Der achte Hügel von Rom: Die Deponie Malagrotta ist Europas größte – und vollste. Trotzdem soll sie weiter genutzt werden – denn für die Suche nach einer Alternative will keiner zuständig sein.

Rom - Sie nennen ihn Roms achten Hügel. Auf dem saftigen Wiesengrün, das ihn bedeckt, weiden – weißen Wölkchen gleich – glückliche Schafe. Spaziergänger flanieren, gerne auch im Sommer, denn vom nahen Meer, das in der Abendsonne glitzert, weht ständig eine kühle Brise herüber. Auf der anderen Seite das Bergpanorama, die Ewige Stadt. Eine Idylle.

 

Aus der Traum. Die Plakate, die im unablässigen italienischen Wahlkampf dieses Paradies malen – „Endlich ist es so weit! Dank sei der Regionalregierung von Latium!“ –, sie vergilben seit zwei Jahren an den römischen Lichtmasten. Und Malagrotta, der Ort der Versprechungen, bleibt auf unabsehbare Zeit das, was er heute ist: die größte Müllkippe in Europa.

Die größte Müllkippe Europas ist bald voll

Angelegt haben sie die Deponie 1985. Dass sie voll ist – Tag für Tag kommen fünftausend Tonnen Stadtmüll obendrauf –, weiß man seit acht Jahren. Und doch hat Malagrotta soeben ihre x-te Verlängerung bekommen: Es gibt keine Alternative.

Die Stadt Rom hätte nach Recht und Gesetz eine suchen sollen, aber Bürgermeister Gianni Alemanno sagt, zuständig sei der Landkreis. Der Landrat sagt, er könne nur entscheiden auf der Basis von Vorschlägen der Region. Die Präsidentin der Region schiebt den Ball an den Bürgermeister zurück. Die Regierungen Berlusconi und Monti haben eingegriffen und „Sonderkommissare für die Umweltnotlage“ ernannt. Diese zerreiben sich, einer nach dem anderen, im Streit zwischen den örtlichen Behörden – oder werden vom Volk zum Rücktritt gezwungen. Denn keiner will ein „Malagrotta Zwei“ vor der Haustür.

Sieben geeignete Stellen für eine Massendeponie hatten Experten ausfindig gemacht; sie meinten, man könne einige jener Tuff- oder Travertinsteinbrüche auffüllen, aus denen frühere Römer ihre Stadt gebaut haben. Aber der eine lag mit 800 Metern Entfernung zu nahe an archäologisch wertvoller Stätte, an der Prachtvilla des Kaisers Hadrian in Tivoli. Aus der ganzen Welt hagelte es Proteste gegen die „Ruinierung eines Weltkulturerbes“, und obwohl die Regierung Monti schon Ja gesagt hatte, ruderte sie zwei Tage später zurück.

Keiner will den Dreck vor seiner Haustür

Den nächsten Ort verbaten sich die Militärs. Sie sahen die Schnüffler in ihrer Geheimdienstzentrale vom süßlichem Duft verrottenden Mülls irritiert. Die übernächste Stelle fand bei der Wasserschutzbehörde des Tiberbeckens keine Gnade. Am 4. Juni, endlich, rief Sonderkommissar Goffredo Sottile sein großes Heureka: „Die Deponie kommt an die nördliche Stadtgrenze; ich habe die richtige Wahl getroffen; alle Beteiligten sind einverstanden.“

Eine Woche später konnte Sottile diesen Satz auch wieder vergessen. Denn die Bürger der Nachbargemeinde Riano – „Rom will uns alle vergiften!“ – hatten Straßenblockaden errichtet und sich an den Zäunen des Steinbruchs angekettet, und ein Politiker nach dem anderen fand plötzlich Argumente für den eigenen Rückzug. Bürgermeister Alemanno sagt nun, mit dem Ort der künftigen Mülldeponie habe er rein gar nichts zu tun: Wenn der Sonderkommissar einen so „unmöglichen Ort“ vorschlage, auf den sich fünf Tage zuvor alle geeinigt hatten, dann möge er auch, bitteschön, „alleine weitersuchen“. Hauptsache: außerhalb des Stadtgebiets.

Es droht eine saftige Strafe

Die Sache eilt seit Jahren. Jetzt aber könnte sie auch noch teuer werden. Die EU-Kommission will nicht länger zusehen, dass die Stadt Rom, in Widerspruch zum europäischen Recht, fast zwei Drittel ihres Mülls ohne jegliche Behandlung in Malagrotta verklappt. Zehn Millionen Euro Strafe drohen jetzt, neben einem Gerichtsverfahren natürlich.

Doch jetzt kommt Licht ins Dunkel. Sonderkommissar Sottile hat vorgeschlagen, den römischen Müll im Ausland oder in Norditalien verbrennen zu lassen, in den Öfen, die hochprofitable Spezialfirmen im Erdbebengebiet der Region Emilia betreiben. Riesenapplaus bei den römischen Politikern. Einen eigenen „Thermo-Verwerter“ wollen sie nicht; der könnte die Vergiftungshysterie der Bürger entfachen.

Zum Schluss: die Krönung der Debatte. Gemeldet hat sich Luigi De Magistris. Er ist Bürgermeister einer Stadt, die lange als Müll-Katastrophenstadt schlechthin galt. „Nehmt uns doch als Beispiel“, rät dieser De Magistris den Römern: „Wir in Neapel, wir bringen unseren Restmüll heute per Schiff nach Rotterdam. Das klappt super, und wir zahlen pro Tonne 30 Euro weniger, als wenn wir alles daheim entsorgen müssten.“ Rom solle Neapel werden, sagt De Magistris: „Wie wäre ich stolz darauf!“