Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie haben begonnen, die Menschenaffen neu zu zählen. Sie machen sich im Regenwald auf die Suche nach den Nestern, die die Tiere im Geäst bauen. In dem Magazin Science Advances berichten sie nun von doppelt so viel Tieren wie bisher gedacht.

Stuttgart - Mühselig kämpft sich Hjalmar Kühl vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (EVA) in Leipzig einen steilen Hang im Regenwald der indonesischen Insel Sumatra hinauf. Immer wieder späht der Zoologe zum Kronendach des Regenwaldes hinauf: Hat dort ein Orang-Utan sein Nest gebaut?

 

Und das hat er. Hjalmar Kühl und seine 30 Kollegen finden innerhalb eines Jahres auf 259 Strecken mit einer gesamten Länge von 305,8 Kilometern 3166 Betten aus Zweigen und Ästen, von Orang-Utans gebastelt. Am Ende der schweißtreibenden Abenteuer berichten die Forscher im Fachblatt Science Advances, dass sich rund doppelt so viele Orang-Utans wie bisher vermutet durch den Regenwald Sumatras hangeln. Und das auch noch viel eleganter als die Forscher am Waldboden.

Die aber nehmen ihr anstrengendes Abenteuer auf sich, um bisher fehlende zuverlässige Zahlen über die nächste Verwandtschaft von uns Menschen zu erhalten. „Von 13 Unterarten der Großen Menschenaffen in Afrika und Asien wollen wir in den kommenden Jahren möglichst genaue Schätzungen ermitteln“, erklärt Hjalmar Kühl. Den Anfang machen jetzt die Orang-Utans auf Sumatra, die eine eigene Art neben den Borneo-Orang-Utans mit ihren drei Unterarten bilden, die als nächstes gezählt werden. Dazu kommen in Afrika später die Schimpansen mit vier Unterarten, die mit ihnen eng verwandten Bonobos und die beiden Gorilla-Arten mit jeweils zwei Unterarten. Praktisch alle geraten durch den Menschen unter Druck. Um die Menschenaffen aber schützen zu können, brauchen Wissenschaftler möglichst genaue Zahlen. Die gab es bisher kaum.

Daher schlagen sich die Forscher auf Sumatra und Borneo sowie in verschiedenen Regionen zwischen West- und Ost-Afrika durchs Unterholz. Und zählen dort die Nester der Menschenaffen. „Normalerweise bauen die Tiere jeden Abend ein neues Nest, in dem sie sicher die Nacht verbringen“, berichtet Hjalmar Kühl. Das klappt ähnlich wie der Bettenbau bei uns Menschen nicht immer gleich gut. Manchmal baut ein Tier mehrere Nester, bevor es zufrieden ist, und dazu vielleicht für seine Mittagsruhe ein weiteres Bett. Kleine Orang-Utans, die jünger als vier Jahre sind, schlafen bei ihrer Mutter. Im Durchschnitt kommen so für jeden Orang-Utan täglich 1,8 Nester dazu. Die halten zwar länger als die eine Nacht, in der ihr Erbauer darin schlummert, sind aber keineswegs unzerstörbar. Dauert es in einem Gebiet zum Beispiel hundert Tage, bis ein Nest zerfallen ist, und finden die Forscher 360 Nester, sollten dort täglich zwei Orang-Utans unterwegs gewesen sein. Aus den untersuchten Gebieten können die Forscher schätzen, wie viele Tiere in ähnlichen, nicht erfassten Regionen leben.

Mit solchen Zählungen kommen die Forscher auf gut 14 000 Orang-Utans, die auf der Insel Sumatra auf einer Fläche von fast 18 000 Quadratkilometern und damit der Größe von Sachsen leben. Das sind zwar gut doppelt so viele wie die 6600 Tiere, die 2004 geschätzt wurden. „Das bedeutet aber keineswegs, dass heute mehr Orang-Utans auf Sumatra leben als vor zwölf Jahren“, erklärt Hjalmar Kühl. Damals wurden die Tiere auf einer viel kleineren Fläche von knapp 7000 Quadratkilometern gezählt. Auch dachten die Forscher bisher, dass Orang-Utans nur in Regionen bis höchstens 900 Metern über dem Meeresspiegel leben würden. Bei der neuen Untersuchung fanden sie dagegen noch in 1500 Metern Höhe Schlafnester.

Die Forscher entdeckten weitere Zusammenhänge: „Rücken die Menschen ihnen auf den Pelz, leben weniger Orang-Utans in einem Gebiet“, berichtet EVA-Forscher Hjalmar Kühl, der parallel auch am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung in Leipzig arbeitet. Setzt sich dies fort, könnten auf Sumatra 4500 Orang-Utans bis zum Jahr 2030 verschwinden, berichten die Forscher in Science Advances. „Um die Art dauerhaft gesund zu halten, sollte also vor allem die letzten natürlichen Wälder erhalten und nicht von neuen Straßen zerschnitten werden“, sagt Hjalmar Kühl.