Während Südafrikas Ikone im Sterben liegt, tobt hinter den Kulissen der Kampf zwischen den Entscheidern seines Schicksals. In den Medien liefern sich Befürworter und Gegner lebenserhaltender Maßnahmen erbitterte Debatten.

Johannesburg - Nelson Mandela liegt im Krankenhaus im Zentrum der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria und ringt mit dem Tod. Er ist, wie ein Angehöriger seines Clans inzwischen bestätigt hat, an eine Maschine angeschlossen, die seinen Herzschlag kontrolliert und ihn künstlich beatmet. Auf diese Weise könnte der beinahe 95-Jährige noch tage- oder gar monatelang am Leben erhalten werden: Die Frage ist: Wozu? In südafrikanischen Radiosendungen liefern sich Befürworter und Gegner der lebensverlängernden Maßnahmen erbitterte Debatten: Die einen wollen den verehrten Gründervater der Nation um jeden Preis am Leben erhalten. Die anderen wünschen Madiba, wie der erste demokratisch gewählte Präsident am Kap der Guten Hoffnung liebevoll genannt wird, ein würdigeres Ende. Wer ist es, der entscheidet, ob die Maschine weiterläuft oder nicht?

 

Die Frage ist dermaßen heikel, dass selbst Experten sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beantworten wollen. Das Land befinde sich im „Trauerzustand“ und wolle sich von „solch unangemessenen Überlegungen“ nicht belästigen lassen, wehrt Ames Dhai vom Zentrum für Bioethik an der Johannesburger Witwatersrand-Universität die StZ-Anfrage ab: „Ich will mich dazu nicht äußern.“ Juristen weisen darauf hin, dass es nach südafrikanischem Recht dem engeren Familienkreis überlassen bleibt, in dieser Frage zu entscheiden: Doch damit ist das Problem noch nicht gelöst.

Die Familienzweige sind zerstritten

Denn Nelson Mandelas Familie ist groß, die Familienverhältnisse sind kompliziert und die verschiedenen Zweige zerstritten. Mandela war dreimal verheiratet, hat von seinen ersten beiden Frauen mehrere Kinder, von denen noch drei Töchter leben, sowie 20 Enkel. Juristisch gesehen bliebe es Mandelas dritter Frau Graça Machel überlassen, über das Schicksal ihres Ehemannes zu entscheiden: Doch die gebürtige Mosambikanerin muss unter anderem auch auf Mandelas frühere Frau Winnie Rücksicht nehmen, mit der sie ein angespanntes Verhältnis verbindet. Nach afrikanischer Tradition wäre es auch undenkbar, dass Machel allein entscheidet. „Es handelt sich um unseren Vater“, betont die älteste Tochter des Friedensnobelpreisträgers, Makaziwe, in einem Interview: „Wir hatten ihn niemals in unserem Leben für uns und erwarten, dass uns die Welt nun in Ruhe lässt.“

Anspruch auf den weltberühmten Politiker erhebt aber nicht nur die Familie. „Mandela ist nicht nur Familienvater“, wendet der politische Kommentator Aubrey Matshiqi ein: „Er ist außerdem von blauem Blut. Das heißt, dass auch der königliche Clan ein Mitspracherecht geltend macht.“ Die Ältesten des Madiba-Clans trafen sich am Dienstag zu einer Unterredung in Mandelas Heimatdorf Qunu, wo auch die umstrittene Frage nach dem Ort der Beerdigung besprochen wurde. Dass dabei auch das Problem der Herz-Lungen-Maschine zur Sprache kam, weist der bei dem Gespräch anwesende Bantu Holomisa von sich. „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden“, sagt der Vorsitzende der Partei United Democratic Movement der StZ: „Dieses Thema wurde niemals angesprochen.“

Auch die Parteispitze und die Regierung wollen mitreden

Die Sache wird noch komplizierter. „Schließlich ist Mandela nicht nur Familienvater und Mitglied des königlichen Clans“, gibt der Kommentator Matshiqi zu bedenken: Er war auch Präsident des African National Congress und Staatspräsident Südafrikas. Das heißt, dass auch die Parteispitze und die Regierung bei derart wichtigen Entscheidungen mitreden wollen: Der Besuch des US-Präsidenten Barack Obama, der bis Montagmorgen am Kap der Guten Hoffnung weilen wird, könnte bei diesen Überlegungen eine Rolle spielen. „Gut möglich, dass die Regierung Madiba noch bis zur Abreise Obamas am Leben halten will“, meint ein Ex-Minister im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung: „Doch das ist bloße Spekulation.“

Spekulation oder nicht: Tatsache ist, dass Nelson Mandela einer Entscheidung, die andere für ihn treffen werden, hilflos entgegenharrt. „Er ist zur Geisel hinter den Kulissen ausgetragener Konflikte geworden“, schimpft Kolumnist William Gumede: „Die Ikone wird noch zu Lebzeiten zur Handelsware.“ Hinter dem Tauziehen verberge sich ein Machtkampf, der nach dem Tod Mandelas wohl noch erbitterter ausgetragen werde: wem Madiba und sein Vermächtnis eigentlich gehören. Dabei sei die „globale Ikone größer als die Familie, größer als sein Clan, größer als der ANC und größer als Südafrika“, fügt Gumede hinzu: „Man hätte ihm, in Gottes Namen, ein würdevolleres Ende gewünscht.“