Thomas Bayrle legt im Münchner Kunstbau das Herz der modernen Mobilität frei – doch seinen musikalisch untermalten Einblicken in laufende Automotoren fehlt Tiefe.

München - Ohropax wäre gut, das Rattern und Knattern kann auf Dauer nämlich ganz schön nerven. Im Münchner Kunstbau, dem unterirdischen Erweiterungskomplex der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, hat Thomas Bayrle einen dröhnenden Maschinenpark aus Verbrennungsmotoren errichtet. Die feinen akustischen Untertöne der Skulpturen allerdings würden dem Besucher, der seine Gehörgänge schützt, entgehen. Denn zwischen dem Verkehrsgebrumm spülen die Lautsprecher auch ganz andere Klänge in die Ohren der Kunstfreunde. Bald italienische Opernarien, bald französische Chansons. Und immer wieder liturgische Choräle.

 

Wer den 79-jährigen Altstar kennt, merkt spätestens hier auf. Gerade die monoton abgespulten Litaneien basieren auf dem Prinzip der strukturellen Wiederholung, das Bayrles Arbeiten seit über einem halbem Jahrhundert prägt. In den Sechzigern schuf der gebürtige Berliner und spätere Professor der Frankfurter Städel-Schule grafische Rasterbilder aus der Konsumwelt, bei denen sich das Hauptmotiv meist aus hunderten von Einzelelementen zusammensetzte. So entstanden etwa eine Postbeamtin aus Telefonen, ein Stuhl aus Stühlen, eine Riesenmaggiflasche aus Maggifläschchen – der Gedanke industrieller Massenfertigung bestimmte plötzlich eine künstlerische Schöpfung, in der das Einzelne nur Bausteinchen für ein großes Ganzes war. Im Lenbachhaus rückt demgegenüber eine Werkgruppe in den Fokus, die bereits 2012 auf der Kasseler Documenta zu sehen war und in München um einige ältere wie neuere Arbeiten ergänzt wird.

Die alten Knatterblöcke wurden von Benzin auf Strom umgestellt.

Das vordergründig Poppige hat Bayrles Oeuvre verloren, die beherrschenden Farben seines Auftritts an der Isar sind das Grau des Eisens, das Schwarz des Öls. Schließlich legt der Künstler das Herz der modernen Mobilität frei: die alten VW-, Citroën- oder Porsche-Motoren sind aufgeschnitten und aufgeklappt, so dass man nun den pumpenden Kolben und Zylindern, den Keilriemen und den Kurbelwellen bei ihrer Antriebsarbeit im Leerlauf zusieht – wofür der Kunstbau eine passende Kulisse abgibt, erinnert der über hundert Meter lange Raum im Zwischengeschoss einer U-Bahnstation doch stark an eine industrielle Fertigungshalle. Auch die Motoren auf ihren werkbankähnlichen Unterkonstruktionen wirken so, als würde an ihnen noch herumgeschraubt.

Mehrfach umgemodelt hat der Künstler sie in der Tat. Den feinstaubgeplagten Stuttgarter wird es freuen, dass die alten Knatterblöcke von Benzin auf Strom umgestellt wurden, um die Luft in der Ausstellung sauber zu halten. Offensichtlicher ist aber etwas anderes: Bayrle verwandelt die Motoren zur geometrischen Symmetriefigur, zum Mandala oder zur Monstranz, indem er etwa einzelne Bauteile in Kreisform arrangiert. Schließlich war das Heilige Blechle immer schon die Ikone der Ingenieurskunst schlechthin.

Beim Thema Auto hätte man mehr Tiefgang erwartet.

Keine Frage: Die inszenierten Autotriebwerke ergeben wunderbare, mitunter meditative Dingchoreografien von Technik in Bewegung. Aber welches Ziel will Bayrle mit all dem eigentlich ansteuern? Ist er ein heimlicher Schöngeist des Gasgebens wie vor mehr als hundert Jahren die italienischen Futuristen? Oder unternimmt er nur den x-ten Aufklärungsversuch, uns die erotisch-religiöse Fixierung auf den PS-Fetisch auszutreiben?

Für die Kuratorin Eva Huttenlauch überlappen sich in der objektbildhauerischen Autoschrauberei die kritische wie die bewundernde Perspektive. Anders als ein Verkehrspolitiker müssen sich Künstler wie Bayrle ja nicht auf eine Position festlegen. Trotzdem, das vage-ironische In-der-Schwebe-Halten erscheint als keine gute Lösung. Beim Thema Auto, das an allen Fronten heiß diskutiert wird, hätte man mehr Tiefgang erwartet.

Von Bayrles Liebe zur Monotonie springt leider nicht viel über

Eine klare Fahrtrichtung fehlt auch dem umfangreichsten Beitrag der Ausstellung. Auf dreißig Meter Länge hängt Bayrle eine Autobahnlandschaft an die Wand: Die ortsbezogen konzipierte Installation ist ein asphaltgrau angestrichenes Ungetüm aus dreispurigen Holzpisten, die über- und untereinander verlaufen wie ein Flechtwerk. Mit diesem fast textilen Verfahren schließt sich für Bayrle ein Kreis zu seinen Anfängen: In den Fünfzigern absolvierte er eine Ausbildung zum Weber. Inmitten der rasselnden Webstühle lernte er damals, die Monotonie zu lieben. Eine Liebe, von der in München leider nicht viel überspringt.

Am Ende, wenn das geplagte Ohr gelernt hat, Kirchenlieder, Callas und Edith Piaf aus dem Stöhnen und Stampfen herauszufiltern, bleibt nichts als die vage Vermutung (oder die Hoffnung), das Konzert der Maschinen könnte vielleicht doch ein Abgesang auf das Zeitalter des Verbrennungsmotors sein.

Ausstellung: Bis 5. März in der Münchner Luisenstr. 33, Di 10-20, Mi-So 10-18Uhr.