Frauen lieben Schuhe, aber Füße hassen High Heels. In ihnen können sich die Zehen verformen. Stuttgarter Ärzte erklären, was sich bei Hallux valgus tun lässt. Sollte man operieren oder doch lieber nicht?

Stuttgart - Geht eine Frau am Schuhgeschäft vorbei . . . Zugegeben: ein flacher Witz. Tatsache aber ist: einer Studie aus dem Jahr 2007 zufolge legen Frauen regelmäßige Boxenstopps in Schuhgeschäften ein. Das Kölner Marktforschungsinstitut Psychomics befragte 1613 Menschen in Deutschland. Jede dritte Frau sagte damals, dass sie sich von Schuhgeschäften magisch angezogen fühle. Pro Jahr kaufen sie mindestens 4,1 Paar und besitzen 25 verschiedene Modelle.

 

Die müssen auch keinesfalls alle passen. Fast jede fünfte Frau hängt ihr Herz an Schuhe, von denen sie weiß, dass sie sie allenfalls als Sitzschuhe tragen wird – oder gar nicht. Die Beziehung der Frau zum Schuhwerk ist emotional. Optik schlägt Komfort. Bisweilen werden dafür schmerzhafte Kompromisse geschlossen. Frau zwängt sich in zu enge, zu hohe und zu spitze Schuhe – die dafür hübsch und sexy sind. Die Füße mögen High Heels, Stilettos und Pumps aber leider gar nicht. Sie werden eingequetscht, verformen sich bisweilen und leiden. „Hochhackige Schuhe können die Entstehung eines Hallux valgus fördern“, sagt Patrik Reize, Facharzt für Orthopädie und Ärztlicher Direktor am Krankenhaus Bad Cannstatt.

Hohe Absätze überstrecken die Sprunggelenke. Werden die Füße noch gequetscht, können sie deformieren. Der Hallux valgus ist daher oft Frauensache, auch wenn vereinzelt Männer betroffen sind. Der Zusammenhang zwischen falschem Schuhwerk und Hallux valgus ist zwar wahrscheinlich, aber noch nicht bewiesen. Mediziner sprechen vom Hallux valgus, wenn die große Zehe verformt ist. Bei der Fehlstellung wandert der erste Mittelfußknochen in Richtung Fußaußenseite, wodurch sich der vordere Teil des Fußes verbreitert. Gleichzeitig bewegt sich die Großzehe nach innen weg und nähert sich den mittleren Zehen an. In Höhe des Großzehs drücken die Mittelfußköpfchen gegen den Schuh. Es kommt zum sogenannten Zehenkonflikt.

Für die Diagnose wird im Stehen geröntgt

Schuld an Verformungen der Füße sind oft mehrere Faktoren. Menschen mit genetischer Veranlagung neigen zu schlafferem Bindegewebe. Wer dann noch die falschen Schuhe trägt, kann Zehenverformungen bekommen. Auch eine Schwangerschaft, bestimmte Medikamente oder Krankheiten können Hallux valgus begünstigen. Übergewicht, häufiges Stehen oder Rheuma sind auch Risikofaktoren.

Dem Hallux valgus geht meist ein sogenannter Spreizfuß voraus. Dabei verbreitert sich der vordere Teil des Fußes. Die Zehen können schmerzen, es bildet sich vermehrt Hornhaut. Auch Schwielen und Hühneraugen können entstehen. Schiebt sich dann die große Zehe zu den mittleren Zehen, beginnt der Hallux valgus. Die schmerzhaften Schwielen können von einer Schleimbeutelentzündung begleitet werden. Der Ballen ist dann möglicherweise gerötet und schwillt an, und bei Berührung schmerzt die große Zehe.

Mediziner können mit einer Blickdiagnose feststellen, ob es sich um die Erkrankung handelt. Der Fuß wird genau untersucht und abgetastet. Dann folgt eine Röntgenuntersuchung im Stehen. „Auf dem Röntgenbild sieht man, wie weit die Fehlstellung vorangeschritten ist und ob das Großzehengrundgelenk schon verändert ist“, sagt Reize. Der Arzt misst anschließend den sogenannten Hallux-valgus-Winkel aus. Dann schaut der Mediziner auf das Großzehengrundgelenk und überprüft, ob es schon zu einer Arthrose gekommen ist.

