Ein Mann, der wegen versuchter Vergewaltigung im Gefängnis sitzt, sollte danach in Sicherungsverwahrung. Vor dem Stuttgarter Landgericht war aber schnell klar, dass der Antrag keine Aussicht auf Erfolg haben würde.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Stundenlang haben die drei Richter der 19. Großen Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts am Dienstag aus Akten vorgelesen. Nach und nach ergab sich ein Bild: Es ging in dem Verfahren um einen heute 51-jährigen Mann, der seit 1998 insgesamt vier Verbrechen gegen Frauen begangen hat, drei Fälle von Nötigung und eine versuchte Vergewaltigung. In allen früheren Verhandlungen, während der ersten und der zweiten Haftstrafe wiederholte sich eines: Konsequent verweigerte sich der Stuttgarter der Untersuchung durch Psychiater, in der Haft dann auch der Behandlung, in der Freiheit zwischen den Gefängnisaufenthalten einer Sozialtherapie Wegen des jüngsten Falles, eine ihm 2012 nachgewiesene Vergewaltigung, sitzt der 51-Jährige zurzeit in Strafhaft.

 

Aufgrund dieses uneinsichtigen Verhaltens in der Haft stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart nun den Antrag, nachträglich eine Sicherungsverwahrung nach dem Ende der Strafhaft anzuordnen. Die Vertreterin der Ermittlungsbehörde sah aber am Ende ein, dass der Antrag keine Aussicht auf Erfolg hatte. Der Gesetzgeber hat für die nachträgliche Anordnung höhere Hürden vorgesehen als für eine Sicherungsverwahrung, die direkt bei der Urteilsfällung beschlossen wird. Nicht nur müssen zwei psychiatrische Gutachter eingeschaltet werden, es müssen auch neue Erkenntnisse vorliegen, die über das hinausgehen, was die Kammer vor drei Jahren als Grundlage des Urteils erkannt hatte. Die Kammer und die Staatsanwaltschaft sahen das nach den Gutachten der Psychiater einhellig so.

Die erste Sexualstraftat beging der Mann 1998

Der Stuttgarter hatte einen guten Start im Leben. Er wuchs mit zwei Geschwistern in Korntal auf, machte Abitur, schloss erfolgreich ein Studium ab, besitzt eine kleine Eigentumswohnung im Norden der Landeshauptstadt. Danach fand er jedoch nie richtig ins Berufsleben, sondern verdingte sich bei Nachhilfeunternehmen und Bildungseinrichtungen als Dozent. Er führte eine längere Beziehung, heiratete aber trotz Verlobung nicht. Aus einer anderen Beziehung ging eine Tochter hervor.

Im Jahr 1998 beging er die erste Sexualstraftat. Er überfiel in Bergheim auf einem Fußweg eine 18-Jährige, würgte sie und nötigte sie zu sexuellen Handlungen. Die Frau habe Todesangst gehabt, hieß es in den alten Gerichtsakten. Verurteilt wurde er wegen dieses und zweier weiterer, ähnlicher Übergriffe, bei denen er aufgrund heftiger Gegenwehr deutlich früher von den Opfern abließ, wegen sexueller Nötigung in drei Fällen. Nach der verbüßten Haftstrafe beging er 2010 die nächste Tat, für die er zwei Jahre später wegen versuchter Vergewaltigung zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Diese vier Jahre enden im April 2016. Nach der Hälfte der Haft und nach zwei Dritteln beantragte der 51-Jährige, dass der Rest der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Das wurde ihm nicht gewährt – auch aufgrund der Weigerung, in der Haft eine Therapie zu machen.

Der Verurteilte kooperierte nicht mit den Psychiatern

Wenig kooperativ zeigte sich der verurteilte Serientäter auch im aktuellen Verfahren. Er lehnte es ab, von den Psychiatern untersucht zu werden. Diese erstatteten dennoch Gutachten, indem sie die alten Beurteilungen ihrer Kollegen und die Gerichtsakten auswerteten. Beide kamen zu dem Ergebnis, dass keine psychische Erkrankung vorliegt. Beide stellten dem Mann eine ungünstige Prognose, unterschieden sich nur in Nuancen. Der Psychiater Stefan Borg ging von einem mittleren Risiko aus. Sein Kollege Peter Winckler schätzte die Gefahr als „deutlich höher als 50 Prozent“ ein. Er fand in den Akten einen Hinweis darauf, dass der Täter vor dem ersten Übergriff mehrere Wochen lang Vergewaltigungsfantasien gehabt hat. „Das ist doch ein Alarmzeichen!“ sagte Winckler. Doch all die Ansatzpunkte der Psychiater brachten nichts Neues ans Licht. Der Verurteilte wird also trotz der schlechten Prognosen im Frühjahr 2016 freikommen.