Forscher haben nachgewiesen, wie ein genetischer Fehler den Stoffwechsel im Gehirn ändert und so eine Schizophrenie befördert. Doch Ärzte bleiben skeptisch. Sie wünschen sich zwar neue Werkzeuge, um die Krankheit vorherzusagen und zu behandeln. Aber noch ist es nicht so weit.

Stuttgart - Wenn es doch so einfach wäre. Eine Gruppe amerikanischer Wissenschaftler hat einen Durchbruch bei der Schizophrenie verkündet. Die US-Forscher führen die Entstehung dieser psychischen Erkrankung auf einen Fehler in einem bestimmten Gen zurück. Erstmals sei es gelungen, den Zusammenhang zwischen der veränderten DNA, einem Stoffwechselproblem im Gehirn und der Schizophrenie nachzuweisen, berichtet die Gruppe unter Führung des Broad-Instituts der Harvard-Universität im Wissenschaftsmagazin „Nature“. Das kritische Fragment liegt auf Chromosom 6, in einem Bereich, wo mehrere Gene für die Entwicklung des Immunsystems verortet sind.

 

Doch der Jubel bei den Praktikern fällt geringer aus. Experten bei einer Schizophrenie-Tagung des LVR-Klinikverbundes im rheinischen Langenfeld loben zwar den Aufwand der US-Studie, in die mehr als 65 000 DNA-Analysen einflossen. Das Erbgut von Gesunden wurde mit dem von Patienten verglichen, etwa 700 Gehirne von Verstorbenen wurden ebenfalls untersucht. „Aber ich warne davor, einzelne Gene herauszupicken“, sagt Peter Falkai, Direktor der Klinik für Psychiatrie der Universität München. Bei der Entstehung einer Schizophrenie können soziale Faktoren eine gleichwertige Rolle einnehmen. „Man muss beides sehen“, erklärt Falkai, „das genetische Setup, mit dem jemand in eine Umwelt geht, und die Umwelt, die mit einem agiert.“

Die Forscher kennen viele mögliche Ursachen für Psychosen: der frühe Verlust der Eltern, Gewalt oder sexuelle Misshandlung als Kind, Drogenmissbrauch oder ein schwerer emotionaler Schock. Manchmal ist es auch das Leben selbst: britische Wissenschaftler haben ermittelt, dass junge Einwanderer aus der Karibik in England ein fünffach höheres Risiko für Psychosen besitzen als die einheimische Bevölkerung. Die Ursache dafür sei ständiger Stress durch soziale Ausgrenzung und mangelnde Anerkennung. „Aber es gibt natürlich auch Personen, die per se eine hohe Verwundbarkeit besitzen“, ergänzt Falkai. Nach seiner Überzeugung ist es eine Mischung äußerer und innerer Faktoren, die Menschen an Schizophrenie erkranken lässt.

Hoffnung auf einen neuen Ansatz für Medikamente

Die Praktiker, die täglich mit Psychosen umgehen, erhoffen sich drei Dinge von der Forschung: erstens bessere Therapien, zweitens Hilfe bei Früherkennung und Prognose und drittens einen Ansatz, der zu neuen Medikamenten führen könnte. „Die akuten Symptome der Schizophrenie können wir gut behandeln“, sagt Wolfgang Gaebel, Direktor der Klinik für Psychiatrie an der Universität Düsseldorf. „Aber es gibt seit 50 Jahren keinen neuen Durchbruch in der Pharmakotherapie.“

Da könnten die Ergebnisse aus der Harvard-Universität hilfreich sein. Denn die US-Forscher haben auch den Mechanismus entdeckt, wie der Fehler im Chromosom 6 die Struktur des Gehirns schädigt. Das fragliche Gen enthält den Bauplan für ein Protein, das Verbindungen zwischen den Nervenzellen des Gehirns, also die Synapsen, abbaut. Diese Funktion ist im gesunden Körper wichtig, denn während der Mensch heranwächst, muss das Netzwerk der Nervenzellen immer wieder gestutzt werden. Manche Synapsen, die bei Kindern wichtig sind, werden von Erwachsenen nicht mehr benötigt. Nach den Erkenntnissen des Harvard-Teams werden durch den genetischen Fehler aber zu viele Synapsen mit Schild „Kann weg“ belegt. Das Ergebnis ist ein überdurchschnittlich großer Verlust an grauer Substanz im Gehirn – ein Befund, den Ärzte bei vielen Schizophrenie-Patienten seit Langem kennen.

