Glauben Sie, dass die Mehrheit der Gläubigen Ihr konditioniertes Ja zu militärischer Gewalt teilt?
Durchaus. Die Umfragen zeigen ja, dass die Mehrheit der Bürger militärische Interventionen extrem zurückhaltend, wenn nicht sogar ablehnend sieht. Ich denke, dass es bei Kirchenmitgliedern ähnlich ist.
Die Umfragen zeigen eher, dass Margot Käßmann den Christen aus dem Herzen spricht, während Sie ihnen ins realpolitische Gewissen reden . . .
(Er lacht) . . .
. . . Käßmann will doch raus aus der Spirale von Gewalt und Gegengewalt. Blickt man auf Militäreinsätze unter dem Dach der UN zurück, ist diese Furcht nicht unrealistisch.
Nein, diese Gefahr ist absolut real. Deshalb möchte ich Frau Käßmann da auch nicht desavouieren. Beide Positionen treffen sich, wo wir einräumen: Wir leben nun einmal in der noch nicht erlösten Welt.
Unter den Bischöfen sind Sie ein Unikum: Sie haben mit allen Kasernen der Truppe und den Stützpunkten im Ausland das größte Bistum und – weil viele Soldaten in den Zwanzigern sind – die jüngsten Schäfchen . . .
. . . und hauptsächlich Männer! In einer normalen Kirchengemeinde sind häufig gestandene Frauen die treibenden Kräfte. Ich leiste jetzt also einen Teil der Männerarbeit der evangelischen Kirche!
Wie gefällt Ihnen das neue Umfeld?
Das Amt birgt für mich einen Kulturwandel mit sehr interessanten Seiten. Dazu gehört, dass wir in der Bundeswehr bei Weitem nicht nur Kirchenmitglieder erreichen, sondern auch viele Soldaten, die nicht kirchlich gebunden sind. Vielleicht hat die Militärseelsorge da sogar eine Pionierrolle. Wer weiß denn, ob die Menschen im Westen in zwanzig, dreißig Jahren noch ziemlich selbstverständlich zu einer Kirche gehören werden? Außerdem finde ich spannend, dass die Soldaten so selbstverständlich auf ihre Militärgeistlichen zukommen. Das ist in einer normalen Gemeinde anders.
Ist das auch eine Chance zum Missionieren?
In meinen Augen gibt es kein kirchliches Wirken ohne missionarische Dimension. Als Militärgeistliche tragen wir die Missionsidee nicht vor uns her. Aber wir sind Seelsorger. In diesem Dienst erfährt man, dass Soldaten seelsorgerliche Betreuung als wohltuend erleben. Und plötzlich geht es dann auch darum, Taufen oder Trauungen vorzunehmen.
Wie begegnen Ihnen die Soldaten?
Ich war erstaunt, wie schnell das Eis taut. Bei Truppenbesuchen kommen die Soldaten sehr rasch auf persönliche Dinge zu sprechen: Pendlerbeziehungen, Abwesenheitszeiten auf See oder Paarprobleme während des Auslandseinsatzes.
Warum haben Sie dieses aus kirchlicher Perspektive zwiespältige Amt übernommen: Ist dies ein Karrieresprung oder eine Entschädigung dafür, dass Sie bei der Wahl zum hessischen-nassauischen Kirchenpräsidenten knapp gescheitert sind?
Ich habe mich schon in meiner Doktorarbeit mit dem Verhältnis von Kirche und Politik beschäftigt. Dieses Spannungsfeld hat mich immer fasziniert. Dort zu arbeiten reizt mich. Vor einem Jahr noch hätte ich zwar nicht geahnt, dass ich jemals Militärbischof werde, aber nun tun sich für mich neue Welten auf. Das fühlt sich gut an. Deshalb würde ich heute sagen, es hat seinen höheren Sinn gehabt, dass ich nicht Kirchenpräsident geworden bin.