Der Mordprozess gegen Oscar Pistorius war transparent und live im Fernsehen, die Besetzung der Staatsanwalt- und der Verteidigerrollen hochkarätig: Das zeigt, dass das südafrikanische Rechtswesen reibungslos funktioniert. Zumindest in diesem Fall.

Pretoria - Als der Richter Dunstan Mlambo vor neun Monaten erstmals in der südafrikanischen Geschichte grünes Licht für die Live-Übertragung eines Strafverfahrens gab, war er von einer Hoffnung getrieben. Die Fernsehbilder sollten dem schlechten Ruf der hiesigen Gerichtsbarkeit, vor allem aber der Auffassung begegnen, dass am Kap der Guten Hoffnung Reiche und Berühmte mit Samthandschuhen, Arme und Verletzliche dagegen mit voller Härte behandelt würden.

 

Zum Ende des Prozesses gegen Oscar Pistorius stellt sich die Frage, ob das von Zuschauern in aller Welt verfolgte Verfahren nicht das genaue Gegenteil bewirkte. Denn wenn Pistorius am Dienstag sein Strafmaß erfährt, werden Zigtausende von Beobachtern darüber empört sein, dass das gefallene Sportidol viel zu milde davon kommt. Hat sich der Richter Mlambo also selbst ein Bein gestellt?

Der Alltag der Strafverfolgung lässt sehr zu wünschen übrig

Pierre de Vos, Rechtsprofessor an der Elite-Universität von Kapstadt, ist nicht dieser Meinung. Seiner Auffassung nach hat sich das südafrikanische Rechtswesen im Pistorius-Prozess von seiner besten Seite gezeigt. Dass es anders endete, als sich das viele Südafrikaner wünschten, habe mit der Fernsehübertragung ja nichts zu tun. Die Transparenz des in voller Länge übertragenen Prozesses habe den Südafrikanern immerhin den Eindruck vermittelt, dass die Rechtssprechung reibungslos funktioniert. Auch die hochkarätige Besetzung der Staatsanwalt- und der Verteidiger-Rolle habe dazu beigetragen.

Die Frage sei allerdings, fügt der Jurist hinzu, ob das auch sonst der Fall sei. Tatsächlich sieht die rechtliche Wirklichkeit ganz anders aus. Obwohl Südafrikas Rechtswesen trotz der Apartheidvergangenheit weltweit einen guten Ruf genießt – Juristen wie Richard Goldstone oder Navi Pillay dienten in Behörden wie dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag oder der UN-Menschenrechtskommission in Genf –, lässt der Alltag der Strafverfolgung inzwischen sehr zu wünschen übrig. Regelmäßig gehen Ermittlungsberichte der Polizei verloren, Amtsrichter kommen mit der Flut der Verfahren nicht mit, in den Gefängnissen sitzen Zigtausende von zuweilen mehr als ein Jahr lang schmorenden Angeklagten, die schließlich – aus welchen Gründen auch immer – freigelassen werden müssen.

Nur wenige Gewaltverbrechen enden mit einer Verurteilung

Forschungen der Südafrikanischen Rechtskommission zufolge enden lediglich sechs von hundert begangenen Gewaltverbrechen mit einer Verurteilung – eine beängstigende Bilanz. Hinzu kommt die Politisierung der Strafverfolgungsbehörden unter dem Präsidenten Jacob Zuma. Der ließ eine einst hochgradig effiziente Ermittlungseinheit der Staatsanwaltschaft, die „Skorpione“, auflösen, weil sie die Frechheit besaß, den ANC-Politiker wegen Korruption anzuklagen. Auf den damaligen Chef der Staatsanwaltschaft, Mokotedi Mpshe, wurde anschließend dermaßen Druck ausgeübt, dass er die Anklage gegen Zuma wieder fallen ließ. Inzwischen sorgt der dubiose Präsident mit der handverlesenen Besetzung hoher Justizämter dafür, dass sich so eine Schlappe nicht wiederholt.

Gegenüber solchen Vorgängen war der Saal DG des Landgerichtes in Pretoria in den vergangenen neun Monaten tatsächlich ein Hort der Rechtsstaatlichkeit. Das einzig Problematische sei die ruppige Art gewesen, mit der der Staatsanwalt Gerrie Nel mit den Zeugen der Verteidigung umgesprungen sei, sagt der Rechtsprofessor de Voss. Womöglich würden es sich Südafrikaner in Zukunft zweimal überlegen, in den Zeugenstand zu treten. Verantwortlich dafür seien allerdings nicht Nels schlechte Manieren, sondern die angelsächsische Verhandlungsführung, die sehr viel aggressiver und kontroverser als etwa die deutsche sei. Trotzdem wurde die „Bulldogge“ Nel als Held gefeiert, denn die Mehrheit der TV-Zuschauer wollte Oscar Pistorius ja des Mordes verurteilt sehen. Die Richterin Thokozile Masipa tat ihnen den Gefallen nicht. Auch das ist ein Beweis für die Unabhängigkeit Justitias am Kap der Guten Hoffnung – zumindest in diesem einen Fall.