Mehr als dreißig Öko-Verbände musste er unter einen Hut bringen. Nun tritt Reiner Ehret nach 15 Jahren als Chef des Naturschutz-Dachverbandes ab. Mitstreiter loben seine Integrationskraft – und seinen Blick fürs große Ganze.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Schwieriger hätte der Start kaum sein können. Als Reiner Ehret im Jahr 2000 den Vorsitz des Landesnaturschutzverbandes (LNV) übernahm, steckte der in einer schweren Krise. Der Naturschutzbund (Nabu) hatte die Dachorganisation bereits verlassen, der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sollte bald darauf folgen. Zusehends unvereinbar waren beiden die Interessen der 37 Mitgliedsverbände erschienen. Als die nach eigenem Verständnis „wahren“ Naturschützer, im Gegensatz etwa zu Jägern und Fischern, wollten sie fortan lieber selbst für ihre Anliegen kämpfen. Ohne die großen, mitgliederstarken Verbände aber schien die gesamte Legitimation des Landesnaturschutzverbands in Frage gestellt. Man müsse gegenüber der Politik „mit einer Stimme sprechen“ – diese Vorgabe Ehrets drohte schon bei seinem Amtsantritt unerfüllbar geworden zu sein.

 

Alte Feindschaften überwunden

Eigentlich wollte der Kaufmann aus Kirchzarten bei Freiburg, der einst über den Protest gegen eine Straßenplanung zu den Naturschützern gestoßen war, die Verbandsspitze nur für zwei, drei Jahre übernehmen. Nun sind 15 Jahre daraus geworden („Einen solchen Job wird man nicht los“), und der inzwischen 76-Jährige möchte das Ehrenamt in jüngere Hände geben. Wenn er Mitte Mai feierlich verabschiedet wird (Festredner: Umweltminister Franz Untersteller), kann Ehret zufrieden zurückschauen. Anders als in den meisten anderen Bundesländern gibt es den Dachverband in Baden-Württemberg immer noch, und er wird von der Politik als „wichtiger Gesprächspartner“ (Agrarminister Alexander Bonde) geschätzt. Entgegen früheren Befürchtungen sei er mitnichten ein „zahnloser Riese“ geworden, lobte die BUND-Chefin Brigitte Dahlbender einmal. BUND und Nabu kehrten zwar nicht mehr in den LNV zurück, wie es Ehret („Die Tür bleibt offen”) einst angeboten hatte. Doch man hat längst einen funktionierenden Modus der Zusammenarbeit gefunden. Wichtige Stellungnahmen geben alle drei Verbände zusammen ab, es gibt sogar einen gemeinsamen Briefkopf. „Die alten Feindschaften sind nicht mehr da“, bilanziert Ehret, heute pflege man eine „sehr freundschaftliche und zielführende Partnerschaft“.

Lob für den „Diplomaten im besten Sinn“

Dies gilt vor allem als Verdienst des Vorsitzenden, den der BUND dafür 2013 sogar mit seinem Naturschutzpreis auszeichnete. „Vermitteln, moderieren, Kompromisse formulieren“, das könne Ehret als „Diplomat im besten Sinn“, sagte Dahlbender damals in ihrer Laudatio. Ähnlich lobend äußerte sich der Nabu-Chef Andre Baumann einmal über die Integrationskraft des Verbandschefs: Anders als unter dem umstrittenen Vorgänger, meinte er, wäre es unter Ehret wohl nicht zum Austritt seiner Organisation gekommen.

Man dürfe sich nicht in Einzelinteressen verlieren, sondern müsse stets „an das Ganze denken“ – das war auch inhaltlich Ehrets Credo. Als Kaufmann, der drei Jahrzehnte seines Berufslebens beim Shell-Konzern verbracht hat, betrachtete er die Themen zuweilen aus einer etwas höheren Warte. Um etwas zu erreichen, predigte er stets, gelte es Ökologie und Ökonomie zu verknüpfen. Wenn zum Beispiel eine Gemeinde mit ihren Windrädern so viel Geld verdiene, dass sie keine Kindergartenbeiträge mehr erheben müsse, steigere das gleich die Akzeptanz der Rotoren. Er könne ja verstehen, wenn Windkraft-Kritiker „ihren Milan für das Wichtigste auf der Welt“ halten, aber der Klimaschutz dürfe dabei nicht aus dem Blickfeld geraten: Würden die Klimaziele verfehlt, warnt der scheidende LNV-Chef, dann leide letztlich auch die Natur.

Mühsamer Kampf gegen Flächenverbrauch

Ehrets besonderer Einsatz galt dem Kampf gegen den Flächenverbrauch – freilich mit, wie er einräumt, „marginalem“ Erfolg. Noch immer würden in Baden-Württemberg täglich sechs bis acht Hektar zugebaut: „Das macht mir Sorgen.“ Schon die CDU-Regierung habe dieses Problem angehen wollen, aber wenig erreicht.

Mit den grün-roten Nachfolgern ist der parteilose Verbandschef ansonsten in mehrerlei Hinsicht zufrieden: die Verdoppelung des Naturschutzetats, der Nationalpark Nordschwarzwald, das geplante Biosphärenreservat im Südschwarzwald, die Novellierung des Jagdgesetzes – das alles sieht er auf der Habenseite. Da habe die Koalition „Mut bewiesen“ und Richtiges „gegen Widerstände durchgesetzt“. Das meiste davon lasse sich auch dann nicht zurückdrehen, wenn es 2016 wieder zu einem Wechsel kommen sollte.

Rückzug auch aus dem SWR-Rundfunkrat

Abgeben wird Ehret übrigens nicht nur den Verbandsvorsitz, sondern auch seinen Sitz im SWR-Rundfunkrat. Dort focht er etwa dafür, dass eine neue Sendung („natürlich!“) Naturschutzthemen aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz aufgreift – jede Woche eine halbe Stunde. Aufs „Rentnerbänkchen“ will sich der vitale Mittsiebziger gleichwohl nicht zurückziehen. Seine Dienste als Moderator und Mediator („Das musste ich ständig üben“) möchte er künftig als freier Berater anbieten. Dann können auch andere davon profitieren, dass er „noch nie so viel gelernt hat“ wie in den 15 Jahren als Verbandschef.