Ein VW Golf, Modell Pink Floyd, ist Marta Bauers Mühlenlädle. Mit ihm gondelt die 77-jährige ehemalige Müllersfrau aus dem Schwarzwald von Dorf zu Dorf. Ihr „Bonbole“ für treue Kunden sind die guten Brotlaibe aus dem Ostelsheimer Backhaus.

Böblingen: Carola Stadtmüller (cas)

Wimberg - Handwarme Butter und Erdbeermarmelade. Vor allem das sollte auf dem Brot sein, das Marta Bauer gebacken hat. Im Mundwinkel bleibt dann noch ein bisschen Mehl hängen – und ein breites Grinsen. Was für ein Brot!

 

„Sie wiegt jeden Laib in ihren Händen, bevor sie ihn hergibt“, sagt Elsbeth Burkhardt. „Es ist wertvoll“, fügt die Kundin fast ehrfürchtig hinzu. „Ja, ich will wirklich net frömmlerisch sein, aber des isch unser täglich Brot.“ Gekauft hat die pensionierte Lehrerin, die in einem Häuschen in Wimberg bei Calw lebt, aber nicht nur Marta Bauers Brot. „Am liebschde würdet mir nur no des Klopapier im Supermarkt kaufe“, sagt sie. So was hat Marta Bauer nicht dabei, aber Müsli, Nudeln in vielen Varianten, Mehl, Eier von den eigenen Hühnern und das leckere Bauernbrot zieht sie aus Kartons, die jeden Winkel ihres schwarzen VW Golf Kombi, Modell Pink Floyd, ausfüllen. Der Wagen wird dann zum mobilen Mühlenlädle. Und das geht seit Urgedenken so. „Wenn es mal nimmer geht, dann ist halt Schluss“, sagt Marta Bauer, die 77 Jahre alt ist.

Klappern tut derweil schon lange nichts mehr in der Ostelsheimer Mühle am rauschenden Bach, der nirgendwo im Land tiefer hinabstürzt als im Mühlkanal der Bauers: ganze acht Meter, sturzsicher verschlossen unter schweren Stahlplatten. All das ruht, steht still seit 1991. Da starb Ernst Bauer binnen acht Wochen an einem Hirntumor. Er betrieb die Mühle, die schon im zwölften Jahrhundert als Besitztum des Klosters Hirsau erwähnt ist, damals noch im Nebenerwerb. Wie viele Landwirte und Handwerker ist er irgendwann zum Schichten ins Daimler-Werk gefahren. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel warf die Mühle ab. „In der Pause um vier oder um sechs rief er immer an und hat angegeben, welche Schieber an welchen Maschinen zu drücken seien“, erzählt die Tochter Ingrid Bauer, die noch oft auf dem Mühlhof mitschafft.

Alte Bekannte an den Haustüren

Marta Bauer war damals 53, die Tochter Anfang 20, und der Sohn Albrecht hatte gerade das Abitur in der Tasche. „Bei Licht betrachtet, hätted mir sofort alles verkaufe müsse“, sagt Marta Bauer nachdenklich, als ob sie seit 24 Jahren an dieser Antwort überlegt hätte. Warum sie das nicht gemacht hat, weiß die kluge, stille Frau trotzdem nicht genau. Es sei auf der anderen Seite auch schwierig gewesen, so von heute auf morgen. Alles liegen lassen? Wieder auf die Bank schaffen gehen, das hätte sie schon gern gemacht. „Aber dene war ich zu alt.“ Also setzte sie fort, was Schwiegervater und Ehemann seit Jahrzehnten machten, nur dass Korn und Mehl, später Nudeln und Müsli von größeren Mühlen der Umgebung und nicht mehr von der eigenen Mühle stammten.

