Das Lied von der „Loreley“ war bereits Mitte des 19. Jahrhunderts ein Welthit. Die bewegte Geschichte der Melodie aus Friedrich Silchers Feder schildert eine Sonderausstellung im Silchermuseum in Weinstadt.

Weinstadt - Wenn es Mitte des 19. Jahrhunderts eine Hitparade gegeben hätte, wäre dieser Song ganz oben in den Charts gelandet: „Loreley“. Denn das Lied war vor 175 Jahren nicht nur in Deutschland, sondern auch in Amerika und in Japan berühmt. Die Noten stammten aus der Feder des Schnaiter Lehrersohns und Komponisten Friedrich Silcher (1789–1860), die Worte lieferte der Dichter Heinrich Heine (1797–1856). Die Männer haben sich nie getroffen, und Heine hat wohl nicht einmal die Vertonung seiner Worte zu Ohren bekommen. Und doch hatte der Song das Zeug zum Welthit: eine eingängige Melodie und einen zu Herzen gehenden Text – die Geschichte eines liebesblinden Mannes und einer verführerischen Blondine, die ihn ins Verderben lockt.

 

Eine Sonderausstellung über den „Mythos Loreley“ im Silchermuseum des Schwäbischen Chorverbands in Schnait zeigt nun, wie der Welterfolg zustande gekommen ist und welche Folgen der Rummel um den Song mit sich brachte. Die „gewaltige Melodei“ sei bei Konzerten in der Regel ganz zum Schluss gespielt worden, sagt der Kurator der Ausstellung, Rudolf Veit: „Das Lied hat die Zuhörer in eine geradezu andächtige Stimmung versetzt, in der sie erstarrten.“ Dabei sei die Melodie dem Komponisten Silcher, der damals Musikdirektor der Uni Tübingen war, regelrecht zugeflogen: „Er soll sie kurz vor einer Unterrichtsstunde komponiert haben.“

Die Melodie war ein genialer Schnellschuss

Ein Schnellschuss zwischen Tür und Angel – einfach und genial. Und so stimmig, dass die Autorin Ottilie Wildermuth schwärmte: „Weiß Gott, wie unser nüchterner Herr Silcher zu dem märchenhaften Zauber dieser Musik kommt, die so aus einem Guss mit der Poesie ist.“ Zu dem Gedicht sei Silcher wohl durch einen Studenten gekommen, sagt Rudolf Veit. Es sei gut möglich, dass ein Schüler Heines Gedicht „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ mitgebracht und den Lehrmeister zum Komponieren inspiriert habe: „Silcher hat sich nie zur Entstehung des Lieds geäußert.“

Viel Lob hat „Die Loreley“ ihrem Komponisten eingebracht – und jede Menge Ärger. Denn als sie 1838 veröffentlicht wurde, waren Gesangvereine und Hausmusik sehr in Mode. „Zu dieser Zeit ist ein ganz neuer Musikmarkt entstanden, die Verlage schossen wie Pilze aus dem Boden, es wurden so viele Musikalien produziert wie nie zuvor“, erzählt Rudolf Veit. Ein Urheberrecht gab es nicht, so dass zu Silchers Leidwesen bald unzählige Nachahmungen kursierten. „Jeder konnte etwas hinzufügen, was bei der ,Loreley‘ verhängnisvoll war, denn gerade die schlechten Bearbeitungen haben sich durchgesetzt.“ Da wurden Passagen gedehnt und wiederholt, bis die einfache, anrührende Melodie vor Kitsch triefte.

Ärger über „geschmacklose Harmonisierung“

Silcher hat 1849 schriftlich gegen die „triviale, geschmacklose Harmonisierung und Verstümmelung“ seiner „Loreley“ gewettert, geholfen hat es freilich nicht. Und so hat das Lied, das, wie die Ausstellung zeigt, seit 1898 in japanischen Schulliederbüchern steht, das einem kanadischen Bier den Namen gab und das Felix Mendelssohn-Bartholdy in eine Oper aufnehmen wollte, das Schicksal eines manchen Hits erlitten: Es wurde zersungen, zerpflückt und durch den Kakao gezogen. Viktor von Scheffel etwa dichtete im 19. Jahrhundert auf die Melodie das „Guano-Lied“ – es schildert, wie aus Vogelmist Guano-Dünger entsteht. In der Ausstellung ist auch Karl Valentins Parodie auf die „Loreley“ zu erleben – als griesgrämige Jungfer, der das Mikrofon abgedreht wird. In den 1920er Jahren gab es Postkartenserien, die Loreley mit Bubikopf-Frisur zeigen, in einer Hand hält sie eine Schere, mit der anderen wirft sie ihren blonden Zopf nach einem Schiffer.

Nach dem Zweiten Weltkrieg habe die „Loreley“ als „der Gipfel des Kitsches“ gegolten, sagt Rudolf Veit: „Sie hat überlebt, aber mit einem gewaltigen Imageschaden.“ Im Ausland sei ihr Ruf indes besser gewesen: „Der US-Jazzer Lionel Hampton hat die Melodie 1956 in den Jazz eingeführt.“ Vor einigen Jahren hat auch Achim Reichel, der Gründer der Rattles, die „ Loreley“ entdeckt und zu Rockmusik verarbeitet. Vielleicht feiert die blonde Schöne ja irgendwann ein großes Comeback. Für Rudolf Veit jedenfalls ist eines klar: „Ein Lied, das seit 175 Jahren weltweit ein Evergreen ist, kann kein schlechtes Lied sein.“

Die Geschichte der Loreley

Ballade
Der 1778 in Ehrenbreitstein, dem heutigen Koblenz, geborene romantische Schriftsteller Clemens Brentano hat mit seiner Ballade „Zu Bacharach am Rheine“ um das Jahr 1800 die Grundlage für das Loreley-Märchen erschaffen. Darin erzählt Brentano die tragische Geschichte einer schönen, unglücklich verliebten Frau. Diese stürzt sich am Ende in den Fluss – und zwar von dem tatsächlich existierenden Lurley- oder Lurlen-Berg. Dieser war der Namensgeber für die Heldin.

Bewunderer
Brentanos Text inspirierte viele seiner Schriftstellerkollegen, welche die Geschichte weiter ausschmückten. In Otto Heinrich Graf von Loebens „Lurleyfels“ beispielsweise wandelt sich Loreley zu einer gefährlichen Sirene, die Schiffer mit ihrem Gesang und ihrer Lockenpracht auf die Felsriffe und damit ins Verderben lockt. Gedicht
Heinrich Heine hat sich den Stoff um 1823 ebenfalls vorgenommen. Sein Werk mit dem Titel „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ schaffte mit der Veröffentlichung in Heines „Buch der Lieder“ im Jahr 1827 schließlich den Durchbruch. Der Band wurde rasch zum Kultbuch der damaligen jungen Generation. Die Gedichte Heines waren auch außerhalb Deutschlands äußerst beliebt – zum Beispiel in Japan.