Auch Betriebe, die deutlich über dem Mindestlohnniveau zahlen, müssen Arbeitszeiten demnächst genau dokumentieren. Das Handwerk klagt über zu viel Bürokratie.

Berlin - Mit der Einführung des flächendeckenden Mindestlohns am 1. Januar 2015 nimmt auch die bürokratische Belastung der Betriebe zu. Die Bundesregierung will an diesem Mittwoch eine Verordnung beschließen, in der Dokumentationspflichten zum Mindestlohn geregelt werden. Sie tritt zum 1. Januar in Kraft. Der Umstand, dass die Regierung die genauen Bestimmungen erst kurz vor dem Jahreswechsel auf den Weg bringt, dürfte vielen Lohn- und Steuerberaterbüros vor und nach den Feiertagen viel Arbeit bescheren. Auch in der Regierung war bis zuletzt umstritten, welche bürokratischen Belastungen mit dem Mindestlohn verbunden sein sollten. Mit dem Kabinettsbeschluss soll nun Klarheit herrschen.

 

Aus der Verordnung geht hervor, dass auch Betriebe, die ihre Mitarbeiter deutlich über Mindestlohnniveau bezahlen, Nachweispflichten einhalten müssen. „Viele Unternehmen, die ihren Beschäftigten weit mehr als den Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde bezahlen, sind davon ausgegangen, dass sie gar nicht vom Mindestlohn-Gesetz betroffen sind“, sagte Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) der Stuttgarter Zeitung. Diese Betriebe würden nun mit umfangreichen und kostenträchtigen Aufzeichnungspflichten konfrontiert.

Die Verordnung regelt, dass die Arbeitgeber in den Branchen, die besonders von Schwarzarbeit betroffen sind, den Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit des Mitarbeiters dokumentieren müssen. Das gilt zwar heute schon für neun Branchen wie etwa den Bau, Speditionen, das Gaststätten- und Hotelgewerbe sowie das Gebäudereinigungshandwerk. Bisher mussten die Betriebe aber nur die Arbeitszeiten für gewerbliche Mitarbeiter extra ausweisen. Mit dem Mindestlohn wird die Aufzeichnungspflicht in den neun Branchen auf alle Mitarbeiter in den Unternehmen ausgeweitet, die bis zu 2958 Euro monatlich verdienen. Das dürfte ein großer Teil der Beschäftigten sein. Die Nachweispflicht gilt dann auch für kaufmännische und technische Angestellte. In der Öffentlichkeit ist bisher auch wenig bekannt, dass die Arbeitszeiten bei fast allen Minijobs („450-Euro-Jobs“) genau erfasst werden müssen. Ausnahmen lässt die Regierung nur für Minijobs in privaten Haushalten zu.

„Der Mindestlohn wird zum Bürokratiemonster“

Ursprünglich hatte das Bundesarbeitsministerium sogar geplant, dass die Arbeitszeiten aller Mitarbeiter aufgezeichnet werden müssen, die bis zu 4500 Euro monatlich verdienen. Das Arbeitsministerium und das Kanzleramt einigten sich aber nach massiven Beschwerden der Wirtschaft auf den niedrigeren Schwellenwert.

Das Handwerk und die Industrie- und Handelskammern sind mit der Regelung dennoch unzufrieden. Sie befürchten, dass der Mindestlohn zusätzliche bürokratische Belastungen mit sich bringt. Auf Unverständnis stößt, dass der Kreis der Vollzeitbeschäftigten, für die besondere Nachweispflichten bestehen, so groß ist. Rechnet man den Mindestlohn von 8,50 Euro in der Stunde auf einen Monat hoch, ergibt sich bei einer 40-Stunden-Woche ein Monatslohn von rund 1400 Euro. Dennoch schreibt die Regierung vor, dass auch für Mitarbeiter, die mehr als das Doppelte verdienen, die Arbeitszeiten dokumentiert werden müssen. Das Arbeitsministerium argumentiert, nur so sei gewährleistet, dass auch bei hohen Überstunden und vielen Bereitschaftsdiensten der gesetzliche Mindestlohn nicht unterlaufen werde. Der DIHK fordert Nachbesserungen. „Es ist nahezu grotesk, wenn die Bundesregierung an einer Stelle einen Bürokratie-Abbauplan vorlegt und an anderer Stelle die Wirtschaft mit neuen bürokratischen Lasten überzieht“, sagte DIHK-Vize Dercks. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) begrüßte zwar die Senkung der Nachweisgrenze, die Nachbesserungen reichten aber nicht. ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke sagte: „Dass die ursprünglichen Pläne von Arbeitsministerin Andrea Nahles vom Tisch sind, ist eine gute Nachricht.“ Das gefundene Ergebnis gehe aber noch immer an den Realitäten in den Betrieben vorbei. „Das Thema muss 2015 erneut auf die Tagesordnung“, forderte er und verlangte, alle Angestellten von den Dokumentationspflichten auszunehmen. Der CDU-Wirtschaftspolitiker Christian von Stetten, Vorsitzender des Parlamentskreises Mittelstand, sagte: „Der Mindestlohn wird zum Bürokratiemonster.“ Viele Betriebe zahlten ihren Mitarbeiter heute schon mehr als den Mindestlohn. Dennoch kämen auf sie administrative Belastungen zu.

Mit der Einführung des Mindestlohns droht auch eine jahrhundertealte Tradition im Handwerk zu Ende zu gehen. Seit dem Spätmittelalter befinden sich Wandergesellen auf der Walz, um nach ihrer Ausbildung Erfahrungen zu sammeln. Während der Wanderschaft arbeiten sie in Betrieben für Kost und Logis und erhalten ein kleines Handgeld. Das Mindestlohngesetz lässt die Anrechnung von Kost und Logis aber nicht zu. Bisher ist die Anrechnung von Verpflegung und Unterkunft nur in der Landwirtschaft erlaubt. Damit werde die Beschäftigung von Wandergesellen teuer und unattraktiv, so das Handwerk.