Die hier aufgezeigten Symptome lassen sich nicht nur bei denjenigen nachweisen, die wie Odo Marquard auf einer nationalsozialistischen Elite-Schule erzogen wurden oder deren Väter wie im Fall von Jürgen Habermas Parteimitglieder waren, sondern auch bei denen, deren Elternhaus wie bei Joachim Fest oder Robert Spaemann dem NS-Regime kritisch gegenüberstand oder wie bei Martin Greiffenhagen der Bekennenden Kirche angehörte. Risikoscheu und Skepsis können verschiedene Formen annehmen. Die Skepsis kann sich beispielsweise gegen die Moderne insgesamt und ihren Subjektivismus wenden wie bei Robert Spaemann oder Joseph Ratzinger, die Halt beim überindividuellen Naturrecht und der klassischen Metaphysik suchen, die dem Einzelnen die Last der subjektiven Entscheidung abnehmen sollen.

 

Aber auch ein Verteidiger der Moderne wie Jürgen Habermas hat überraschenderweise eine Abneigung gegen den Begriff der Entscheidung. Er vermutet dahinter den Dezisionismus von Carl Schmitt, der zwischen Freund und Feind unterscheidet, und weil Habermas genau dies vermeiden will, hat er eine Demokratietheorie ersonnen, die die Spaltung der Gesellschaft in Parteien durch einen Dauerdiskurs mit dem Ziel eines „herrschaftsfreien Konsenses“ überwinden will. Ist Habermas nicht der Genscher der Philosophie – einer, der es jedem Recht machen will? Jemand, der Angst davor hat, nicht „anschlussfähig“ zu sein, und deshalb in sein Theoriegebäude Elemente aller zeitgenössischen philosophischen Strömungen aufnimmt?

Permanenter Zickzackkurs

Die Intellektuellen aus der Flakhelfer-Generation waren nach dem Krieg entschlossen, mit der in ihren Augen spezifisch deutschen Tradition einer unpolitischen Innerlichkeit zu brechen. Aber was tun sie tatsächlich? Der Politikwissenschaftler Greiffenhagen gibt zu, er interessiere sich zwar für politische Theorie, verschmähe aber das direkte politische Engagement; der Soziologe Ralf Dahrendorf kehrt nach einem kurzen Intermezzo als FDP-Parlamentarier, Staatssekretär und EU-Kommissar desillusioniert aufs überparteiliche Feld der Wissenschaft zurück; und der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger entzieht sich wie seine Lieblingsfigur, der fliegende Robert aus dem „Struwwelpeter“, durch einen permanenten Zickzackkurs jeder genauen Ortsbestimmung. Weil man der deutschen Tradition des „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ entkommen und Politik nicht mehr als Entweder-oder, sondern als Sowohl-als-auch begreifen will, landet man am Ende bei einem Skeptizismus, dem alles gleich fragwürdig ist, oder bei einem alle Unterschiede und Feindschaften verwischenden „Alle Menschen werden Brüder“. Doch das ist die Wiederkehr der unpolitischen deutschen Innerlichkeit in neuem Gewand.

„Die Flakhelfer-Generation ist vielleicht die faktische, wenn auch nicht die normative Trägergeneration des westdeutschen Wiederaufstiegs. Die anpassungsgeschickten, aber mit verbissenem Willen ausgestatteten jungen Männer haben zwischen Mitte der 50er- und Mitte der 70er-Jahre das ‚Modell Deutschland’ mitaufgebaut.“ Heinz Budes Resümee, 1987 geschrieben, ist zwiespältig: Bei aller Anerkennung läutet es den Abschied von den letzten Kriegsteilnehmern ein. Für die Lösung der neuen Probleme, die Bude Mitte der 80er-Jahre heraufziehen sieht, taugen die alten Antworten nicht mehr. Sie seien gebunden „an die Modelle der Reproduktion des Status quo, Modelle der Transformation können sie nicht anbieten“.