Indiens emsige Filmindustrie hat ihre alten Werke, wenn sie kein Geld mehr brachten, stets auf den Müll geworfen. Bis P. K. Nair in den sechziger Jahren begann, zu retten, was noch zu retten war.

Stuttgart - Das Leben eines einzelnen Menschen sei zu kurz, hat P. K. Nair einmal gesagt, um das ganze Filmerbe der Menschheit zu retten. Aber der am 4. März 2016 im Alter von 82 Jahren verstorbene Gründer des National Film Archive of India hat genau das versucht. Und er hat dabei unglaubliche Widerstände überwunden.

 

Als Paramesh Krishnan Nair im März 1961 ans Film and Television Institute of India kam, wollte er eigentlich selbst Filmemacher werden. Aber dann warf ihn die Erkenntnis aus der Bahn, dass fast alles, was indische Filmemacher vor ihm gedreht hatten, verschwunden war. In vielen Fällen waren Kopien und Negative schlicht vernichtet worden. Günstigstenfalls mochten einige an unbekannten Orten unter miserablen Bedingungen weggesperrt liegen, um dort zu verrotten. Nair begann seinen Kreuzzug zur Rettung des Filmerbes.

Filme aus dem Müll

Regisseuren und Produzenten bettelte, kaufte und rang er Kopien ihrer aktuellen Werke ab. Doch die Bewahrung des Aktuellen und Intakten war nur ein kleiner Teil seines Schaffens. Jeden Fetzen eines alten Films im Müll versuchte er, sobald er von ihm erfuhr, in sein Archiv bringen zu lassen, um vielleicht irgendwann mal aus vielen Resten ein komplettes Werk zusammensetzen zu können.

Die Liebe zum Kino, die ihn antrieb, muss ihm auch Qualen bereitet haben, so groß war das Missverhältnis zwischen Aufgabe und Möglichkeiten. Von den rund 1700 Filmen, die in Indien während der Stummfilmära entstanden, hat Nair nur sieben für die Nachwelt retten können. Ohne ihn hätten nicht einmal diese wenigen überdauert, wäre das Filmschaffen einer Epoche restlos ausgelöscht.

Der Blick auf die ganze Kinowelt

P.K. Nair war aber nicht nur ein Sammler, Chronist und Restaurator. Er war auch ein Lehrer. Sein Interesse und sein Bewahrungsinstinkt erstreckten sich aufs gesamte Weltkino, er zog Kopien ausländischer Filme und tauschte mit Archiven rund um den Erdball. Dank ihm lernte Studentengeneration um Studentengeneration am Film and Television Institute of India die großen alten Werke Hollywoods kennen, das Kino Europas, das Filmschaffen Japans.

Der Regisseur Shivendra Singh Dungarpur hat 2012 einen zweieinhalbstündigen Dokumentarfilm über Nair gedreht, „Celluloid Man“ – von dem es zwar keine deutsche DVD gibt, aber eine sehr empfehlenswerte britische beim Label Second Run. Reihenweise berichten darin Regisseure, Kameramänner, Autoren von ihrer Studienzeit, und es klingt, als seien die Dozenten damals nur zweitrangige Einflüsse gewesen. Wirklich prägend waren die Frühsitzungen, die Vormittage, die Abende und die Nächte im Archivkino von P. K. Nair.

Held ohne Erben

Nur noch als mühselig am Stock gehenden alten Mann sieht man Nair in „Celluloid Man“. Man begreift dann: noch einen Film wird er nicht retten können. Aber man möchte glauben, die vollbrachte Leistung habe Vorbildfunktion, habe etwas Unaufhaltsames angestoßen. Bis einer der Filmschaffenden bekundet, es gebe keinen adäquaten Nachfolger für den Helden Nair. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Rettung des Filmerbes zerfalle auch in Indien bereits wieder.