Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Was ist da los? Man muss sich daran erinnern, dass hier ein Brecht-Abend angekündigt ist. Texte des 1956 in Ost-Berlin verstorbenen kommunistischen Autors also, der das Publikum in der Weimarer Republik hochgradig polarisierte, dessen Aufführungen von Nazis mit Stinkbomben gestört wurden. Dessen Dreigroschenoper von Kurt Weill mit einer Musik unterlegt wurde, die heute noch schwer anzuhören ist. Verfremdungseffekt - das Wort kennt jeder noch aus dem Deutsch-LK. Brecht will die Verfremdung, also dass es sich die Zuhörer gerade nicht im Bekannt-Heimeligen bequem machen und so nicht den konkreten Missstand, sondern sozusagen das Abstrakte dahinter erkennen. 

 

Schwere Kost. Aber Brecht hat es längst in den Kanon geschafft. Mit seinem Namen weckt man die Aufmerksamkeit von Feuilletonisten. Doch über die Jahrzehnte wurde dieser Autor auch weichgespült von all den Brecht-Festivals. Die Verfremdung zählt heute zum Standardrepertoire jedes Jungregisseurs, und derart im Mainstream aufgegangen, hat Brecht seinen Schrecken verloren. Auch inhaltlich: Brecht-Texte, so aktuell sie in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise, europäischer Massenarbeitslosigkeit und politischer Radikalisierung sein mögen, schrecken niemanden mehr. Mit anderen Worten: Man geht nicht ins Merlin, um sich politisch auf Linie zu bringen.

Misuk aus Augsburg wissen das, und auch ihr Programm ist weniger auf Ideologie ausgerichtet als auf Inszenierung. Das soll nicht sagen, dass das Brecht-Programm dieser Musiker inhaltsleer und auf Äußerlichkeiten gerichtet ist. Vielmehr nimmt die Band die Brecht-Lyrik einfach als gesetzt und konzentriert sich darauf, dazu passende Musik zu spielen. Oder eben Misuk: eine Erfindung von Brecht, der in seiner eigenen Musiktheorie allen ideologischen Ballast von der Musik abwerfen und eine eigene, modern-sozialistische Volkskunst, eben Misuk, entwickeln wollte. 

Wie die Knef

Das ist also das Programm der nach diesem Programm benannten Band aus Augsburg. Und sie setzt das ganz hervorragend um: Eine tanzbare Rhyhtmusgruppe, ab und zu sehr perkussiv gespielte Gitarren und sparsam eingesetzte Synthesizer, das wäre tatsächlich clubtauglich. Ja, auf einen so vorgetragenen Brecht könnte man ausgelassen tanzen! Im bestuhlten Merlin müssen sich die Gäste aufs Mitwippen beschränken - oder darauf, die fast theaterreife Performance der Sängerin Eva Gold zu verfolgen. Sie hüpft nur so durch die Oktaven, erinnert in ihren durchdringendsten Momenten an die Knef oder auch an Nina Hagen.  

Dem Publikum, das eigentlich für eine zeitgenössische Vertonung von Brecht-Texten gekommen war, ist das zu viel. Ungefähr ein Drittel der Gäste verlässt während des Auftritts von Dominik von Gerwald den Raum, andere wenden sich demonstrativ ab. 

Seite 2: Inszenierung statt Ideologie

Was ist da los? Man muss sich daran erinnern, dass hier ein Brecht-Abend angekündigt ist. Texte des 1956 in Ost-Berlin verstorbenen kommunistischen Autors also, der das Publikum in der Weimarer Republik hochgradig polarisierte, dessen Aufführungen von Nazis mit Stinkbomben gestört wurden. Dessen Dreigroschenoper von Kurt Weill mit einer Musik unterlegt wurde, die heute noch schwer anzuhören ist. Verfremdungseffekt - das Wort kennt jeder noch aus dem Deutsch-LK. Brecht will die Verfremdung, also dass es sich die Zuhörer gerade nicht im Bekannt-Heimeligen bequem machen und so nicht den konkreten Missstand, sondern sozusagen das Abstrakte dahinter erkennen. 

