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Sie vermuten daher, dass der Lebensraum an der Elfenbeinküste ein höheres Maß an Solidarität erzwingt. Schuld daran könnten die zahlreichen Leoparden sein, die dort durchs Gebüsch schleichen. Vielleicht haben die Schimpansengruppen dadurch einen besonders starken Zusammenhalt entwickelt, der sich nun auch in leopardenfreien Situationen zeigt. Zum Beispiel, wenn ein verwaistes Affenkind versorgt werden muss.

Männliche Schimpansen sind eigentlich Machos


"Zwar sind Adoptionen auch bei vielen anderen Tieren bekannt", sagt Deschner, allerdings handle es sich dabei meist um Fälle, in denen ein Weibchen sein eigenes Jungtier verloren hat und seine mütterliche Fürsorge stattdessen auf ein fremdes richtet. Bei den Taï-Schimpansen dagegen haben mehrere Mütter mit saugendem Nachwuchs noch ein zweites Kind adoptiert, obwohl sie mit ihrem eigenen völlig ausgelastet waren.

Zudem ging dort die Hälfte aller Adoptionen auf das Konto von Männchen. Da kommen überschießende Muttergefühle als Erklärung kaum infrage. "Männliche Schimpansen sind ziemliche Machos, die sich normalerweise nicht einmal großartig um ihren eigenen Nachwuchs kümmern", berichtet Deschner. Doch in ihrer Rolle als Adoptivvater werden sie erstaunlich fürsorglich. Sie tragen den kleinen Artgenossen auf dem Rücken, pflegen ihm das Fell und versorgen ihn mit Futter.

Eigentlich müsste die Evolution so viel Selbstlosigkeit bestrafen. Wer zugunsten anderer auf Vorteile verzichtet, schmälert schließlich seine eigenen Überlebens- und Fortpflanzungschancen. Warum also stirbt das uneigennützige Verhalten nicht aus? Die Adoptiveltern im Taï-Nationalpark sind nur in den seltensten Fällen mit den Waisen verwandt.

"Wie du mir, so ich dir"


Möglicherweise setzen die Tiere instinktiv auf das Prinzip "Wie du mir, so ich dir". Wer heute einem Artgenossen hilft, wird vielleicht beim nächsten Mal selbst unterstützt. Langfristig zu denken ist also auch in Schimpansenkreisen gefragt. Wer heute ein Jungtier adoptiert, gewinnt möglicherweise übermorgen einen Bundesgenossen.

Ein solches Kalkül geht in menschlichen Gesellschaften allerdings oft nicht auf. Dazu sind sie heutzutage oft zu anonym und unübersichtlich. Wer Blut spendet oder Geld für Hilfsprojekte am anderen Ende der Welt sammelt, kann kaum mit einer Gegenleistung des Empfängers rechnen. Steckt hinter dem menschlichen Altruismus also doch etwas anderes als hinter der tierischen Hilfsbereitschaft?

Evolutionsbiologen bezweifeln das. "Noch vor zehn- oder zwanzigtausend Jahren haben auch unsere Vorfahren in kleinen Gruppen gelebt", sagt Deschner. Nach den Maßstäben der Evolution ist das nicht lange her. Auch im modernen Großstadtbewohner könnte also noch die bewährte Hilfsbereitschaft aus Steinzeittagen schlummern.