Das Musical sucht laufend Jungen, die den jungen Tarzan auf der Bühne darstellen können – doch die Anforderungen an die kleinen Kandidaten sind hoch.

Stuttgart - Es erinnert ein bisschen an den Turnunterricht in der Schule. Zwölf Jungen zwischen sieben und zwölf Jahren toben über die Matten quer durch die Sporthalle, laufen von einem Ende ans andere und haben anscheinend einfach Spaß. Es ist laut in der Halle, wie sich das gehört für Kinder, sie grölen und lachen.

 

Rivalität? Nicht hier. Und das, obwohl sich die Jungen gerade mitten in einer Konkurrenzsituation befinden: In der Probenhalle des Stage Apollo Theater trainieren an diesem Tag nicht wie üblich die großen Musical-Darsteller für ihren Bühnenauftritt, stattdessen zeigen zwölf potenzielle Nachwuchstalente einer fünfköpfigen Jury ihr Können. Die Jungen bewerben sich für das gleichnamige Musical als Tarzan – denn während des ersten Aktes des Musicals steht das Aufwachsen des Kindes im Dschungel im Mittelpunkt. Diese Rolle kann natürlich nicht vom erwachsenen Hauptdarsteller gespielt werden.

Mehrmals im Jahr findet am Stage Apollo Theater das Kinder-Casting statt. Seit Aufnahme des Musicals in Stuttgart im November vergangenen Jahres haben die Mitarbeiter bereits fünf Mal nach geeigneten Darstellern gesucht. „Die Kinder wachsen schnell und sind nach höchstens anderthalb Jahren zu groß für die Rolle“, sagt Wenke Elfers von der Kinderabteilung des Musicals. „Außerdem darf ein Kind höchstens 30 Aufführungen im Jahr spielen.“ Deswegen reicht es nicht, nur auf zwei oder drei Hauptdarsteller zurückgreifen zu können. „Je mehr Kinder wir in den Shows einsetzen können, desto besser“, sagt Elfers. Mehr als hundert schriftliche Bewerbungen waren beim Stage Apollo Theater eingegangen, insgesamt 32 Jungen haben eine Einladung zum Vortanzen und Vorsingen erhalten. Sie sind eingeteilt in drei Gruppen, das Casting dauert pro Gruppe etwa zwei Stunden. „Von denen werden es am Ende höchstens sechs auf die Bühne vor Publikum schaffen“, sagt Elfers zu Beginn des Casting-Tages.

Ein halbes Jahr lang wird geprobt

Während neben Wencke Elfers die Theaterleiterin Constanze Müller, die zuständige Mitarbeiterin für Akrobatik Tressa Schreiber und die Gesangslehrerin Tanja Newman am Jury-Tisch Platz nehmen, wärmt sich der Kindercoach Thomas Hirschfeld mit den Jungen auf. Wer diese Casting-Runde erfolgreich absolviert, wird künftig viel mit Hirschfeld zu tun haben: Ein halbes Jahr, bevor die Jungen zum ersten Mal auf der Bühne vor Publikum spielen werden, ist Hirschfeld für die wöchentlichen Proben zuständig: Singen, Tanzen, Schauspiel. „Ihr dürft keinen Schiss haben“, macht er den Jungen Mut, „probiert euch einfach aus.“ Laufen, Ausschütteln, Dehnen – und am Ende der Aufwärmphase 30 Liegestützen. Die ersten Ausfälle gibt es schon nach acht Liegestützen. „Schlecht“, sagt ein Jurymitglied knallhart und notiert sich in einer Tabelle ein Minus. Gesang, Schauspiel und der „Ape Style“ – neudeutsch für Affengang – werden bewertet. Da der junge Tarzan unter Affen aufwächst, sollte sich auch der junge Darsteller wie einer bewegen können – oder zumindest ein gewisses Grundtalent sollte zu erkennen sein.

Auf einmal werden die Jungen nervös

Nach den Leibesübungen übernimmt die Gesangslehrerin Tanja Newman. Gemeinsam mit den Kindern singt sie sich ein. Vor einigen Wochen haben die Jungen die Noten von „Warum, wieso?“ geschickt bekommen – eben genau den Song, den sie im Fall der Fälle auch auf der Bühne bei einer Abendshow alleine singen müssten. Und auf einmal werden die Jungen nervös: Manche vergessen den Text, andere den Einsatz. „Komm, probiere es noch einmal und sing mal ein bisschen lauter“, sagt ein Jurymitglied. Doch bereits an dieser Stelle scheiden manche Bewerber aus.

„Wir tun ihnen manchmal sicherlich auch unrecht“, sagt Wenke Elfers, als sie drei Namen von der Liste streicht. „Aber es ist auch schwierig, in allen drei Teilbereichen eine ordentliche Leistung zu erbringen.“ Wer schon im „Ape Style“ nicht richtig punkten konnte und auch mit seiner Stimme nicht überzeugt, dem nützt das größte Schauspieltalent nichts, das er bei einer kurzen Szene unter Beweis stellen kann.

Nach zwei Stunden zieht sich die Jury zurück, vergleicht die Ergebnisse. „Dem fehlt einfach das Temperament“, sagt eine Mitarbeiterin. Die anderen nicken. Der Name wird von der Liste gestrichen. „Und er war auch etwas langweilig.“ Es wird genickt. Es wird gestrichen. Mehrmals. Am Ende werden vier Jungennamen übrig bleiben – und es fließen Tränen. Ob der siebenjährige Noah Hufendiek es bis zur Vorführung auf der großen Bühne schaffen wird, steht noch nicht fest. Die erste Runde hat er überstanden. Nach den Sommerferien im September beginnt der wöchentliche Unterricht. Zu Weihnachten finden dann die „Finals“ statt, wie Wencke Elfers sagt: „Dann wird noch einmal genau darauf geschaut, wie sich die Kinder stimmlich und körperlich entwickelt haben – und schließlich erneut ausgesiebt.“ Bis März wird mit den Verbliebenden in der Intensivgruppe geprobt. Das Wichtigste jedoch, betont Elfers, ist der Spaß: „Wer das nicht gerne macht, der liefert auch auf der Bühne keine überzeugende Vorstellung.“