Schwere Kost. Aber Brecht hat es längst in den Kanon geschafft. Mit seinem Namen weckt man die Aufmerksamkeit von Feuilletonisten. Doch über die Jahrzehnte wurde dieser Autor auch weichgespült von all den Brecht-Festivals. Die Verfremdung zählt heute zum Standardrepertoire jedes Jungregisseurs, und derart im Mainstream aufgegangen, hat Brecht seinen Schrecken verloren. Auch inhaltlich: Brecht-Texte, so aktuell sie in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise, europäischer Massenarbeitslosigkeit und politischer Radikalisierung sein mögen, schrecken niemanden mehr. Mit anderen Worten: Man geht nicht ins Merlin, um sich politisch auf Linie zu bringen.

Misuk aus Augsburg wissen das, und auch ihr Programm ist weniger auf Ideologie ausgerichtet als auf Inszenierung. Das soll nicht sagen, dass das Brecht-Programm dieser Musiker inhaltsleer und auf Äußerlichkeiten gerichtet ist. Vielmehr nimmt die Band die Brecht-Lyrik einfach als gesetzt und konzentriert sich darauf, dazu passende Musik zu spielen. Oder eben Misuk: eine Erfindung von Brecht, der in seiner eigenen Musiktheorie allen ideologischen Ballast von der Musik abwerfen und eine eigene, modern-sozialistische Volkskunst, eben Misuk, entwickeln wollte. 

Wie die Knef

Das ist also das Programm der nach diesem Programm benannten Band aus Augsburg. Und sie setzt das ganz hervorragend um: Eine tanzbare Rhyhtmusgruppe, ab und zu sehr perkussiv gespielte Gitarren und sparsam eingesetzte Synthesizer, das wäre tatsächlich clubtauglich. Ja, auf einen so vorgetragenen Brecht könnte man ausgelassen tanzen! Im bestuhlten Merlin müssen sich die Gäste aufs Mitwippen beschränken - oder darauf, die fast theaterreife Performance der Sängerin Eva Gold zu verfolgen. Sie hüpft nur so durch die Oktaven, erinnert in ihren durchdringendsten Momenten an die Knef oder auch an Nina Hagen.  

MISUK - Solidaritätslied from heimspiel on Vimeo.

Was dabei klar wird: Brechts Texte sind immer noch aktuell. Das ist der pädagogische Wert der Band Misuk: mit ihr können auch solche Leute Brecht entdecken, die etwa in der Schule einfach nichts mit ihm anfangen konnten. Es ist eine gute Zeit, Brecht (neu) zu entdecken: Die Zeiten sind ähnlich rau wie in der mittleren und späten Weimarer Republik, und wer bei Brechts "Solidaritätslied" die Proletarier einfach durch die Millionen junger Arbeitsloser ersetzt, hätte prompt einen Aufruf zur europäischen Verbrüderung. Im Mai ist übrigens Europawahl.

Dass nun manchem Zuhörer vielleicht weniger dieses wundervolle, überzeugende und stimmige Konzert von Misuk in Erinnerung bleibt, sondern eher der vorangegangene Auftritt von Dominik von Gerwald, ist doch eine schöne kleine Ironie. Die neu vertonten Brecht-Texte, die in der Weimarer Republik zu Tumulten im Publikum sorgten, werden vom gesittet-gebildeten Merlin-Publikum so intellektuell und doch distanziert aufgenommen wie all die anderen in Oper, Theater oder Klassikkonzert kanonisierten, ehemals teils hoch politischen Werke von Verdi, Schiller, Beethoven und Konsorten. Stattdessen wühlt ausgerechnet der Support-Act, wegen dem kaum jemand da ist, die Leute so auf, wie Brecht das ursprünglich mit seinen Texten vorhatte.