Die amerikanische Rockband Mötley Crüe hat in der Stuttgarter Schleyerhalle den Auftakt der Deutschlandtour zelebriert. Nach dreieinhalb Jahrzehnten nimmt sie nun Abschied.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Einerseits hast du natürlich keine Lust, achtzig Euro für einen Stehplatz oder hundertzwanzig Euro für einen Sitzplatz auf den Tisch zu legen, und die am Sonntag mit geschätzt lediglich fünftausend Zuschauern gefüllte Schleyerhalle legt davon auch ein deutliches Zeugnis ab. Andererseits hast du den Ex-Ehemann von Pamela Anderson auch noch nie kopfüber an der Decke der Schleyerhalle klebend ein Schlagzeugsolo spielen sehen.

 

Genau so ist’s verblüffenderweise gekommen, und das wiederum kam so: zunächst durfte der ja auch nicht gerade unbekannte Rockmusiker Alice Cooper das Vorprogramm bestreiten. Ein paar launige Bühneningredienzien hatte er dabei, eine lebende, sich um seinen Hals schlängelnde Schlange etwa, eine Guillotine, die ihm den Kopf abhackt, und eine Peitschenhiebe verteilende Krankenschwester, die ihm eine Riesenspritze in den Hals rammt – sowie eine Feuerwerksshow, mit der man zumindest schon mal einen halben Stuttgarter Silvesterabend bestreiten könnte.

Aber ehe es allen zu blümerant wurde (beziehungsweise die Erinnerungen an ein Alice-Cooper-Konzert vor schätzungsweise fünfzehn Jahren im Esslinger Eisstadion hochkochten, wo all der Zierrat auch schon dabei war), sind auch schon seine zwei Großhits „Poison“ und „School’s out“ gespielt, die erste Pulle unter dem Sauerstoffzelt geleert und die letzten Böller ins Arenenrund abgefeuert worden.

Breite Beine, knappe Röcke

Sodann verfügt sich das Gros des Publikums zum Pausentee an die Bierstände, aber alsbald steht auch schon die Hauptattraktion des Abends auf der Bühne, die Hardrockband Mötley Crüe aus Kalifornien. Eine sehr breitbeinige Vorstellung sollte das zunächst werden, zwei sehr knapp geschürzte Backgroundsängerinnen auf der Bühne, vier Herren mit Zehnerkarte vom Tattoostudio an den Instrumenten, Flammenzinnober dazu, der die Silvesternacht nunmehr komplett veredelt hätte – aber nicht allzu spannende Musik.

Das Publikum wird vom recht stämmig gewordenen Sänger Vince Neil beständig mit Kraftausdrücken belegt und mit seiner Micky-Maus-Stimme bespaßt, zunächst gleich zum Auftakt mit dem Kracher „Girls, Girls, Girls“, später mit dem Sex-Pistols-Cover „Anarchy in the UK“, bald vor Abschluss des Konzerts mit der „Carmina Burana“, aber eh die Gedanken daran verschwendet werden, was das Ganze eigentlich von einem Orff’schen Früherziehungsinstrumentarium unterscheidet, schweifen sie auch schon ab.

Zu Tommy Lee und seiner Schlagzeugerkarriere zum Beispiel, die ihre Spritzigkeit auch dem vermutlich berühmtesten Sexvideo aller Zeiten verdankt, einem ungeschickterweise an die Öffentlichkeit gelangten Stelldichein mit seiner damaligen Gattin Pamela Anderson, der einstigen „Baywatch“-Retterin. Zu dem Bassisten Frank Carlton Serafino Ferrana, der unter seinem Künstlernamen Nikki Sixx nicht nur hübsch klingende Bands („Sixx AM“) und Radiosendungen („The Sixx’ Sense“) ersonnen, sondern auch ansonsten allerlei Schabernack getrieben hat. Oder den sonstigen illusteren Gespielinnen und Ex-Gattinen der beiden, von Heather Locklear bis Kat von D, den ganzen Drogen- und Knastgeschichten.

Ausflug an die Hallendecke

Dann jedoch, und wenn man’s nicht gesehen hätte, würde man es nicht glauben, setzt eine sich drehende Maschinerie Tommy Lees Schlagzeugpodest in Bewegung und lupft es an Achterbahnschienen entlang dem Hallenboden und der Hallenmitte entgegen. Dann hängt der tapfere Mann kopfüber an der Hallendecke, munter weitertrommelnd sowie nebenher auch noch seinem Publikum versichernd, dass hier und heute „a fucking Dream“ wahr werde.

Spätestens jetzt also bekommt man eine Ahnung, warum die vier Dreschflegel auf der Bühne als Mitschöpfer eines Genres namens Glam-Metal gelten. Weitere Indizien werden prompt nachgeliefert, das gute alte ausufernde Gitarrensolo, diverse Böllerschüsse mehr, zum Ende ein fetter Luftschlangenregen und ein weiterer Ausflug in Richtung Publikum, diesmal mittels zweier Kräne, in deren Körben sich Sixx und Neil über die Menge bugsieren lassen.

Danach ist Feierabend bei diesem musikalisch zwar krass unterbelichteten, dafür aber heillos überkandidelten Spektakel. Zur Zugabe haben sie sich noch ein letztes Bonbon einfallen lassen. Plötzlich taucht die Band aus dem Nichts auf, nimmt ein Bad in der Menge und bugsiert sich auf eine kleine Minizweitbühne in der Hallenmitte. „Home sweet Home“ heißt die letzte Nummer, fast schon kammermusikalisch vorgebracht, danach kommt als Rausschmeißer vom Band Frank Sinatras „I did it my Way“, auch nicht gerade revolutionär, aber passend zu diesem Schlussakkord.

Den vierten und letzten Coolnesspunkt gibt es für die Entscheidung, die Abschiedstournee dort über die Bühnen ziehen zu lassen, wo sie von den Fans am vehementesten verlangt wurde. Eine Onlineabstimmung hat die Band auf ihrer Website über die Stationen der Tour durchführen lassen, als klare Sieger gingen in Deutschland Düsseldorf, München und Stuttgart über die Ziellinie. Ist immerhin das nicht tröstlich?