Ungewöhnlich wie so vieles im Leben von Anna Sutter, das reich ist an Geschichten, auch wenn es nach 38 Jahren viel zu früh zu Ende ging. Der 29. Juni 1910 also, später Vormittag. Der königlich württembergische Hofkapellmeister Aloys Obrist, nach kurzer Affäre mit Anna Sutter von ihr zurückgewiesen, tobt im Liebeswahn vor der Tür. In der Tasche hat er zwei Pistolen der Marke Browning, im Blut ein paar Gläser Rotwein, die er sich unterwegs im Restaurant des Hotels Marquardt genehmigt hat. Er rauscht am Dienstmädchen vorbei ins Schlafzimmer, wo Anna Sutter noch im Bett liegt. "Willst du mich oder nicht?", soll er gerufen haben. "Nein!" Sein erster Schuss trifft ihre linke Schulter, der zweite mitten ins Herz. Dann hält sich Obrist die Pistole an die Brust und feuert manisch das Magazin leer, die Gerichtsmediziner zählen hinterher fünf Einschusslöcher.

Sie wurde liebevoll "Sutterle" genannt


Ein Kriminalstück, das Büchern als Vorlage gedient hat. Und Theatermachern. Zum hundertsten Todestag bringt die Akademie der Bildenden Künste Stuttgart mit der Filmakademie Ludwigsburg Anfang Juli ein weiteres Stück auf die Bühne: eine Mischung aus Film und Theater über den "Fall Anna Sutter". Die Filmszenen wurden auch in dem Haus in der Schubartstraße gedreht, eine Begegnung der besonderen Art. Bei der Besichtigung habe plötzlich hinter dem Fenster eine Frauenstimme gesungen, erzählt die Dramaturgin Kekke Schmidt. Als ob die Sutter wieder in ihre Wohnung eingezogen wäre - und ein bisschen ist es auch so: In dem Haus lebt seit kurzem, der Zufall will es, die Mezzosopranistin Cornelia Lanz, die prompt engagiert wurde und nun die Film-Sutter spielt.

Anna Sutter habe ein ungewöhnlich freies und mutiges Leben gelebt, sich nicht um Moral und Konventionen gekümmert, sagt Kekke Schmidt, die als Dramaturgin am Staatstheater Stuttgart häufig in fremden Leben unterwegs ist. Und dennoch habe sie es geschafft, liebevoll das "Sutterle" genannt zu werden.