Bei Depression und Schizophrenie vermuten Forscher zumindest einen Teil der Ursachen im Erbgut. Doch selbst wenn sie das ganze Genom analysieren, finden sie nur wenige Hinweise. Ihre Folgerung: noch mehr Genome analysieren. Ist das der richtige Weg?

Stuttgart - Für viele psychische Störungen wie Depressionen oder Schizophrenie lautet die Diagnose: die Ursachen der Erkrankungen sind noch sehr unvollständig bekannt, und die Entwicklung neuer Medikamente ist ins Stocken geraten. Seit einigen Jahren nutzt man daher die neuen Möglichkeiten der Genetik, denn es kostet nur noch einige Hundert Euro, das gesamte Erbgut eines Menschen zu analysieren. Die Suche nach den genetischen Grundlagen seelischer Leiden wird genomweite Assoziation genannt. Das Ziel solcher Untersuchungen ist, im Genom bestimmte Ausprägungen von Genen zu finden, die gemeinsam mit einer psychischen Krankheit auftreten.

 

Dabei zeigt sich aber immer deutlicher, dass der Beitrag einzelner Genvarianten zu einem erhöhten Erkrankungsrisiko gering ist. Um solche bescheidenen genetischen Effekte überhaupt aufzuspüren, müssen aus statistischen Gründen erkrankte Probanden in sehr großer Zahl getestet und mit gesunden Personen verglichen werden. Forscher setzen daher auf immer größere Untersuchungen. Um die Kräfte vieler Forschergruppen zu bündeln, wurde 2007 das internationale Forschungskonsortium „Psychiatric Genomics Consortium“ aus der Taufe gehoben.

Im vergangenen Jahr legte eine Arbeitsgruppe des Konsortiums zum Beispiel eine Studie vor, die in den Medien und Forscherkreisen Aufsehen erregt hat. Mehr als 350 Autoren hatten die Daten von fast 37 000 Schizophrenie-Patienten und rund 113 000 gesunden Kontrollpersonen zusammengetragen. Die Forscher ermittelten anhand von DNA-Proben für jeden Probanden eine Million variable Stellen im Genom, bei denen jeweils ein einziger Buchstabe des genetischen Codes von der Norm abweicht. Der genetische Code des Menschen besteht aus einer Abfolge von drei Milliarden Molekülen, die mit G, A, C und T abgekürzt werden.

„Die Genetik der Schizophrenie ist kompliziert“

Die Wissenschaftler stießen auf mehr als 100 verdächtige Genorte und erzielten damit eine weit größere Ausbeute als frühere Studien. Diese Genorte sind längere DNA-Abschnitte, bei denen die Wissenschaftler nicht immer genau sagen können, um welches Gen es sich genau handelt. Die meisten der auffälligen Genorte waren zuvor nicht bekannt. Aber die Studie förderte auch alte Verdächtige zu Tage, beispielsweise die Variante eines Gens, das für die Andockstelle des Botenstoffs Dopamin wichtig ist. Der Fund passt gut ins bisherige Bild der Erkrankung, da Antipsychotika zur Behandlungen von Halluzinationen und Wahnvorstellungen bei Schizophrenie genau an dieser Andockstelle ansetzen.

„Die Genetik der Schizophrenie ist kompliziert“, sagt Michael O’Donovan von der britischen Cardiff University, einer der beteiligten Forscher. „Das bedeutet, dass bei einem Betroffenen verschiedene Gene im Spiel sind, und bei jedem Individuum jeweils andere Kombinationen von Genen.“ Außerdem seien die Gene nicht die einzigen Faktoren, die bei Schizophrenie eine Rolle spielen. Letztlich hätten die von ihm und seinen Kollegen aufgespürten Genvarianten daher keine Bedeutung für die Diagnose, so O’Donovan. „Ihr erhoffter Wert besteht aber darin, dass sie auf Aspekte der Biologie hinweisen, die für die Behandlung oder für Prävention wichtig sind.“ Denn die Antipsychotika wirken längst nicht bei allen Patienten effektiv. Außerdem wurden sie in den 1950er Jahren nur durch Zufall entdeckt und beruhen nicht auf einem tieferen Verständnis der Erkrankung.

