Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)
Ist der Versuch, die Militärgeschichte der Nazizeit auszumerzen, Geschichtsklitterung?
Ja. Die Wehrmacht und die Nazi-Zeit stecken in unserer Vergangenheit, ob wir das wollen oder nicht. Im Sinne einer kritischen Auseinandersetzung wünsche ich mir, dass wir nicht in Schwarz-Weiß-Denken verfallen, sondern auch die Grautöne zulassen.
Ist der Name Erwin-Rommel-Kaserne aus ihrer Sicht heute noch akzeptabel?
Warum nicht, zumal wenn man die neuesten Veröffentlichungen liest? In meinen Forschungen rücke ich ihn näher an den Widerstand heran, als es einige Kollegen tun. Rommel zeigt eine interessante Ambivalenz: Er war ein Mensch, der auf der Welle des NS-Systems nach oben gesegelt ist. Aber er hat sich auch, wie praktisch kein anderer General, in der Normandie 1944 losgesagt von der Führung und wollte den Krieg beenden. Meines Erachtens war er über das Attentat auf Hitler informiert und hat es unterstützt. Seine Fähigkeit, aus der eigenen Peer-Group herauszutreten, hat kaum einer aufgebracht. Dabei sehe ich Rommel nicht unkritisch. Er hat diese Courage erst fünf vor zwölf aufgebracht. Aber ich würde einen Kasernen-Namen als Aufforderung sehen, sich mit dieser Person auseinanderzusetzen. Wir dürfen nicht versuchen, uns saubere Helden zu konstruieren. Das funktioniert nicht.
Wieso nicht?
Weil menschliches Handeln im Militär eben immer ambivalent ist. Zudem: Die Bundeswehr wurde von Wehrmachtangehörigen aufgebaut. Ob uns das gefällt oder nicht: Die Wehrmacht steckt da mit drin. Auch viele Kampftaktiken und militärische Doktrinen gehen auf die Wehrmacht zurück. Der Formationsflug beim Luftkrieg und der sogenannte Vier-Finger-Schwarm stammen aus den dreißiger Jahren. Kampftaktiken der Panzertruppe gehen auch auf die Wehrmacht zurück. Das ist alltägliches Handwerkszeug des Militärs.
Wenn man Soldaten von heute vermitteln will, dass es nicht nur auf das effiziente, militärische Handwerkszeug ankommt, sondern auch auf den moralisch-ethischen Überbau, braucht es die Auseinandersetzung mit diesem Teil der Militärgeschichte?
Wir brauchen die Beschäftigung mit Widerstandsbiografien – aber eben nicht nur. Der Zweite Weltkrieg bietet auch Lehrmaterial für ethisches Verhalten und für Missbrauch von Soldaten. Die Geschichte belegt, wie sehr die Soldaten Teil eines verbrecherischen Krieges waren. Letztlich sollten wir uns trauen, die Grautöne nachzuzeichnen.
Offiziell haben Bundeswehr und Verteidigungsminister nie Zweifel daran aufkommen lassen, dass die Bundeswehr sich vor allem in ihrer Moral und in ihrem ethisch-militärischen Selbstverständnis von den Verbrechen der Wehrmacht abgrenzt. Wie gut ist das in der sechzigjährigen Geschichte gelungen?
Die Bundeswehr ist eine komplizierte Organisation. Man muss Heer, Luftwaffe und Marine unterscheiden, denn da gibt es unterschiedliche Entwicklungen. Bis heute sind die Bezüge zur Zeit vor 1945 vor allem eine Sache der Kampftruppen des Heeres, vor allem der Infanterie. Dort hat man sich vielleicht am schwersten mit dem Loslassen von der Wehrmacht getan.