Wenn Marta Bauer an den Haustüren zwischen Calw und Ostelsheim schellt, treffen alte Bekannte aufeinander. Man hält ein Schwätzchen, mal länger, mal kürzer. Ein Ehepaar ist gerade dabei, ins Auto zu steigen. „Wir müssen zum Doktor“, sagt die Frau. Eigentlich habe sie grad gar koi Zeit. Dann aber zückt sie doch noch ihren Geldbeutel. „Hend Sie Hörnle, die brauch ich dringend.“ Mit etlichen Nudelpaketen beladen steigt sie in den Wagen. „Des wird langen, bis Sie wiederkommen“, ruft sie Marta Bauer zu. Und weg ist sie.

In der kleinen Seitenstraße von Wimberg dauert es immer länger. Elsbeth Burkhardt und Brigitte Hollenberg stehen mit einem Einkaufskorb am Mühlenmobil. „Wir teilen uns einen Haushalt“, erzählt Elsbeth Burkhardt. Müsli, Nudeln und Mehl brauchen sie diesmal. „Des Brot isch’s Bonbole von der Frau Bauer für uns Kunden. Des isch eigentlich unbezahlbar.“ Marta Bauer verkauft das Brot ja auch nicht wirklich, die deutschen Lebensmittelgesetze würden das ziemlich erschweren: Sie müsste Bäckermeisterin sein oder zum Beispiel eine vom Landratsamt abgenommene Küche haben, in der sie dann Brot aus eigenem Getreide backen dürfte. Vermutlich wäre das Ostelsheimer Backhaus aber nicht so ganz das, was sich die Behörden vorstellen. Deshalb gibt Marta Bauer ihre Laibe ab und empfängt nur eine Gabe dafür.

Das Beste sind die Knäuele

Die zwei Damen aus Wimberg nehmen immer mehr als einen Laib. Man könne das Brot ja gut einfrieren. „Wisset Sie, wenn man die Weckle beim Bäcker kauft, kann man die auf zwei Zentimeter zammadrücke. Des isch Gummi“, sagt Elsbeth Burkhardt. So was will sie nicht. Dann raffen die zwei ihre guten Sachen zusammen: „Jetzt freuen wir uns schon aufs Knäuele“, ruft Brigitte Hollenberg noch. Knäuele, das sind die Brotkanten.

Die Nachbarin Karin Krauß hat den Plausch vom Küchenfenster aus gesehen und kommt dazu. Heute brauche sie nicht viel. „Aber wenn die Frau Bauer sich halt die Mühe macht und extra kommt, dann nehm‘ ich auch was.“ Wer da wen mehr braucht, weiß keiner und fragt auch keiner. Es ist halt so, wie es immer schon war. Schon die Großmütter und Mütter der Damen gesetzteren Alters haben das Mehl und die Nudeln der Bauers gekauft.

Übrigens auch Marta Bauers Mutter. Das war in Stammheim bei Calw, und Marta war damals gerade 14 Jahre alt. Da saß der künftige Schwiegervater plötzlich vor der Tür. Sie kannte ihn sonst als den Müller mit Fuhrwerk, der jede Woche das Korn holte und als Mehl wiederbrachte. Jener Gottlob Bauer war in Motorradkluft auf eine Beerdigung gekommen. Er landete in Marta Bauers Elternhaus, weil er sein Gefährt vor dem Hof abgestellt hatte und dabei einen Stuhl erblickte, der stets vor der Haustür stand. Darauf ließ er sich nieder, um sich aus der schweren Ledermontur zu schälen. Da eilte Marta herbei. Und Gottlob Bauer lächelte, als er sagte, dass die Marta ein recht netts Mädle sei. Er sorgte bald dafür, dass das Mädle seinen Sohn Ernst kennenlernte. Von diesen alten Geschichten will sie heute gar nicht mehr so viel erzählen. Sie wird wohl auch daran denken, wie schwer die Zeiten waren als junge Frau in einem Mehrgenerationenhaus, wo man auf engstem Raum schwer schaffen musste, um alle Mäuler zu stopfen. Bestimmt kam Marta Bauer ihr handwerkliches Geschick zupasse, zum Beispiel das Brotbacken. Das macht sie bis heute gern.