Im Falle einer anderen psychischen Erkrankung, der Depression, ist die Bilanz von genomweiten Assoziationsstudien bis jetzt noch etwas schlechter. Das ergab kürzlich eine Übersichtsarbeit von Forschern um Erin Dunn von der Harvard Medical School. Auch hinter der Erforschung der genetischen Ursachen von Depressionen steckt die Hoffnung auf einen Fortschritt in  der Entwicklung von Medikamenten. Dass bei Depressionen neben Umweltfaktoren wie belastenden Lebensereignissen auch die Gene eine Rolle spielen, scheint ausgemacht.

Man bräuchte wohl mehr als 100 000 Versuchspersonen

Depressionen treten unter Verwandten ersten Grades gehäuft auf. Dennoch hat laut Dunn und ihren Kollegen bisher die genomweite Suche keine Genvarianten ausfindig gemacht, die sich in nachfolgenden Studien als Ursache der Depression bestätigen ließen. Und selbst einstmals verdächtige Gene erwiesen sich in späteren Untersuchungen als Enttäuschung: Gene etwa, die wichtig für den Botenstoff Serotonin sind, an dem viele Antidepressiva ansetzen.

Depressionen seien im Vergleich zu anderen psychischen Erkrankungen noch ein Stück weit komplexer, so das Team um Dunn. Noch mehr genetische Varianten leisteten einen noch kleineren Beitrag zu einem erhöhten Depressionsrisiko. Um diese kleinen Effekte aufzuspüren, benötige man noch größere Probandenzahlen als etwa bei der Schizophrenie. Das könne man sogar ausrechnen, bestätigt der Psychiater Henrik Walter von der Berliner Unimedizin Charité. „Man kann schätzen, dass man mehr als doppelt so viele Probanden braucht, um genomweit statistisch relevante Ergebnisse zu bekommen, letztlich also mehr als hunderttausend Probanden.“

Dunn und ihre Kollegen vermuten noch einen weiteren Grund für den ausbleibenden Erfolg: Die Symptome von Depressionen sind extrem vielgestaltig. Eine Depression kann sich ganz unterschiedlich äußern, beispielsweise mit einer oder ohne eine Angststörung auftreten. Entsprechend könnte auch der zugrunde liegende Beitrag der Gene sehr unterschiedlich ausfallen. Daher ist eine weitere Strategie, Patienten je nach Ausprägung der Symptome in möglichst homogene Untergruppen einzuteilen.

Methodische Schwierigkeiten gibt es auch beim Autismus

Dass das aber nicht unbedingt zum Erfolg führen muss, zeigte kürzlich eine im Fachblatt „Biological Psychiatry“ veröffentlichte Untersuchung am Beispiel von Autismus. Menschen mit dieser Störung haben Schwierigkeiten in der zwischenmenschlichen Kommunikation und neigen oftmals zu starren Verhaltensmustern und Ritualen in ihrem Alltag. Forscher um Pauline Chaste von der University of Pittsburgh teilten Probanden mit Autismus in verschiedene Gruppen ein. In eine Gruppe beispielsweise kamen diejenigen, die besonders große Probleme mit Veränderungen hatten. Doch auch innerhalb dieser Untergruppen stießen die Forscher im Genom auf keine auffälligen Genvarianten.

Auch Pauline Chaste und ihre Kollegen sehen als Lösung größere Studien mit noch größeren Probandenzahlen. Man darf gespannt sein, ob diese Strategie nach der Schizophrenie auch bei Depressionen und Autismus Früchte tragen wird – und ob die tatsächlichen und die noch erhofften Genfunde eines Tages auch zu neuen Behandlungen führen werden.