Er war schon für die Zeitgenossen eine verächtliche Person, der römische Kaiser Nero. Warum? Weil er vor Publikum spielte und sang. Musik sei etwas für niedrige Leute, hieß es. Und sie sei schädlich für Mensch und Gesellschaft. Oder doch nicht?

Stuttgart/Tübingen - Musik ist etwas ganz Schreckliches. Sie schläfert die Menschen ein. Sie macht sie zum Gespött. Sie nimmt den Ohren und dem Verstand ihr Urteilsvermögen. Sie verweichlicht die Männer, und sie ist etwas für Müßiggänger und Possenreißer.

 

Musik als der Verderber der Menschen – diese Ansicht des Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim aus dem Jahr 1530 ist nicht allein diesem kulturpessimistischen Arzt vorbehalten. Schon im Alten Testament der Bibel schimpft der Prophet Amos: „Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!“ Thomas Schipperges, Direktor des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität Tübingen, hat Quellen zur Musikfeindschaft aus vielen Jahrhunderten zusammengetragen und daraus am Freitag zum Abschluss der diesjährigen Sommeruniversität Tübingen einen unterhaltsamen Gang durch das Gruselkabinett der „effectus musicae“, der Auswirkungen der Musik auf den Menschen gemacht.

Musik, so Agrippa, ist nutzlos und verächtlich, sie ist des Teufels. Ist nicht der römische Kaiser Nero, unnachahmlich gespielt von Peter Ustinov in dem Film „Quo Vadis“ von 1951, das Urbild der Würdelosigkeit? Eines Kaisers, der öffentlich vor großem Publikum zur Harfe sang? Ustinov hat das nicht erfunden. Schon seinen Zeitgenossen war Nero kurz nach seinem Tod ein Beispiel für Ehrlosigkeit, ein weichlicher, eitler, misstrauischer und fauler Mensch. Ein Musiker eben. Ein Gegenbeispiel ist Alexander der Große. Dessen Lehrer Antigonos zerbrach Alexanders Zither mit den Worten: „Du sollst regieren, nicht singen!“ Das tat der Gescholtene dann auch.

Neurologen suchen nach den Spuren im Gehirn

Was macht Musik mit uns? Neurologen versuchen heute, die Wirkungen der Musik im Menschen zu beobachten. Sie finden Zentren für Musik im Gehirn, und sie finden, dass Musik sehr stark mit Emotionen und Erinnerungen verknüpft ist. Aber ist das gut? Ist das schlecht?

Zwei Generationen vor Agrippa hatte Johannes Tinctoris eine Liste mit zwanzig positiven Wirkungen der Musik aufgestellt: Die Musik bereitet zum Empfang des göttlichen Segens vor, sie vertreibt die Trauer und den Teufel, sie spornt den Kampfesmut an, erhebt den Geist, erweicht verstockte Herzen und heilt sogar Kranke. Von positiven Wirkungen der Musik wird auch heute immer wieder berichtet, so etwa, dass Schüler, die aktiv musizieren, bessere Noten auch in anderen Fächern nach Hause bringen. Die Beweiskraft solcher Untersuchungen ist meist schwach.

Es gab in der Geschichte neben der Beschimpfung immer auch das Lob der Musik. Und Schipperges zitiert Autoren, die sich keiner der beiden Seiten zuschlagen. Der Musikschriftsteller Wolfgang Caspar Printz etwa bilanzierte 1690, wem Gott nicht günstig sei, der sei der Musik Feind.

Eine „leere, kurze Belustigung“

Musik macht krank, auch davon waren – und sind bis heute – manche überzeugt. Musik verhindere das Denken und das Reden, zitiert Printz, und vor allem Blasinstrumente blähten die Lunge, mit schweren Folgen für Körper und Geist. Doch oft rieben Kritiker sich am kurzen Genuss der Musik, an ihrem Verklingen und damit dem Fehlen eines bleibenden Produktes dieser Kunst. In der Malerei des Barock wurden Musikinstrumente zu Sinnbildern der Vergänglichkeit. Musik war eben, wie Printz seine Zeitgenossen zitiert, eine „leere und kurze Belustigung“ und der Musiker bestenfalls ein „ergötzender großer Künstler in einer kleinen Sache“.