An der Pleite von „Gottschalk Live“ lässt sich einiges über den Zustand des Fernsehens ablesen: Es macht vor allem mit Flops von sich reden.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Der Mann trägt sein Schicksal mit Fassung. In seiner Sendung, die kurz nach der Nachricht über das Aus am späten Mittwochnachmittag aufgezeichnet wurde, verzichtete Thomas Gottschalk auf ein formelles Statement zu der Entscheidung der ARD-Chefs, mit „Gottschalk Live“ am 7. Juni Schluss zu machen. Stattdessen gab es selbstironische Anspielungen auf die Formatpleite, als Anke Engelke und Gloria von Thurn und Taxis zu Beginn aus dem Off als Gäste „in Deutschlands meistgesehener Vorabend-Entertainmentshow“ angekündigt wurden. Später dann, als der im goldknopfbesetzten Marinesakko gekleidete Showmaster das Thema Frauenquote anschnitt, sagte er nur: „Ich geb meinen Platz hier demnächst frei, aber nur, wenn eine Frau kommt; ein Kerl, das kann ich selber.“

 

Ansonsten brachte Gottschalk es sogar fertig, an diesem für ihn schwarzen Tag eine seiner besseren Vorstellungen abzuliefern. Er sagte pünktlich die Werbepausen an, platzierte im seichten Geplauder witzige Konter und sammelte Sympathiepunkte, als er Anke Engelke offenbarte, warum er sie bei ihrem früheren Besuch in der Sendung mit dem Namen Annette ansprach: Die Babysitterin, die er an jenem Tag nach langer Suche endlich für seinen Enkel gefunden hatte, habe so geheißen. „So war das, Anne-Marie“, ulkte er trocken.

Das Image als Unterhaltungskönig dürfte leiden

Damit bewies der 61-Jährige eine Souveränität, die er in seiner „Late Light Show“ von Beginn an allzu oft vermissen ließ. Trotzdem dürfte sein Image als unangefochtener Unterhaltungskönig unter dem ARD-Fiasko leiden – zumindest vorübergehend. Schon vor einigen Wochen hat sich der Programmdirektor Volker Herres angesichts der mit der zweiten Ausgabe der Sendung angelaufenen Quoten- und Absetzungsdiskussion gewünscht, dass sowohl Moderator als auch ARD nicht zu Schaden kommen. Dieser Wunsch hat sich nicht erfüllt. Doch wer hat die schlimmsten Blessuren davongetragen? Gottschalk? Der öffentlich-rechtliche Sender? Und was sagt dieser GAU über den Zustand des deutschen Fernsehens insgesamt aus?

Um den Moderator selbst muss man sich nicht wirklich Sorgen machen. Die Erinnerung an sein peinliches Vorabendintermezzo wird schnell verblassen und von seinem alten „Wetten, dass . . ?“-Ruhm überstrahlt werden, einem Glanz, den er allerdings nie wieder erreichen wird. Schon vor dem Aus hatte die ARD laut darüber nachgedacht, Gottschalk mit einer Abendshow oder der einen und anderen Gala wieder jene Bühne zu geben, die er braucht, um vor einem großen Publikum als Entertainer aufzutrumpfen. Nachhaltiger wird der Missgriff indes den Sender beschäftigen: Aus der „Todeszone“ des Vorabends sollte die Moderatorenlegende blühende Landschaften machen – jetzt hat sie das große Darben vor der „Tagesschau“ mit einer miserablen Quote von 5,2 Prozent noch verschlimmert. Der Zuschaueranteil der ARD zwischen 18 und 20 Uhr sackte seit Gottschalks Start von 8,4 auf 6,6 Prozent ab. Auch die „Heiter bis tödlich“-Krimis sowie Quizshows à la „Drei bei Kai“ kommen beim Publikum nur mäßig an. Das Erste verfügt über keinen Plan, wie es den pseudoauthentischen Scripted-Reality- und Dokusoap-Formaten von RTL mit Qualität ernsthaft gefährlich werden könnte.

Eine Ära zu Ende

Und überhaupt: wenn man den Blick weitet, stellt man fest, dass das Fernsehen vor allem mit Flops und Abgängen mehr oder weniger älterer Herren statt mit Erfolgen auf sich aufmerksam macht. Gottschalk ist schon die zweite TV-Größe, die in kurzer Zeit vom Sockel purzelt: Ende März schreckte Sat 1 nicht davor zurück, den einstigen Late-Night-König Harald Schmidt abzusetzen; ebenso war es Johannes B. Kerner wenige Monate zuvor ergangen. Auch die große Zeit der Castingshows ist vorbei – einfallslose Kopien und Formatabwandlungen wie „The Winner is . . .“ oder „Das perfekte Model“ führen den Niedergang des Genres vor Augen. Bei den Talkshows, zu denen auch die überarbeitete Version von „Gottschalk Live“ zählt, leidet das Publikum ebenfalls unter Übersättigung – der WDR-Rundfunkrat liegt mit seiner mehrfach wiederholten Kritik schon richtig.

Solche Symptome deuten darauf hin, dass eine Ära langsam zu Ende geht – und dass das Fernsehen – auch im Webzeitalter das Unterhaltungsmedium Nummer eins – nach Erneuerung schreit. Junge Köpfe, unverbrauchte Konzepte und Experimente sind gefragt, doch all dies trauen sich ARD und ZDF bislang allenfalls im Verborgenen zu. Der ARD-Ableger Eins Plus etwa geht Anfang Mai mit einem Paket neuer Formate und einer Riege junger Moderatoren und Reporter in die Offensive.

Warum beweisen nur die digitalen Nischenkanäle diesen Mut?