Bei seiner Lesung im Literaturhaus möchte der französische Autor Michel Houellebecq zur Klärung möglicher Fragen nicht beitragen.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Als Sternstunden seien die beiden früheren Auftritte von Michel Houellebecq in Stuttgart in Erinnerung, behauptete der wie stets berückend verbindliche Literaturhauschef Florian Höllerer am Donnerstagabend. Zweifellos in Erwartung einer weiteren Sternstunde habe sich nun im Mozartsaal der Liederhalle ein großes Publikum versammelt, inklusive französischem Generalkonsul und Dumont-Verlagsgesandtschaft. Stolz könne die Stadt ja auch zweifellos sein, dass der französische Autorenstar neben Berlin allein Stuttgart zum Ort einer Lesung aus seinem aktuellen, allseits gepriesenen, bereits Prix-Goncourt-gekrönten Roman "Karte und Gebiet" in Deutschland erwählt habe. Daraufhin freundlicher Beifall.

 

Das waren mit Abstand die nettesten Minuten eines Literaturabends, bei dem Michel Houellebecq ansonsten mal wieder ganz den schlurfenden, griesgrämigen, plastiktütenbewehrten, irgendwie an allem desinteressierten, Zigaretten paffenden, sich ausgiebig unterm Hemd kratzenden und allen Fragen ausweichenden französischen Weltabneigungs-Intellektuellen gab. Selten hat der Berichterstatter die schiere Last des Schriftstellers mit so seltsamen Unternehmungen wie "Zusammentreffen mit Lesern" drängender verspürt als an diesem jenseits der Liederhalle so freundlich lauen Frühlingsabend.

Dabei, hieß es doch zuvor, sei der jüngste Houellebecq, also der Autor von "Karte und Gebiet", so ganz anders als der frühere, scheinbar unemotionale, vordergründig zynische - wir sagen nur: "Ausweitung der Kampfzone" und "Elementarteilchen". Auch der sichtlich um irgendeine Form von Beziehung bemühte Moderator und Literaturwissenschaftler Jürgen Ritte pries mehrfach, dieses "frische Werk" sei nicht nur perfekt komponiert und stringent erzählt, sondern auch "lustig", "witzig", streckenweise gar "spannend", weil ein Kriminalroman. Es sei ja bemerkenswert, dass die Kritiker darüber frühere Vorbehalte gegen den Franzosen demonstrativ aufgegeben hätten und sich im Lob von "Karte und Gebiet" völlig eins wären.

 "Karte und Gebiet" ist ein Erörtern der Kunst

All diese Bemerkungen konnten den Autor aber nicht erwärmen. Auf Rittes Fragen nach seinem besonderen Erfolg in Deutschland oder seiner Sicht des Landes reagierte er entweder so, wie das Autoren vor Publikum immer mal wieder gern tun, nämlich einfach mit einem Brummen plus "oui" und sonst nichts oder einem Brummen plus "non" und sonst nichts. Im weiteren Verlauf schwenkte er dann um in ein Raunen und Rumoren, das selbst der stets souveräne Dolmetscher Jürgen Stähle nur in sehr begrenzt aussagenhafte Sätze zu übertragen wusste. Dass Houellebecq alsdann beim längeren Vortrag aus seinem Roman mehr und mehr ins Nuscheln verfiel, war daher kaum noch eine Überraschung.

So blieben dem Publikum nur die emsigen Bemühungen Jürgen Rittes, den Zusammenhang und den Rang des jüngsten Meisterwerks selbst zu verdeutlichen. Man lernte, dass "Karte und Gebiet" ein Zeit- und ein Zukunftsroman sei, zudem, wie schon erwähnt, ein Krimi, vor allem aber ein Erörtern der Kunst, ihres Werts, ihrer Bedeutung - und ihres Ausgeliefertseins an die Gesetze des Marktes. Jed Martin, der Held des Romans, ein Maler und Fotograf, lernt beim Aufschlagen einer Michelin-Autostraßenkarte im Maßstab 1 zu 150.000 die Schönheiten der dort gedruckten Farben und Zeichen kennen. Und er wird im Lauf der Zeit einen Schriftsteller namens Michel Houellebecq kennenlernen, der wiederum einem aus Gier nach wertvoller Kunst motivierten Mord zum Opfer fällt. Der Schauspieler Felix Klare nahm sich bei der Lesung einiger Passagen viel Zeit, um die eigentlich recht unprätentiöse, präzise und trockene Romansprache Houellebecqs mittels Pausen und Blicken bedeutsam und abgründig aufzuladen. Auch das keineswegs uneitel.

Ob es nicht merkwürdig sei, im eigenen Roman eine Figur gleichen Namens und Kalibers so detailliert abschlachten zu lassen, suchte Ritte schließlich noch mal das Gespräch mit dem Gast. Das müsse man alles nicht so ernst nehmen, antwortet der, das sei doch ganz zweifellos clownesk. Und dann beginnt er murmelnd im eigenen Roman zu blättern auf der Suche nach dem passenden Zitat, wobei ihm schließlich der Moderator über längere Zeit ebenso murmelnd assistiert. Darüber verlassen hinten rechts die ersten Zuschauerkohorten den Saal. Fazit: Manchen Autoren begegnet man lieber nur als Figuren in ihrem Buch.