Mit Herdenschutzhunden wie den Maremmano-Rüden Lori und Lewin als Leibwächter können Ziegen und Schafe ungestört weitergrasen, wenn der Wolf in den Schwarzwald einwandert. Und das wird bald der Fall sein, sagen einige Experten.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

St. Blasien - Die Landschaft ist einfach großartig: Ein Hochtal auf über 900 Metern Höhe zwischen Schluchsee und St. Blasien, das seine eiszeitliche Geschichte offenbart. Nur wenige Kilometer vom Feldberg entfernt, die Gegend, wo der Schwarzwald alpin aussieht. Sumpfige Wiesen am Bach, mit Felsbrocken bestückte Hänge, windschiefe Latschenkiefern. Märchenhaft. Käme ein Wolf um die Ecke, man wunderte sich keineswegs. Lange würde Meister Isegrim aber nicht verweilen, denn in der Ziegenkoppel am Wildbach stehen zwei stämmige Hunde bereit, alles auszubellen, was sich nähert. Natürlich auch Zweibeiner, Menschen, die auf einer Wanderung vorbeikommen. Man hört zwei kräftige Bassstimmen, energisch, aber nicht aggressiv, noch bevor sich die Verursacher aus dem Schatten eines Baumes lösen und zum Zaun hinrennen.

 

Es sind schöne, schneeweiße Tiere mit einem dicken und flauschigen Fell: Maremmano-Schäferhunde, eine Rasse, die in den Abruzzen gezüchtet wurde und sich zum Schutz von Schaf- und Ziegenherden besonders gut eignet. Jeder der beiden Rüden bringt gut und gerne 50 Kilogramm Kampfgewicht auf die Waage. Und dass sie um ihre Ziegenherde kämpfen würden, steht außer Frage. „Kein Wolf käme auf die Idee, das zu testen“, sagt Sarah Schulz, 30. Sie ist Grundschullehrerin aus Freiburg und eine von zwei Wolfsbeauftragten des Naturschutzbundes (Nabu) Baden-Württemberg. „Wölfe gehen keine Kämpfe ein, wo sie sich schwer verletzen würden“, sagt sie.

Das Bellen wird schwächer, da kommt offenbar kein echter Feind. Die Ziegen haben unbeeindruckt weitergefressen oder sind faul liegen geblieben. „Die Maremmanos sind kluge, ruhige und selbstbewusste Hunde mit guten Charaktereigenschaften“, sagt Michael Glock, 59, Gymnasiallehrer aus Waldkirchen und ebenfalls Wolfsbeauftragter. Er hat die beiden Schäferhunde Anfang Januar als einjährige Welpen aus der Schweiz in den Schwarzwald auf den Windberghof bei St. Blasien gebracht. Glock hatte Sorge, dass er den einen durch einen Erziehungsfehler bereits „versaut“ hatte. Denn beim Training, als der kleine Lori angebunden zum ersten Mal bei der Ziegenherde übernachten sollte, jammerte er so erbärmlich, dass des Lehrers Herz wachsweich wurde und er ihn mit in die warme Stube nahm.

„Das hat er bis heute nicht vergessen“, sagt Glock. Und tatsächlich lässt sich Lori gerne kraulen und streicheln, während sein Bruder Lewin zu den Menschen strikt Abstand hält und nach dem Bell-Alarm eilig wieder zurück zur Herde eilt. Erst, wenn die Schüsseln mit Gemüsepellets in Schafsmolke auf der Weide stehen, wird er kommen und seine Mahlzeit einnehmen. „Herdenschutzhunde sind anders als Hütehunde“, sagt Sarah Schulz. „Sie begreifen sich als Teil der Herde, die sie beschützen, sie sind Tag und Nacht bei der Herde. Der Hütehund hingegen gehört zum Hirten.“ Die Ziegen haben sich schon nach kurzer Zeit an ihre Beschützer gewöhnt. Als sie noch klein waren, sind sie auf den Hunden herumgeturnt.