Für Stephan Ruhrmann ist das ein wichtiges Ergebnis. „Ich denke, dass die Genetik, so wie sie sich jetzt entwickelt, einen wesentlichen Beitrag leisten kann“, sagt der Leitende Oberarzt der Uniklinik Köln. Schließlich sei jedes Gen mit einem Stoffwechselprodukt gekoppelt. „Das gibt Hinweise, in welchen Stoffwechselprozess wir hineinschauen müssen“, sagt Ruhrmann. Da werde es spannend für die Suche nach Medikamenten.

Forscher suchen nach Wegen, die Psychosen vorherzusagen

Einen Gen-Test zur Vorhersage von Schizophrenie werden die neuen Ergebnisse sicher nicht liefern. Falkais Team hat die neue Gen-Studie bereits in seine Arbeit einfließen lassen. „Aber alle Daten, mit denen wir rechnen, zeigen, dass die genetischen Informationen, die wir im Augenblick haben, nicht wirklich zu einer sauberen Vorhersage führen“, erklärt der Teamleiter Falkai. Dabei wäre eine Früherkennung so wichtig. „Das Verschieben des Ausbruchs der Erkrankung wäre schon ein wesentlicher Gewinn“, sagt Ruhrmann. Die Kliniken in Köln und München beteiligen sich deshalb an einem ehrgeizigen Projekt. Die europaweite Studie PRONIA sucht ein Werkzeug, mit dem sich das Auftreten von Psychosen für jeden Menschen frühzeitig und individuell vorhersagen lässt.

Schaut man auf die Statistik, so besteht dazu eine gute Chance. Im Durchschnitt werden die Patienten kurz vor dem 30. Lebensjahr erstmals wegen einer Psychose in eine Klinik aufgenommen. Doch die Betroffenen zeigen die ersten, noch nicht charakteristischen Symptome schon einige Jahre früher – durchschnittlich mit 22 oder 23 Jahren. PRONIA verwertet die Daten von Ambulanzen, die von Menschen aufgesucht werden, die psychische Probleme spüren und dort Hilfe bekommen. Die Schwelle für den Besuch ist bewusst niedrig gehalten. Nur ein kleiner Teil dieser Gruppe entwickelt später Psychosen. Die Studie soll diese Risikogruppe identifizieren, sie soll die Jahre nutzen zwischen den ersten Symptomen und der Eskalation mit einer Einlieferung ins Krankenhaus.

Die ersten Monate der Studie verliefen vielversprechend. Ganz ohne DNA liefert die Mischung aus Untersuchungen, kognitiven Tests, Elektrophysiologie und bildgebenden Verfahren zur Analyse der Hirnstruktur genug Daten, dass die Forscher den Übergang in eine Psychose womöglich mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 80 Prozent voraussagen können. „Die ersten Daten gehen in diese Richtung“, sagt Falkai betont vorsichtig, „aber wir müssen gucken, ob sich das hält.“

Eine Gen-Analyse würde diesen Wert nach dem derzeitigen Stand nicht verbessern. Bislang werden Fehler in 107 Genen mit Schizophrenie in Verbindung gebracht, das Risiko durch ein einzelnes verändertes Gen ist deshalb nur gering. „Aber wenn wir Gruppen bilden, bestimmte Gen-Orte kombinieren, könnte das Erfolg haben“, sagt Falkai. Er hofft, dass sich ein genetisches Muster finden lässt. Das könnte aber nur eine Frage der Zeit sein. „Wir brauchen langfristige Studien mit mehreren Tausend Teilnehmern, bevor wir sagen können, ob die Genetik sich für Aussagen zum Übergang in eine Psychose oder zum Verlauf der Erkrankung eignet“, erklärt er.