In einer Ausstellung zeigt das Museum Frieder Burda in Baden-Baden bis September die Entwicklung des Leipziger Künstlers Neo Rauch.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Wenn man Neo Rauch fragt, wo er seine Motive findet, warum er Menschen schweben und Flüsse bergauf fließen lässt, warum bei ihm Männer zwei Köpfe haben und Pflanzen wuchern wie eklige Schläuche - dann hat Neo Rauch sofort eine Antwort parat: Er malt die "verwendbare Vergangenheit", sagt er. Oft seien es "Abspeicherungen, die in einem Moment erfolgen, in dem die Reflexion, die rationale Abgleichung noch nicht möglich ist". Mal zitiert Rauch sozialistische Propagandakunst, mal Werbe- und Comic-Ästhetik oder Pop-Art. Häufig schöpfe er auch aus dem "Quell der frühkindlich empfangenen Sinneseindrücke, der sich sehr viel später unter Umständen ganz ungestüm über die Leinwand ausbreitet".

 

Im Museum Frieder Burda in Baden-Baden kann man nun eintauchen in die geheimnisvollen, verstörenden Bildwelten mit rostigen Ölkanistern und Aktenordnern, Trommeln und Gewürm, Blutwürsten und Fabrikschloten. Der Kurator Werner Spies hat die mit dreißig Gemälden angenehm überschaubare Ausstellung arrangiert, die Rauchs Entwicklung nachzeichnet von den neunziger Jahren bis in die Gegenwart, in jener Zeit also, in der der Leipziger einen kometenhaften Aufstieg hinlegte. Er ist heute einer der erfolgreichsten Maler und gilt als Blue Chip auf dem Kunstmarkt, als sichere Kapitalanlage.

Alltägliches und Albtraumhaftes vermischen sich

Trotzdem versucht Rauch sich davon nicht beirren zu lassen. Mit beamtischer Disziplin geht er weiterhin ins Atelier und lässt sich von der Ungeduld der Sammler nicht drängeln. Er produziert nie mehr als zwanzig Arbeiten pro Jahr - auch weil die Malerei für ihn "eine Herrscherin ist, der man dienen muss". Die Arbeit ist mühsam, da die Bilder assoziativ im Prozess entstehen. Additiv fügt Rauch die Motive aneinander, die ihm das Unbewusste diktiert. Seine Aufgabe sei es, die "Dünste" und "Niederschläge" zu ordnen, wie er es in seiner eigenwilligen Sprache nennt. "Kontrollverlust und Bändigung, Bündelung und wieder Kontrollverlust."

Als Maler des Traumgeschehens wird Rauch gern bezeichnet, als moderner Surrealist, der die Logik außer Kraft setzt und reale Versatzstücke neu montiert: Fassaden öffnen sich, Außen- und Innenraum werden verschachtelt. Rauch schrumpft Menschen und bläht Landschaften beängstigend auf. Emsige Arbeiter folgen auf dem Bild "Die Rolle" von 1997 einem absurden Aktionismus, wie von fremden Mächten angetrieben. Alltägliches und Albtraumhaftes vermischen sich bei Rauch, der aus dem kollektiven Bildgedächtnis von BRD und DDR schöpft, zitiert, narrative Fährten legt - die doch stets im Nichts enden. Diese Collagen aus heterogenen Elementen, diese theaterhaften Szenerien verweigern sich, interpretiert oder entschlüsselt zu werden. Wenn es hier eine Botschaft gibt, dann die, dass es keine gibt - Rauchs Reaktion auf das Doktrinäre des sozialistischen Realismus, mit dem er groß geworden ist.

Die Entwicklung Rauchs

Die Ausstellung zeigt schön, wie Rauch sich entwickelt hat. Auch in den frühen neunziger Jahren versuchte er sich bereits an befremdlichen Architekturen und surrealen Montagen. Aber so, wie auf "Flut I" und "Flut II" von 1992/1993 Figuren und Gerätschaften, Schläuche und Baukörper auf dem bräunlichen Grund verteilt wurden, erinnern sie eher noch an die gestische Malerei der sechziger Jahre. Die Formate sind bereits riesengroß und lassen ahnen, dass da einer gigantische Bildwelten vom Kopf auf die Leinwand bringen will. Aber Bilder wie "Haus I" (1995) sind noch unentschlossen, als traue der Maler seinen eigenen Visionen nicht von platt gewalzten, abstrakten Schweinen und Muscheln, die aus dem Dach wachsen.

Im Lauf der Jahre wird Rauch nicht nur entschiedener, sondern immer mehr Figuren und Objekte drängen, ja drängeln ins Bild. Die Farben werden mutig grell, die Kompositionen komplexer und komplizierter - und verraten einen Künstler, der die malerischen Mittel inzwischen souverän beherrscht. Es ist virtuos, wie auf dem Winterbild "Neujahr" (2005) der Heizer im Freien und doch gleichzeitig drinnen vor dem glühenden Ofen steht, oder sich in "Der Rückzug" (2006) Mensch und Tier, Mädchen und Maschinen zu einem komplexen Tableau verweben, bei dem die Bruchstellen doch sichtbar bleiben.

Und doch zeigen sich in der Ausstellung Ermüdungserscheinungen. Man vermisst bei den Bilder mitunter die Schlagkraft. Rauch mag in der Tonigkeit variieren, er mag immer neue Zitate aus seinem privaten und dem kollektiven Bildgedächtnis zerren, seine Malerei entlarvt sich zunehmend als Methode. Für ihn sei diese Methode ergiebig, sagt der Maler, "sie birgt vitale Kräfte, dass ich damit wohl kaum an ein Ende kommen werde". Doch hinter der kunstfertigen Malerei lauert Beliebigkeit. Die Malerei sei nicht zuständig für das Verbalisierbare, sagt Rauch, es gebe andere Mittel zur Konkretisierung. Das ist konsequent, durchaus. Aber dort, wo ein Maler keine Stellung bezieht, ist die verwendbare Vergangenheit letztlich nicht mehr als einfach nur verwendbare Vergangenheit.

Die Erfolgsgeschichte des Künstlers aus Leipzig

Aufstieg: In Backnang hatte man den richtigen Riecher. 1999 wurde in der Galerie der Stadt der damals noch weitgehend unbekannte Neo Rauch ausgestellt. Inzwischen gilt Rauch als der wichtigste Maler der Leipziger Schule, der auch in den USA große Erfolge hat. Die erste institutionelle Einzelausstellung fand 2000 in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig statt. Im vergangenen Jahr wurde er zu seinem fünfzigsten Geburtstag gleich mit zwei Ausstellungen gewürdigt: im Museum der bildenden Künste Leipzig und in der Münchener Pinakothek der Moderne.

Ausstellung: Die Ausstellung im Museum Frieder Burda ist eigentlich keine richtige Retrospektive, denn sie beginnt erst mit den neunziger Jahren. Die früheren Arbeiten lässt der Künstler nicht mehr gelten – und zeigt sie nicht öffentlich.

Termine: Die Baden-Badener Ausstellung läuft bis 18. September täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr. Der Katalog ist bei Hatje Cantz erschienen und kostet 29,80 Euro.