Die bürgerlichen Fraktionen halten ein urbanes Wohnquartier wegen der Lärmproblematik für nicht möglich. Grüne und SPD schon.

Stuttgart - Das geplante Vorzeigewohnquartier Neckarpark bleibt im Gemeinderat weiter heftig umstritten. Während die ökosoziale Mehrheit am Grundkonzept für die Bebauung des früheren Güterbahnhofareals in Bad Cannstatt festhalten will, sperren sich die CDU und vor allem die FDP gegen das ursprünglich mit ihren Stimmen beschlossene Vorhaben.

 

Hintergrund der Kontroverse ist offenbar das von der Rathausspitze wohlwollend betrachtete Interesse des Möbelkonzerns Ikea an einer Ansiedelung entlang der Benzstraße. Vordergründig argumentieren die bürgerlichen Fraktionen damit, ein urbanes Wohnquartier an dieser Stelle sei wegen der Lärmproblematik nicht möglich.

Die Stadt hat deshalb ein Lärmgutachten sowie ein juristisches Gutachten in Auftrag gegeben, die am Dienstag dem Technikausschuss präsentiert wurden. Die Lärmexpertise macht deutlich, dass sowohl der Verkehrslärm durch Autos als auch durch die östlich des Gebiets verlaufende Bahnfernverkehrsstrecke mittels eines Schallschutzkonzepts in den Griff zu bekommen seien. Gleiches gelte für den Lärm, den das Daimler-Motorenwerk sowie die Tankstelle an der Mercedesstraße verursachten.

FDP sieht Bundesligalizenz des VfB in Gefahr

Problematisch gestaltet sich laut Gutachten die Situation bei Abendspielen des VfB Stuttgart, die bis nach 22 Uhr dauern, sowie bei Großveranstaltungen auf dem Wasen. Hier seien im Einzelfall Sondergenehmigungen erforderlich, Rockkonzerte könnten in der bisherigen Form nicht mehr stattfinden, so die Gutachter des Büros Braunstein und Berndt. Das Stadtplanungsamt und das Umweltamt sehen diese Probleme als lösbar an; durch eine weitere Optimierung des Rahmenplans und zusätzlichen Schallschutz wie etwa den Einbau sogenannter Hamburger Fenster.

Anders die FDP. Deren Stadtrat Michael Conz malte den Teufel an die Wand: Nicht nur das Volks- und Frühlingsfest seien "massiv gefährdet", Stuttgart müsse künftig auch auf den VfB verzichten, der Verein werde gar seine Bundesligalizenz verlieren, weil er die Auflagen der Deutschen Fußball-Liga für maximal 18 Abendspiele nicht mehr erfüllen könne, so sein Horrorszenario. Grünen-Fraktionschef Werner Wölfle attestierte Conz daraufhin, er kenne "ja nicht einmal den Spielplan des Bundesligisten".

Inspirieren lassen hatte sich Conz offensichtlich von einem Brandbrief des Konzertveranstalters Michael Russ. Darin heißt es, die Planungssicherheit für Open-Air-Konzerte auf dem Wasen sowie Fußballspiele und Veranstaltungen in der Mercedes-Benz-Arena sei nicht mehr gegeben, wenn das Neckarpark-Konzept umgesetzt würde.

"Wohnen auf Teufel komm raus"

Etwas differenzierter argumentiert die CDU. Deren Sprecher Philipp Hill sagte, mit einer massiven Riegelbebauung entlang der Benzstraße und der Bahngleise sei das ursprünglich auf Kleinteiligkeit und Hochwertigkeit angelegte Konzept nicht realisierbar. Die Ratsmehrheit wolle dagegen "Wohnen auf Teufel komm raus". Für Grüne und SPD sind die Argumente von CDU und FDP nur vorgeschoben. "Wenn Sie keine Wohnungen wollen, dann sagen Sie es deutlich", so der Grünen-Stadtrat Peter Pätzold.

Marita Gröger (SPD) sagte, man diskutiere nicht über "die Besiedelung des Mars". Mit dem Veielbrunnen sowie dem Seelberg gebe es bereits zwei dicht bewohnte Gebiete in unmittelbarer Nähe, ohne dass deswegen das Volksfest oder VfB-Heimspiele abgesagt werden mussten. Die SPD-Fraktionschefin Roswitha Blind erinnerte daran, dass sich CDU und FDP nicht gescheut hätten, beim Häussler-Wohnpark in Möhringen einen Kindergarten direkt an eine dicht befahrene Straße bauen zu lassen. Beim Neckarpark werde die Lärmproblematik instrumentalisiert, um Ikea den Weg zu ebnen.

OB Wolfgang Schuster wies den Vorwurf zurück, er träume von einem Ikea-Einkaufszentrum in Cannstatt. Ihm gehe es darum, die Pläne für das Quartier zu optimieren. Dies solle in den nächsten zwei Monaten in Form eines Workshops im Unterausschuss Neckarpark geschehen.

Der Neckarpark und der Lärm

Grundkonzept: Auf dem früheren Areal des Cannstatter Güterbahnhofs will die Stadt auf 22 Hektar ein ökologisches und infrastrukturelles Musterquartier realisieren. Seit der Stadtkämmerer Michael Föll (CDU) im Oktober Zweifel an der Finanzierbarkeit des Erschließungskonzepts geäußert hat, ist das einst mit breiter Mehrheit beschlossene Projekt umstritten. CDU und FDP sind nun gegen Wohnungsbau an dieser Stelle , SPD, Grüne und SÖS/Linke wollen prinzipiell an den Plänen festhalten. Für zusätzlichen Zündstoff sorgt das Interesse von Ikea an einem Möbelhaus am Rand des Quartiers.

Hamburger Fenster: Der Begriff stammt aus dem sogenannten Hamburger Leitfaden zur Bauleitplanung 2010. Die beim Bau der Hafen-City in der Hansestadt erstmals verwendeten Spezialfenster bestehen aus zwei hintereinander gelagerten Fensterscheiben, die sich in unterschiedliche Richtungen kippen lassen und optimierten Lärmschutz garantieren sollen. Die Stadt will zumindest einen Teil der Wohnungen im Neckarpark damit ausrüsten.