Canus lupus taucht bald auf

Sowohl der Nabu als auch die wissenschaftlichen Partner von der Forstwissenschaftlichen Versuchsanstalt in Freiburg gehen davon aus, dass es nicht mehr lange dauert, bis Canus lupus – so der lateinische Name des Wolfs – im Schwarzwald auftaucht und sich möglicherweise langfristig ansiedelt. „Wenn er kommt, dann wohl aus der Schweiz“, sagt Glock. Im Alpenraum hat er sich in den vergangenen Jahren wieder ausgebreitet, nachdem er in Mitteleuropa schon ausgerottet war. Ein Restbestand hatte sich in den Abruzzen in Italien gehalten und natürlich in den entlegenen Regionen des Ostens und des Nordens. Hierzulande war Isegrim so tot wie im Märchen, nachdem nicht nur Rotkäppchen, sondern auch die sieben Geißlein aus seinem Bauch befreit worden waren. Der große böse Wolf – kein anderes Raubtier ist dem Menschen in Schrift und Bild mehr entfremdet worden. „Verdammt schwer, gegen solche Legenden anzukommen“, sagt Glock. „Dabei ist der Wolf ein Schisser.“

Der Mensch entspricht nicht seinem Beuteschema. „Es reicht, sich ein bisschen groß zu machen und laut zu reden, dann trollt er sich.“ Falls man ihn in der freien Natur überhaupt zu Gesicht bekommt. Glock selbst ist das ein Mal in den Pyrenäen passiert, dabei durchkämmt der Tierschützer die Wälder in halb Europa schon gut 30 Jahre sehr intensiv. Zunächst war er vor allem mit den Greifvögeln beschäftigt, seit einigen Jahren mit dem Luchs und nun mit dem Wolf. „Der Wolf spielt wie die anderen großen Raubtiere eine wichtige Rolle im Tierreich und im ökologischen System überhaupt.“

Aber noch ist der Wolf nicht da, jedenfalls sind alle bisherigen Meldungen nicht hundertprozentig bestätigt. „Wenn er kommt, müssen wir vorbereitet sein“, sagt Sarah Schulz. Vor allem die Viehhalter müssen es sein. „Herdenschutz fängt mit dem Zaun an.“ Die alpenländische Freilandhaltung von Ziegen und Schafen auf der Alm wird nicht zu halten sein, der Wolf wäre geradezu blöd, wenn er sich nicht vom Silbertablett bedienen würde. Auch im Schwarzwald werden mehr und mehr Ziegen und Schafe gehalten, sie fressen Pflanzen, die Kühe nicht mal angucken, und halten so die Landschaft offen. Dafür gibt es Fördergeld.

Rund um den Windberghof weiden 38 Milchziegen und 40 Zicklein der Rasse Bunte Deutsche Edelziegen. Die Milchziegen stehen nahe am Haus, sie müssen zwei Mal am Tag gemolken werden. Die Zickleinherde ist weiter entfernt vom Hof, die Jungtiere bleiben nachts draußen. Ein Zaun allein reicht zum Schutz nicht aus. „Uns hat der Hirsch ein paar Mal den Zaun niedergetrampelt“, erzählt Holger Albrecht, 43. Dann sind die Ziegen abgehauen, eine hat sich in einen alten Stacheldraht verwickelt und sich fast selbst stranguliert. Da kam dem Bauern die Idee mit den Herdenschutzhunden gelegen, obwohl er zunächst skeptisch war. „So ein Hund läuft nicht einfach mit, den muss man pflegen“, sagt der in Trossingen aufgewachsene Agraringenieur. Und füttern. Die Kosten dafür, 1000 Euro im Jahr, trägt jetzt noch der Nabu, der auch die Anschaffung bezahlt hat, 1300 Euro pro Hund.

