Drei Forscher sollten den Medizin-Nobelpreis erhalten. Der Kanadier Ralph Steinman ist aber wenige Tage vor der Bekanntgabe gestorben.

Stuttgart - Ralph Steinman hat seinen jahrelangen Kampf gegen die Krebszellen in seinem Körper verloren. Am vergangenen Freitag ist der 68-jährige Wissenschaftler an den Folgen des Bauchspeicheldrüsenkrebses gestorben, wie die Rockefeller-Universität in New York mitteilte. Damit erlag der gebürtige Kanadier seinem Leiden nur wenige Tage vor der Auszeichnung mit der höchsten wissenschaftlichen Anerkennung, dem Nobelpreis für Medizin.

 

Drei Forscher sollten in diesem Jahr mit dem Medizin-Nobelpreis geehrt werden, weil ihre Forschungen maßgeblich zum heutigen Verständnis des Immunsystems beigetragen haben. Doch der Nobelpreis kann laut Statuten nicht posthum zuerkannt werden. Das Karolinska-Institut in Stockholm gab einige Stunden nach der Bekanntgabe der Preisträger zwar ebenfalls den Tod Steinmans bekannt, wollte dazu aber zunächst keine Stellung nehmen.

(Update 22.30 Uhr: Ralph M. Steinman behält seine Nobelpreis-Ehrung. Wie die Nobelstiftung am Montagabend in Stockholm mitteilte, wird die Entscheidung nicht revidiert, obwohl sie gegen die Statuten verstößt.)

Die beiden anderen Preisträger, der Amerikaner Bruce Beutler und der Franzose Jules Hoffmann sollten sich den mit 1,1 Millionen Euro dotierten wichtigsten Wissenschaftspreis mit Steinman teilen. Das Forschertrio kenne sich zwar aus Wissenschaftskreisen, sie haben aber nie zusammengearbeitet, erklärte man beim Medizin-Nobelkomitee in Stockholm. Die Forscher hätten unabhängig voneinander das Verständnis des Immunsystems revolutioniert, indem sie zentrale Prinzipien seiner Aktivierung entdeckt hätten, heißt es in der Begründung des Komitees.

Immunsystem kann einen Tumor erkennen

Steinman hatte sich viele Jahre seines Lebens damit beschäftigt, wie es der Körper schafft, Bakterien, Viren, Parasiten und andere Krankheitserreger in Schach zu halten: Er untersuchte das sogenannte spezifische Immunsystem, das dem Menschen ermöglicht, auf jeden Eindringling ganz speziell zu reagieren und ihn abzutöten. 1973 entdeckte Steinman die dendritischen Zellen als wesentliche Schaltzentrale des Immunsystems.

Die baumartig verzweigten weißen Blutzellen findet man vorwiegend an der Eintrittspforte in den Köper, etwa in den Schleimhäuten. Diese Zellen nehmen die Fremdkörper auf, schlucken sie gewissermaßen und präsentieren auf ihrer Oberfläche bestimmte Teile dieser unerwünschten Eindringlinge. Damit werden andere Immunzellen aktiviert und eine Kettenreaktion wird in Gang gesetzt, an deren Ende die Eliminierung und die oft lebenslange Erinnerung an einen Keim steht.

Mittlerweile weiß man, dass diese Zellen auch an der Unterscheidung von fremd und selbst beteiligt sind und damit beim Entstehen von Allergien und bei der Organtransplantation eine enorme Rolle spielen. Ähnlich wie gegen Erreger wehrt sich der Körper auch gegen Krebszellen. Das Immunsystem kann einen Tumor erkennen, da in dessen Zellen genetische Bausteine verändert sind.

Ein Gen namens "Toll"

Diese Veränderungen kann man die dendritischen Zellen präsentieren lassen, so dass das Immunsystem seine Abwehrkaskaden gegen den Tumor bilden und diesen zerstören kann - man nennt dies eine spezifische Immuntherapie. Mit Hilfe einer solchen Therapie konnte Steinman sein Leben um einige Jahre verlängern. Doch zählt Bauchspeicheldrüsenkrebs zu den aggressivsten Krebserkrankungen, so dass der Wissenschaftler seine Ehrung nicht mehr erleben konnte.