Die Heilung nach der OP dauert bis zu acht Wochen

Seit 1920 sind verschiedene Operationsmethoden entstanden. Heute gibt es rund 200 verschiedene Möglichkeiten. Bei leichten und schweren Fällen bestehe unter den Ärzten weit gehender Konsens über die Vorgehensweise, sagt Jörn Dohle, Präsident der Deutschen Assoziation Fuß und Sprunggelenk (DAF), einer Sektion der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie. Nur im Mittelfeld gebe es noch Diskussionspunkte. Die DAF hat daher eine Leitlinie entwickelt.

Eine Operation sollte jedoch, wie jeder andere Eingriff am Körper auch, wohlüberlegt sein. „Letztlich entscheidet immer der Leidensdruck der Patienten, ob operiert wird, und nicht der gemessene Hallux-valgus-Winkel“, sagt Reize. Je nach Methode und Eingriff kann die Heilungsphase drei bis acht Wochen dauern. Experten raten zur Vollnarkose. Bei Menschen mit Durchblutungsstörungen ist ein Eingriff jedoch nicht angeraten, weil der Fuß dann nicht wie gewünscht heilen kann.

Für jede Stufe der Deformierung gibt es Patrik Reize zufolge eine Versorgungsart. Physiotherapie, Einlagen, Schaumstoffpolster, Hallux-Schienen, Bandagen: all das kann die Beschwerden lindern. Rückgängig machen können sie deformierte Zehen jedoch nicht. Hat sich der Zeh bereits zu stark verformt, kann nur eine die Fehlstellung korrigierende Operation Linderung bringen. Dann wird an den Sehnen gearbeitet, um sie wieder in Position zu bringen, oder, wenn bereits der Knochen betroffen ist, werden Methoden angewendet, um den Fuß wieder „schlank“ zu bekommen.

Barfuß laufen: eine gute Investition in die Zukunft

Nach Angaben der DAF werden bei 95 Prozent aller Korrekturen auch die Knochen operiert. Welches der 200 Verfahren infrage kommt, hängt wiederum davon ab, wie stark die Deformierung ausgeprägt ist. Durch den Eingriff wird der betroffene Zeh wieder begradigt. „In der Mehrheit der Fälle, bei 85 bis 90 Prozent, sind die Patienten mit dem Verfahren zufrieden“, sagt Reize.

Viele Betroffene fürchten die Fuß-OP dennoch. Gegen die Angst hilft Aufklärung und im Zweifel eine Zweitmeinung. „Ohne OP ist der Hallux valgus nicht rückgängig zu machen“, sagt Jörn Dohle, Präsident der DAF. „Schienen und Bandagen können in frühen Stadien vieles lindern, aber es ist utopisch, damit den Alltag dauerhaft aktiv gestalten zu wollen.“ Sein Tipp an alle: Schuhe immer nur nach Anlass tragen – daher keine allzu langen Strecken in High Heels. „Wir können den Frauen nicht sagen: ‚Schminken Sie sich den Anspruch ab, Frau zu sein.‘“ Zehn Prozent aller Deformierungen zeigen sich Dohle zufolge schon in der Jugendzeit. Viel barfuß laufen ist immer eine gute Investition in die Zukunft.

Sprechstunde, Vorträge und weitere Infos

Sprechstunde
Dienstags von 14 bis 16 Uhr findet im Krankenhaus Bad Cannstatt eine Fußsprechstunde statt. Eine Anmeldung ist unter der Nummer 07 11/27 86-30 01 erforderlich.

Vortragsreihe
„Der Fuß im Fokus“ heißt eine Veranstaltungsreihe im Krankenhaus Bad Cannstatt, der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie. Der nächste Vortrag zum Thema Rheuma, Diabetes und Fußgesundheit findet am Donnerstag, 22. Mai von 18 bis 20 Uhr in der Klinik statt. Um „Arthrose am Sprunggelenk und Fuß“ geht es am Mittwoch, 25. Juni, ebenfalls von 18 bis 20 Uhr.

Infos
Weitere Tipps zum Thema gibt es bei der Deutschen Gesellschaft für Fußchirurgie unter: www.gesellschaft-fuer-fusschirurgie.de