„Erfolgreich studieren“ – wurde an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen da ein wenig nachgeholfen? Von vorab bekannt gegebenen Aufgaben und auf Wunsch verbesserten Noten wollten weder die Hochschule noch das Ministerium etwas wissen. Nun prüfen sie noch einmal.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Das Motto der Hochschule Albstadt-Sigmaringen ist eigentlich unverfänglich. „Erfolgreich studieren“, verheißt die „University“ mit dem Doppelstandort, an der derzeit etwa 3500 junge Menschen eingeschrieben sind. Eine familiäre Atmosphäre, Professoren, die sich Zeit nehmen, praxisnahe Vorlesungen, moderne Labore und gute Kontakte zur Wirtschaft – all das offeriert die Hochschule in Studiengängen wie Maschinenbau, Textilmanagement oder Wirtschaftsinformatik.

 

In diesen Tagen muss die Rektorin Ingeborg Mühldorfer indes einer anderen Interpretation des Mottos vorbeugen. „Erfolgreich studieren“ – das solle keinesfalls „auf niedrige Anforderungen“ hinweisen. Mitnichten sei es so, versichert sie, dass Ansprüche gesenkt würden, um die Studierendenzahlen möglichst hoch zu halten. Man achte vielmehr stets auf ein „angemessenes hohes Niveau“.

Merkwürdige Lücken der Zweitsemester

Doch genau dieser Verdacht beschäftigt die Hochschule und das Wissenschaftsministerium in Stuttgart nun schon seit Monaten. Aufgebracht hat ihn der Informatik-Professor Rolf Schulze (Name geändert), der sich im Jahr 2015 über die dürftigen Programmierkenntnisse etlicher Zweitsemester wunderte. Mit Aufgaben aus einer Veranstaltung im ersten Semester, die eigentlich nur das Basiswissen auffrischen sollten, seien sie eindeutig überfordert gewesen. Dabei habe der zuständige Kollege doch allen Teilnehmern der einschlägigen Klausur guten oder sehr guten Erfolg bescheinigt. Wie könne das sein?

Zunächst wurde der Spieß freilich umgedreht. Schulzes Ansprüche seien zu hoch, die Aufgaben vor allem im Praktikum zu schwer, monierten Studierende in einer Resolution. An deren Zustandekommen soll der Kollege, wie Zeugen sagten, nicht unbeteiligt gewesen sein; offiziell wird dies bestritten. In der Folge wurde eine Parallelveranstaltung angeboten, durch die sich der strenge Professor ausgebootet sah. Auch das klingt offiziell anders: Grund seien unterschiedliche Schwerpunkte.

Prüfungsnoten auf Wunsch verbessert?

Erst später erfuhr Schulze von einem Vorgang, der die Wissenslücken für ihn erklärte: Vor der Klausur habe der andere Professor nicht nur die Aufgaben, sondern auch die Lösungen bekannt gegeben; die Notizen dazu durften sogar zur Prüfung mitgebracht werden. So berichteten es ihm Teilnehmer, die über das Vorgehen hochgradig irritiert waren. Das Niveau werde auf diese Weise zu Lasten der Leistungsstarken nivelliert, empörten sich um die Qualität ihrer Ausbildung besorgte Studenten. Nicht minder seltsam fanden sie es, dass der gleiche Dozent Prüfungsnoten auf Wunsch bereitwillig nachgebessert habe. Bei all dem handele es sich offenbar nicht um Einzelfälle, dahinter stecke System.

Der Professor drang auf eine Klärung durch die Hochschulspitze, die die jeweils zuständigen Gremien einschaltete. Das Ergebnis laut der Rektorin Mühldorfer: die Vorwürfe hätten sich „in keiner Weise bestätigt“. Die Studenten seien vorab über die „Art der Prüfungsaufgaben“, nicht aber über diese selbst informiert worden. Sie hätten einen „Katalog mit einem Vielfachen an beispielhaften Fragen“ erhalten, der ihnen zur Vorbereitung dienen sollte. Dieses Vorgehen sei für die befragten Informatik-Professoren „üblich und vollkommen legitim“. Unzulässig wäre es nur, wenn eine „stark eingeschränkte Menge“ an Fragen und Antworten vermittelt würden, die genau so in der Klausur kämen.

Studierende bewusst nicht befragt

Die Studierenden, auf die sich der Professor stützte, wurden laut Mühldorfer bewusst nicht befragt. Da sie „in einem Abhängigkeitsverhältnis zu mindestens einem der Dozenten standen“, habe man darauf verzichtet, „um eine mögliche Einflussnahme zu vermeiden“. Dies gebiete die Fürsorgepflicht. Auch bei den Noten konnte die Rektorin nach einer Datenauswertung „kein Problem feststellen“.

Per Dienstaufsichtsbeschwerde wandte sich der inzwischen von einem Anwalt vertretene Professor daraufhin an das Wissenschaftsministerium von Theresia Bauer (Grüne). Nach etlichen Monaten Funkstille kam von dort eine Antwort, die sich stark an die Stellungnahme der Hochschule anlehnte. Zulässig sei es, eine „große, mehrfache Menge“ von Aufgaben samt Lösungen vorab bekannt zu geben, nicht hingegen die konkreten Prüffragen. Die Durchfallquote von 22 Prozent sei ein „Indiz“ dafür, dass eben das nicht erfolgt sei. Fazit: die Hochschulleitung habe den Vorgang pflichtgemäß und korrekt aufgearbeitet.

Mussten Lösungen nur übertragen werden?

Nun aber hat das Ministerium die Prüfung wieder aufgenommen. Anlass ist ein Schreiben von Schulzes Anwalt, wonach die Hochschule die Tatsachen falsch dargestellt habe. Etliche aktive und ehemalige Studenten hätten diesen Vorwurf bei einer Besprechung untermauert – und mit ihrer Unterschrift unter das Protokoll bestätigt. Die Klausur soll danach doch genau aus den vorab verratenen Fragen und Antworten bestanden haben; man musste die Lösungen nur aus dem Mitschrieb übertragen. Dass trotzdem ein Fünftel durchfiel, könne man sich nur damit erklären, dass fehlende und nicht abgemeldete Teilnehmer die Note fünf erhalten hätten. Zudem bestätigten die Studenten die Praxis, dass Noten bei Nichtgefallen verbessert worden seien. Ihre Aussagen stehen somit in einem gravierenden Widerspruch zum Befund der Hochschule, die sie lieber nicht anhören wollte. Wie dieser wohl aufgelöst wird? Man werde nun „nochmals in eine Sachverhaltsklärung und Bewertung einsteigen“, kündigte die Rektorin inzwischen an.

Grundsätzlich ist sich Mühldorfer mit dem Ministerium einig. Erfolgreich studieren, sagt Bauers Sprecher, das funktioniere nur mit Qualität. Abstriche daran würden sich bei Studenten und Arbeitgebern schnell herumsprechen und letztlich „in Existenzprobleme münden“.