Der Rücktritt des Projektleiters von Stuttgart 21 wirft Fragen nach dem Stil der Debatte auf. Auch Kritiker werden angegangen.

Stuttgart - Dass der verantwortliche Projektleiter für Stuttgart 21, Hany Azer, aufgrund von "Anfeindungen bis hin zu Drohungen", so die Begründung der Bahn, seinen Job zum Monatsende quittiert, hat Betroffenheit ausgelöst. Auch wenn noch interne Gründe für den Rückzug des 62-Jährigen ausschlaggebend gewesen sein dürften, so wirft Azers Demission doch die Frage auf, ob es sein darf, dass mit dem umstrittenen Projekt Stuttgart 21 befasste Personen nur noch unter Personenschutz ihrer Arbeit nachgehen und ihre Freizeit verbringen können.

 

Nach StZ-Informationen hat der Chefplaner während seiner Tätigkeit mehrfach bedrohlich wirkende Briefe und E-Mails erhalten, wie sie auch schon an Stuttgarts OB Wolfgang Schuster sowie die Projektsprecher Wolfgang Drexler, Udo Andriof und Wolfgang Dietrich geschickt wurden. Dabei handelt es sich immer um anonyme Pamphlete. Auch Päckchen mit weißem Pulver sind versandt worden; in allen Fällen stellte sich der Inhalt als harmloses Backpulver und nicht etwa als gefährlicher Milzbranderreger Anthrax heraus. Gleichwohl zerren solche Vorfälle offensichtlich am Nervenkostüm der Betroffenen - da macht auch der Bahn-intern als "harter Hund" geltende Azer keine Ausnahme.

Auch Projektkritiker erhalten Drohungen

Fakt ist allerdings auch, dass es bisher keine körperliche Attacken und Übergriffe auf politisch, unternehmerisch oder planerisch Verantwortliche von Stuttgart 21 gegeben hat. Dass Azer, der mit seinen Ingenieuren das umstrittene Projekt nur vollziehen sollte, allerdings vom Bahn-eigenen Sicherheitsdienst Personenschutz auferlegt bekam, dürfte bei ihm das Gefühl der Bedrohung verstärkt haben. Im Fall Azer liegt nach StZ-Informationen bis jetzt eine Anzeige wegen Beleidigung vor. Weitere Vorfälle sind nicht aktenkundig.

Keine Frage: der Stil der Auseinandersetzung über Stuttgart 21 ist rational kaum noch nachvollziehbar. Doch der allergrößte Teil der Projektgegner hat wie auch der allergrößte Teil der Projektbefürworter mit Gewalt jeglicher Art nichts am Hut. Doch schon wird kolportiert, Bahn-Mitarbeiter müssten hinter schusssicheren Fenstern arbeiten - eine Behauptung, die sogar dem Projektsprecher Dietrich zu weit geht: "Davon ist mir nichts bekannt. Ich fahre manchmal einen schusssicheren Wagen - aber nur im Urlaub in Südafrika."

Falsch ist nach StZ-Recherchen, dass Azers nicht im Ländle lebende Familie ebenfalls bedroht worden wäre. Solche Gerüchte werden in der aufgeheizten Atmosphäre schnell zur Tatsache. Das war auch so, als 2010 über eine angebliche Bedrohungslage für Bahn-Chef Rüdiger Grube an dessen Wohnort berichtet wurde. Die Polizei hatte dort hingegen nur Anti-Stuttgart-21-Aufkleber gefunden. Auch Projektkritiker erhalten inzwischen Drohungen. Jüngstes Beispiel ist der Pro-Bahn-Sprecher Matthias Oomen. Im Internet hatte er dazu aufgefordert, Personen mit persönlicher Verantwortung bei Stuttgart 21 auch persönlich verantwortlich zu machen. Die Reaktion der Projektbefürworter ließ nicht lange auf sich warten: Auf der Internetplattform Facebook fragt zum Beispiel ein Anonymus: "Kann mal jemand den Oomen mit einem Baseballschläger bearbeiten?"