassen, kann man nicht mehr höflich kommentieren.“ Dabei kann er durchaus höflich und verbindlich sein. Aber nicht, wenn es um die Sache geht.

Antes teilt aus, und das gehörig, aber gewiss nicht ziellos. Er ist ein Dauerläufer, der ungern aufgibt, nicht nur beruflich: Fußball ist ein lebenslanger Begleiter für ihn, in verschiedenen Firmen- und Unimannschaften hat er gespielt, zuletzt bei den alten Herren der Freiburger Vorortgemeinde Stegen. Auch den SC Freiburg hat er stets im Blick. Ausdauernd sei er schon immer gewesen, sagt Antes, der von der alten Libero-Position an der Außenlinie einen schnellen Spurt anziehen konnte zur Überraschung des Gegners. Diese Kombination aus Ausdauer und Attacke überrascht auch heute noch so manchen Gegner aus der Pharmaindustrie, wenn Antes die Studienlage für so manches heilsversprechende Medikament löcherig erscheint.

Die Grenzen der Wissenschaft

Gerd Antes kennt die Grenzen der Medizin und der Mathematik, die Grenzen des Berechenbaren. Dem Krebstod seiner Mutter, den er als 13-Jähriger erlebte, musste er gemeinsam mit seinen zwei Geschwistern machtlos zusehen, musste durchleiden, wie die heile Welt der Kinder zerbrach und die Familie in ihren Grundfesten erschüttert wurde. Aber das hat ihn nicht aus der Bahn geworfen, ihn nicht daran gehindert, seinen eigenen Weg durch die schulischen und universitären Institutionen zu gehen.

Er war einer der ersten Studenten an der damals noch als leicht rot geltenden Bremer Reformuniversität, der sich für die Fächerkombination Mathematik und Biologie entschied. Die gab es damals nirgendwo sonst. Dabei hatte Antes die Zulassung für ein Medizinstudium bereits in der Tasche, als er sich schließlich doch anders entschied. Das Fach behielt er aber immer im Blick. Seine Aufgabe mit dem Cochrane-Zentrum sieht er darin, im Medizinbetrieb für Klarheit zu sorgen, vor allem im Widerstreit der Interessen und Meinungen.

So hält er es auch in der Debatte über die aktuelle Ebola-Epidemie. Die Erfahrung eines Vielreisenden verbindet sich dabei mit Antes’ grundsätzlich skeptischer Haltung gegenüber dem Screening von Ein- und Ausreisenden im Zusammenhang mit dem Ebola-Virus. Kürzlich beobachtete er auf einer Reise zu einer Konferenz in der indischen Millionenstadt Hyderabad während des Fluges höchst oberflächliche Prozeduren, die darin bestanden, einen Meldebogen ausfüllen zu lassen, der dann später von wenig interessierten Grenzbeamten einkassiert wurde. Im Zweifelsfall, so hieß es, solle man sich an die Besatzung wenden. Diese aber sei, so Antes, dafür nicht ausgebildet und komplett auf sich allein gestellt.

Screening hält er bestenfalls für eine politische Geste

Dass man durch Screening an den großen Flughäfen das Ebola-Virus erwischen könne, hält er für eine Illusion; bestenfalls für eine politische Geste, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Sinnvoll seien die Kontrollen nur, um typische Symptome diagnostisch abzuklären, aber nicht, um das Virus an der Einreise zu hindern. Das heißt nach seinem Befund, dass die Maßnahmen am Flughafen allenfalls eine leichte Reduktion der „Einreisewahrscheinlichkeit“ bewirkten, die darauf beruhe, dass man mit Glück jemanden dort identifiziere, „der gerade die Symptome entwickelt“. Und das könne bis zu drei Wochen dauern.

Seine Handreichungen zu Ebola sind ein typisches Beispiel für die Art, wie er vorgeht: Fakten von Vermutungen sauber trennen, das Problem genau einkreisen, sich vor großen Gegnern nicht fürchten, wenn es der wissenschaftlichen Wahrheit dient. Aber selbstkritisch genug sein, um sich nicht zu verrennen. Manchmal gleicht er einem Jagdhund, der nicht aufgibt, wenn er erst einmal Witterung aufgenommen hat. Aber er lässt auch nach, wenn er auf der falschen Spur ist. Vor Fehlurteilen schützt ihn auch sein vielköpfiges Team am Zentrum in Freiburg mit engagierten Fachleuten, auf die er zu hören pflegt.

Vor mehr als zwei Jahrzehnten kam er zum Freiburger Institut für medizinische Biometrie und Informatik und baute dort, im Umkreis der Universitätsklinik, das deutsche Cochrane-Zentrum als ein kleines Reich der Evidenz auf. Gelobt sei, was belegt ist, das war die Devise des schottischen Arztes und Epidemiologen Sir Archibald Cochrane, der in den siebziger Jahren die ideellen und methodischen Grundlagen für ein rund um den Globus gesponnenes Netz aus frei zugänglichen medizinischen Daten legte. Es sollte unabhängig von Interessen sein und der Gesundheitsvorsorge dienen. Die Datenbank der Cochrane-Collaboration gilt in der Welt als solide Recherchebasis. Diesem Netzwerk gehören inzwischen 120 Länder an.

Kein Platz für Resignation

Das deutsche Zentrum mit Gerd Antes an der Spitze spielt darin eine wichtige Rolle. Außerhalb der etablierten Institutionen zu agieren, aber nicht gegen sie, das ist die Rolle, die für ihn wie maßgeschneidert scheint. Inzwischen ist er zum Professor ernannt worden, und sein Zentrum hat innerhalb des Uniklinikums mehr Eigenständigkeit und finanzielle Sicherheit erhalten.

Dass selbst der beste Rat von Fachleuten aus aller Welt nicht immer helfen kann, musste Antes miterleben, als eine von ihm sehr geschätzte Kollegin aus Kopenhagen an Brustkrebs erkrankte, der zunächst geheilt schien, aber zwei Jahre später doch an einer anderen Stelle wieder aufbrach. Für ihn ist das kein Grund, am medizinischen Fortschritt und an der ärztlichen Handwerkskunst grundsätzlich zu zweifeln. Er sei kein gläubiger Mensch, sagt er. Zwar gibt es auch für ihn eine Zeit des Trauerns, aber keinen Platz für Resignation.

Die evidenzbasierte Medizin ist seine Welt, aber nicht seine einzige. Schon als 16-Jähriger bereiste er mit einem Handelsschiff die Gewässer von Mauretanien. Jahr auf Jahr folgten neue Erkundungen in viele Ecken der Welt, immer in der Touristenklasse. Vor Kurzem machte er sich mit seiner Lebensgefährtin per Eisenbahn auf den Weg quer durch Indien. Immer noch mit Rucksack. „Das Leben stimmt“, sagt er am Ende des Gesprächs. Kurz und bündig.