Die Hofbewohner leben weitgehend als Selbstversorger

Holger Albrecht, seine Frau Martina, gelernte Schreinerin, und Holgers Bruder Oliver, Musiklehrer, haben den Hof 2003 gekauft. Er gehörte einmal der Kirche, später dem Staat und war in einem maroden Zustand. In zehn Jahren mühevoller Arbeit haben die Albrechts das Gehöft von Grund auf größtenteils eigenhändig saniert. Die beiden Kinder im Alter von 15 und 18 Jahren sind in einer Baustelle aufgewachsen. Seit zwei Jahren ist landwirtschaftlicher Betrieb überhaupt erst möglich. Und zwar so, wie vor vielen vielen Jahren, möglichst ohne Maschinen. Vier Ardenner-Kaltblüter sind für das Pflügen, Mähen und Holzrücken zuständig. Die Hofbewohner leben weitgehend als Selbstversorger. Es gibt drei Kühe und drei Kälber. Zu den EU-Fördermitteln kommen die Einnahmen aus der Käserei für die Ziegenmilch.

Lohnt sich das? Kann man davon leben? „Das wird sich zeigen“, sagt der Bauer Albrecht und lächelt. „Es war die gemeinsame Entscheidung, etwas Sinnvolles zu machen.“ Sinnvoll heißt für die Albrechts, selbstbestimmt und eigenständig zu leben – aber nicht eigenbrötlerisch. Schwärmerische Aussteiger sind sie nicht, sie haben auch nicht vor, sich von der Welt abzuschotten. Aber sie sind letztlich doch auf sich gestellt. „Wir müssen uns einen Stamm von Ziegen schaffen“, sagt Holger Albrecht. „Sie müssen an die harten klimatischen Bedingungen angepasst werden, das dauert ein paar Generationen.“ Verluste kann sich der Ziegenhalter nicht leisten, er kann nicht einfach aus der Rheinebene neue Tiere zukaufen, denn sie vertragen die Temperaturen in der Höhe nicht. Vor Mai können die Tiere nicht raus, im Oktober liegt oft schon wieder Schnee.

Alle lieben Lori und Lewin

Also hat sich Holger Albrecht auf das Experiment mit den Herdenschutzhunden eingelassen, und die ganze Familie ist mittlerweile rettungslos in Lori und in Lewin verliebt. Der Wolfsbeauftragte Michael Glock ist häufiger Gast, er beobachtet die Entwicklung seiner Schützlinge genau – es sind zurzeit die einzigen dieser Art im Südschwarzwald. „Der Wolf kommt, es ist nur eine Frage der Zeit“, sagt er. Im nahen Elsass hatte ein Wolfspärchen zwei Welpen. Nach zwei Jahren gehen geschlechtsreife junge Wölfe auf Wanderschaft. Und sie laufen weit, knapp 30 Kilometer pro Tag, das Revier eines Rudels ist 250 bis 300 Quadratkilometer groß. Auch in der sächsischen Lausitz, in Brandenburg und in Sachsen-Anhalt gibt es Wolfsrudel, einzelne Tiere wurden in Hessen und Bayern gesichtet.

Was also tun, wenn der Wolf in den Schwarzwald kommt? „Ich verstehe die Ängste und Sorgen der Tierhalter“, sagt Michael Glock. Seine weißen Schützlinge schlabbern jetzt friedlich die Pellets aus der Schüssel und wirken sehr gelassen. „Aber es wäre ein großer Fehler, den Wolf wieder vertreiben zu wollen, dann hätten wir mehr Probleme.“ Haustiere werden in der Regel nur von hungrigen Wanderwölfen gerissen. Doch dort, wo der Wolf sich niedergelassen hat und durch Schutzmaßnahmen wie Zäune und Hunde von Schafen und Ziegen ferngehalten wird, hält er Konkurrenz in Schach und ernährt sich artgerecht: vor allem von Rehen und Wildschweinen, meist den schwachen, leicht erjagbaren Tieren. „Der Wolf reguliert den Bestand“, sagt Sarah Schulz, „das ist seine Rolle in der Tierwelt.“ Und eine willkommene Schützenhilfe für den Jäger.