Südkorea bekommt den Virus nicht in den Griff: 6500 Personen sind bereits in Quarantäne. Die großen Kliniken gelten mittlerweile als Brutstätte. Unterdessen sorgt sich Präsidentin Park um die Wirtschaft des Landes.

Stuttgart - Eun Young Lee hält in Südkoreas Hauptstadt Seoul an ihrem Alltag fest, obwohl sie das Risiko kennt. „Es schwebt dieses Gespenst unter uns“, sagt die 43-jährige Frau und drängt sich auf dem Weg zu Arbeit in die U-Bahn der Hauptstadt. Sie setzt wie Millionen Landleute auf ein Symbol medizinischen Aberglaubens als Verteidigung gegen den unsichtbaren Unhold: Eun Young Lee schützt sich mit einem – wie Mediziner wissen – nutzlosen Mundschutz aus Papier gegen die Viren-Epidemie Mers, die seit Ende Mai 20 Menschen tötete, 162 ansteckte und 6500 Koreaner in Quarantäne zwang.

 

Nur in Saudi-Arabien wütete die Krankheit, die laut der Weltgesundheitsorganisation in 38 Prozent aller Fälle tödlich verläuft, bislang schlimmer als auf der ostasiatischen Halbinsel. Mehr als 450 der rund 1000 Menschen, die sich seit 2012 mit der ursprünglich von Kamelen stammenden Krankheit ansteckten, starben an den Folgen. Schon der Aufenthalt im selben Raum mit einem Patienten kann anstecken.

Die großen Kliniken entpuppen sich als Brutstätten

In Südkorea entpuppten sich zwei der renommiertesten Krankenhäuser des Landes als Brutstätten von Mers. Im Samsung Medical Center in der Hauptstadt Seoul wurden nach Schätzungen des Gesundheitsministeriums möglicherweise 4000 Südkoreaner dem Virus ausgesetzt. Die Hälfte aller mehr als 160 infizierten Patienten holten sich Mers in dem angesehenen Krankenhaus. Es wurde erst am vergangenen Wochenende für den Publikumsverkehr geschlossen.

Im Samsung Medical Center war Ende Mai ein 68-jähriger Patient mit der Krankheit diagnostiziert worden, der zuvor Saudi Arabien besucht hatte und anschließend mit Husten und Fieber durch mehrere Hospitäler Südkoreas gewandert war. Alleine im St. Mary’s Krankenhaus der Stadt Pyoengtaek rund 50 Kilometer außerhalb von Seoul steckte er 37 Landleute an.

Präsidentin Park sorgt sich um die Wirtschaft des Landes

Südkoreaner glauben, dass die besten Ärzte des Landes in den größten Kliniken Südkoreas zu finden sind. In den Krankenzimmern werden sie häufig von Freunden und Verwandten versorgt – eine Tradition, die sich im Fall einer Epidemie verhängnisvoll auswirken kann. Kritiker beschuldigen Seouls Regierung, die Hospitäler vor ökonomischen Nachteilen schützen wollte. Mindestens 110 000 Gruppen-Touristen habe seit dem Mers-Ausbruch ihre Südkorea-Visite storniert. Normalerweise besuchen im Durchschnitt monatlich 1,18 Millionen Menschen Südkorea.

Präsidentin Park scheint in erster Linie die Wirtschaft des Landes am Herzen zu liegen. „Ich fürchte, Mers bedroht unsere wirtschaftliche Erholung“, erklärte das Staatsoberhaupt, „wir müssen die Verbreitung öffentlicher Sorge verhindern und möglichst bald zur Normalität zurückkehren.“ Prompt öffneten am Montag 2000 Schulen wieder ihre Tore. Lehrer mit Fieberthermometern untersuchten jeden Ankömmling und schickten Kinder mit erhöhter Temperaturen wieder nach Hause.

Am Mittwoch gab es einen weiteren Todesfall

Aber nach einem Hoffnungsschimmer am Wochenanfang, dass das Schlimmste vielleicht überstanden sei und die Zahl von Neuansteckungen nun sinken werde, verdunkelte sich der Horizont am Mittwoch erneut. Es gab einen weiteren Todesfall und insgesamt 16 Neuansteckungen. Erstmals stammen sie nicht wie bislang aus Krankenhäusern, sondern aus verschiedenen Städten Süd-Koreas. Betroffen sind nun Patienten, die während der vergangenen Tage mit Hunderten, wenn nicht gar Tausenden von Landsleuten zusammengekommen sind.