Dieses spezifische Immunsystem ist nur eine Verteidigungslinie. Viel früher, bevor man einen Krankheitserreger in Form von kribbelnder Nase oder fiebrigen Gliederschmerzen erkennt, startet das angeborene Immunsystem, das bei allen Lebewesen gleich ist - von der Drosophila bis zum Menschen. Daher wird man sich vielleicht auch in Tübingen in diesem Jahr wieder an den Nobelpreis erinnern, den die Entwicklungsbiologin Christiane Nüsslein-Volhard 1995 für die genetische Steuerung der Embryonalentwicklung bekommen hat.

Bei ihren Forschungsarbeiten stieß die Tübinger Biologin zusammen mit Kollegen bei der mikroskopischen Betrachtung von mutierten Fruchtfliegen auf ein Tier, dem ein bestimmtes Eiweiß und damit auch das dazugehörige Gen fehlte. Diese einzigartige mutierte Fruchtfliege entlockte der Entwicklungsbiologin den begeisterten Ausruf "toll". So wurde das Gen "toll" getauft - bis heute stiftet dies in der englischsprachigen Wissenschaftswelt große Verwirrung.

Komponenten des Abwehrsystems müssen weiter erforscht werden

Etwa zehn Jahre später zeigte sich, dass dieses Gen nicht nur für die Embryonalentwicklung entscheidend ist, sondern auch an der Pilzabwehr der Insekten beteiligt ist. Jules Hoffmann gelang es in den neunziger Jahren zusammen mit seinem Team an der Universität Straßburg die genetischen Mechanismen der angeborenen Immunität der Insekten zu identifizieren und das "Toll-Gen" eines membrangebundenen Rezeptors dafür dingfest zu machen: Muss sich Drosophila gegen eine Pilzinvasion oder andere Krankheitserreger wehren, kommt durch "Toll" eine Kettenreaktion in Gang, an deren Ende antibakterielle Substanzen und Stoffe zur Bekämpfung der Pilze stehen.

"Toll" ist die Entdeckung des Fruchtfliegen-Gens schließlich auch für den Menschen: Ende der neunziger Jahre hat man ähnliche Gene auch bei Säugetieren und damit beim Menschen entdeckt. Sie wurden "Toll-like-receptor" (TLR, Toll-ähnliche-Rezeptoren) genannt. 1998 isolierte und vermehrte der heute 53 Jahre alte Beutler, der an verschiedenen US-Universitäten forschte, das Gen eines TLR in Mäusen, das für den septischen Schock verantwortlich ist. Im Laufe der Jahre wurden immer mehr TLR bei Säugetieren gefunden, und alle spielen eine wichtige Rolle im angeborenen Immunsystem.

Nun gilt es weiter zu erforschen, wie die beiden Komponenten des Abwehrsystems funktionieren, um entsprechende Therapien entwickeln zu können - gegen Krebs, Aids, Allergien und viele andere mehr.

Die Preisträger

Ralph Steinman wurde 1943 in Kanada geboren. Er starb am 30. September 2011 nach vierjährigem Kampf an Bauchspeicheldrüsenkrebs, hat also den Ruhm nicht mehr erleben können. Seit 1970 war er für die Rockefeller-Universität in New York tätig und leitet deren Zentrum für Immunologie und Immunkrankheiten. Dort hat er sich insbesondere mit dem spezifischen Immunsystem beschäftigt. Im Jahr 1973 entdeckte er die Dendritischen Zellen, eine Art Kommandozentrale fürs Immunsystem.

Jules Hoffmann, geboren 1941 im luxemburgischen Echtnernach, ist französischer Staatsbürger. Bis 2009 war der Biologe und Chemiker Leiter eines Forschungslabors in Straßburg. 1973/1974 war er als Postdoc an der Marburger Uni. 2007 wurde er Präsident der Französischen Akademie der Wissenschaften. Hoffmanns nobelpreiswürdige Entdeckung erfolgte, als er Infektionen bei Fruchtfliegen untersuchte. Dabei entdeckte er, dass eine Genmutation entscheidend für die angeborene Immunabwehr ist.

Bruce Beutler Der 1957 in Chicago als Sohn eines deutschen Emigranten geborene Biologe und Mediziner ist Professor für Genetik und Immunologie am Scripps-Forschungsinstitut im kalifornischen La Jolla. Zwei Jahre nach Hoffmanns Entdeckung zeigten 1998 Beutlers Forschungen an Mäusen, dass auch Säugetiere ihre Immunabwehr ähnlich wie die Fruchtfliegen aktivieren. Zusammen mit Hoffmann hat er bereits mehrere internationale Preise erhalten, darunter 2004 auch den Robert-Koch-Preis.