Gebacken wird im Ostelsheimer Backhaus

Die Nase findet den Weg ins Ostelsheimer Backhaus. Wer eine kleine Hütte mit Ofenloch erwartet, der staunt: Das Backhaus gleicht eher einem alten Schulhaus. In einem schmalen langen Raum mit rußgeschwärzten, drei Meter hohen Wänden wölben sich drei Backöfen hinter Metalltüren. Alle vier Wochen stapeln Marta Bauer und ihre Tochter Ingrid Reisig und Baumschnitt auf eine Karre, ziehen sie quer durch die 2500-Seelen-Gemeinde und heizen einen der Öfen ein. Auch bei 38 Grad im Schatten ist es angenehm in den alten Mauern. Die 300 Grad im Ofenloch spürt man nicht.

Brotbacken ist ein Geschäft, das aus schweißtreibender Arbeit und aus Warten besteht. 30 Körbchen und Blechformen reihen sich auf schweren Arbeitstischen. Den Teig haben Mutter und Tochter daheim vorbereitet. Alles müsse seine Ordnung haben, damit zum Beispiel die Temperatur von Mehl und Milch stimme. „Des isch diffizil“, sagt Marta Bauer. Sie macht jeden Handgriff zum hundertsten, ja tausendsten Mal. Rezepte gibt es natürlich keine. Mit einer Hand wiegt sie jedes Laible nochmals in der Hand, lässt es auf den Brotschieber fallen, dass das Mehl staubt und schiebt es mit einem Rutsch an seinen Platz im glutheißen Gewölbe. Ein Thermometer gibt es nicht. Sie sieht schon, wenn alles stimmt. Eine Stunde muss das Brot die Hitze aufnehmen. In dieser Zeit lugt Marta Bauer nur wenige Male hinein. „Passt“, murmelt sie dann. Oder: „Die werdet.“

„Ja, wir sind zwei, die ganz aus dem Rahmen gefallen sind“, sagt Ingrid Bauer. Eigentlich lebe man bis heute agrarisch auf dem Mühlhof. Die letzte Kuh verließ im Jahr 1999 den Stall. „Als junge Frau war das oft schwer. Ich bin vom Hof gekommen, hab die weiße Bluse und den Faltenrock angezogen. Das Auto war eine Zeitmaschine, die mich in die Moderne eines Ingenieurbüros katapultierte.“ Ihr ist heute sehr bewusst, was für die Mutter unbewusster Alltag ist: ein entschleunigtes und einfaches Leben. Auch wenn Marta Bauer einen straffen Plan für ihre Arbeit hat, so hat sie doch eines fast im Überfluss: Zeit.

Der Dutt sitzt auch nach vier Stunden am Ofen

Im Sommer steht sie um 6 Uhr auf, dann trinkt sie eine Tasse Kaffee – „des muss sei“. Dann Katzen, Hund und Hühner füttern – „das heißt, Katzen gibt es grad keine“, sagt Marta Bauer, deren Dutt am Hinterkopf auch nach vier Stunden Brotbacken akkurat sitzt. Im Gemüsegarten schaut sie dann nach dem Rechten, gießt wie jetzt im Sommer ihre Tomaten, den Salat, die Zucchini und die Kohlräble. Natürlich wird jeden Tag gekocht – außer mittwochs, da verreisen Marta und Ingrid Bauer immer. Mal in den nahen Schwarzwald, mal zum Lieferanten Albgold nach Trochtelfingen, „mal bloß nach Monakam auf eine Tasse Kaffee und ein Stückle Kuchen“.

Die Tochter kommt oft vorbei und hilft. Nicht nur, weil die Mama Hilfe braucht. „Vor 20 Jahren habe ich Einweckgläser fortgeworfen. Jetzt koche ich wieder Kirschen und Quitten ein“, sagt Ingrid Bauer. Der Grund dafür, dass es eine Zukunft der Vergangenheit gibt: „Ich will, dass das Wissen bewahrt wird.“ Und natürlich sei es eine bewusste Entscheidung, Nahrung herzustellen, die ohne Chemie schmecke. „Brot isch das wichtigste Lebensmittel. Hätted mr in Krisenzeiten nur Brot, könnded mr überlebe“, sagt Marta Bauer.